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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 10.1905

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Nr. 8
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Jaumann, Anton: Bühnensprache
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https://doi.org/10.11588/diglit.26235#0070
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BÜHNENSPRACHE.

Von ANTON JAUMANN.

icht anders als
der mensch-
lichen Form
in der Archi-
tektur ergeht
esdermensch-
lichen Rede
auf dem
Theater. Esist
ein gewaltiger
Unterschied,
ob die Plastik
den mensch-
lichen Körper
darstellt ohne
alleBeziehung
zu einer Um-
gebung, oder
ob er sich in
eine größere
Architektur einfügen soll. Im letzteren Falle
stehen mit einem Male die Gesetze der Archi-
tektur auf und fordern gebieterisch, daß das
neue Glied, das sich zu ihnen gesellt, ihnen
ebenfalls unterworfen werde. Es soll selbst
Architektur werden! Ebenso ist für die Rede,
sobald sie von den Brettern herab gesprochen
wird, auf einmal das dramatische Element
die Hauptsache. Worte oder ganze Dialoge,
einfach aus dem Leben herausgenommen und
auf die Bühne verpflanzt, würden nicht minder
gegen das Wesen ihrer Kunst verstoßen, als
die freie menachliche Form in der Architektur.
Was im Leben vielleicht interessierte, bliebe in
phonographisch getreuer Wiedergabe von den
Brettern herab wirkungslos.

Es genügt auch nicht, daß die Worte ge-
drängter gesetzt sind als sonst, daß jedes ein
gewisses Quantum Inhalt habe. Das erste und
wichtigste Erfordernis ist, daß dramatisches
Leben in ihnen pulsiere, und daß die Rede ihre
Form von diesem dramatischen Moment erhalte.
Wie in der Architektur jedes Bauglied architek-
tonisch lebendig sein muß, ob es nun trage oder
laste, sich ausdehne oder zusammenziehe, eine
Bewegung nach aufwärts ausdrücke oder ein
Zusammenhalten auseinanderstrebender Teile,
wie jedes Glied am Zustandekommen der Gesamt-
konstruktion sich aktiv beteiligen muß, gleich
einem pflichteifrigen Soldaten, so gilt als erste
Forderung für jedes einzelne dramatische Wort,
daß ein bestimmtes konstruktives Wirken in ihm
tätig sei, welches gleichzeitig die verschiedenen
Redeteile verbinden soll, so daß als Resultat
eine lebendige Gesamtkonstruktion zutage tritt.
Ein Wort bedinge das andere und sei wieder
von ihm bedingt, vermöge eben dieser Wirkung,

die von jedem ausgeht. Und es ist wichtig, daß
diese Emanation, dieses Leben dramatischer
Natur sei. Eine gewisse Verkettung oder Ver-
kittung der Sprache existiert ja auch schon bei
einfachen logischen Schlüssen. Ein Satz ist hier
vom andern abhängig, sie sind aneinander ge-
bunden, indem die Vordersätze einen ganz be-
stimmten Nachsatz verlangen, dem sie nicht
nur den Inhalt, sondern sogar die Form vor-
schreiben. Man kann nicht leugnen, daß solche
logischen Konstruktionen auch eine künstlerische
Seite haben und sozusagen „ästhetisch genieß-
bar“ sind. Manches wissenschaftliche Werk ist
in der Tat zu gleicher Zeit ein Kunstwerk, mag
der Verfasser noch so wenig an „künstlerische
Ausschmückung“ gedacht haben. Im Drama
aber bildet die logische Bindung nur eine von
vielen Möglichkeiten; dem Dramatiker stehen
unendlich viel mehr solcher Binde- und Kon-
struktionsmittel zur Verfügung, mit denen er die
Worte aneinanderknüpfen, aufeinanderschichten,
in gegenseitige Beziehung bringen kann. Die
Verneinung tritt da in Gegensatz zur Bejahung,
die Steigerung steigt über das Kleinere, das
Geringere hinweg, die Ergänzung schließt sich
eng an das Halbe, das Unvollendete an; beim
Wiederholen greife ich aufVergangeneszurück . ..
und so gibt es zahllose Wege, konstruktiv die
Rede zu beleben, daß Worte und Sätze inein-
ander organisch verwachsen und kein Teil
müßig und untätig bleibe, aus dem Ganzen
herausfalle und absterbe.

Auf der Bühne werden die Worte ge-
sprochen; allein nicht in der Weise des Re-
zitators, der uns keinen Augenblick darüber im
Zweifel läßt oder lassen soll, daß es fremde
Gedanken und Empfindungen sind, die er zum
Vortrag bringt. Die Personen des Dramas ver-
knüpft ein innigeres Band mit ihren Worten.
Sie sind es selbst, die sich aussprechen, sie
teilen ihre eigenen Gefühle und ihre persön-
lichen Ansichten mit. So erhält die Rede ein
ganz besonderes Gesicht, einen höheren Wert,
da hinter ihr eine Persönlichkeit steht, die die
Äußerungen als ihr Eigentum in Anspruch nimmt
und die Verantwortung dafür trägt. Es ist, wie
wenn die Worte damit Wurzel gefaßt hätten,
sie treten in das festeste, engste Verhältnis zu
dem Sprecher, der zugleich ihr Erzeuger und
Former ist. Wie aber im gewöhnlichen Leben
das Kind den Eltern ähnlich sieht und wesent-
liche Eigenschaften von ihnen erbt, so ist es
auch im Drama nötig, daß die Worte durch
bestimmte Merkmale jene enge Verwandtschaft
zu dem Rollenträger kundtun. Sie sollen heraus-
wachsen aus seiner Individualität, und Wirkungs-
spuren seines Charakters, seiner Rasse, seines
Temperamentes aufweisen. Noch mehr: Schon
durch den momentanen Gemütszustand des
Sprechers soll ihnen ein Stempel aufgedrückt
werden! Jeder Affekt offenbare sich in der

Josef Sattler. Initiale aus der Geschichte der
rheinischen Städtekultur.

(Verlag J. A. Stargardt, Berlin.)

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