Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 19.1910

DOI Heft:
Heft 2
DOI Artikel:
Schur, Ernst: Eine Alte-Leute-Stadt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26462#0065
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Blick auf den Turm des Verwallungsgebäudes.

Eine Alte-Leute-Stadt.

Alte-Lcute-Stadt in Buch: Durchgang.

ait muß daö Bcrlin der Gcgcnwart vcrgesscn,
wenn man von den modernen Aufgaben,
die der Großftadt in Kunftgewerbe, Raum-
kunft lind Architektur geftellt sind, spricbt. Jn dieser
Stadt, der die osfizielle Kunftbetätigung ein falsches
Gepräge gibt und in der die städtischen Behörden ost
nicht genügend orientiert sind, liegt alles bei den Künft-
lern, bei den einzelnen, die den Willen zur Aukunst
haben. Der Staat, die Stadt als Auftraggeber kommen
kaum in Betracht; ein wenig ermunterndes Bild sür
den, der den Drang zur Betätigung hier überall spürt
und der weiß, wieviel neue Ausgaben in der Großftadt
der Lösung harren. Das großstädtische Miethaus, die
Fassadengeftaltung der Straße, die Gruppierung und
Gestaltung der Plätze, all das sind wichtige und neue
Problcmc.

Seit einer ganzen Reihe von Jahren haben wir nun
eine Bewegung, die darauf abzielt, in der Architektur,
in den Formen unserer Möbel, in der Geftaltung der
Gebrauchsgegenftände, in der Darftellung unserer Jnte-
rieurs den Stil zu suchen, der dem Geist unserer Gegen-
wart entspricht. Diese Bewegung hat sich nicht leicht
durchgesetzt. Sie hatte von vornherein mit mannigfachen
Widerständen zu kämpfen. Das Publikum, die Indu-
ftrie empfanden das Neue als etwas Provozierendes,
bas ihre Angriffsluft fteigerte. Dazu gesellte sich von
obenher ein osfizieller, heimlicher, aber um so nachdrück-
licher wirkender Widerftand.

//

Dcnnoch hat sich, überraschenderwcise, diese Be-
wegnng, die von den Künftlcrn ausging, durchgesetzt.
Man wird darin wohl den besten Beweis dafür sehen,
daß diese Tendenz eine gesunde war und im Ieitstreben
der Gegenwart ihr gutes Fundament hatte. Wie sollte
sonft ctwas, das allgemein so mit Hohn und Ab-
lehnung begrüßt wurde, leben, wachsen, gedeihen und
sich ausbreiten? Das Publikum war am leichtesten
zu bekehren. Es hat nicht das Jntereffe am Be-
harren, wie etwa, auö leicht ersichtlichen Gründen, die
Jndustrie. Allenthalben wurde das neue Programm
gepredigt, diskutiert, und aus unkontrollierbaren Wegen
kamen die Anregungen in die verschiedensten Kreise.
So wird man jetzt schon im Publikum ein inftinktives
Vcrftändnis dasür finden. Die Worte: Sachlichkeit,
Zweckmäßigkeit, Materialechtheit klingen nicht mehr
sremd.

Jn einer Hinsicht können die großen Städte mit
dcn kleineren Zentren, die eine Kulturtradition haben,
konkurrieren: in der Bewältigung der großen sozialen
Ausgaben. Hier liegt die Kraft verborgen, die ureigene
Krast, die dem Organismus einer Großstadt eigen ift,
und wenn es gelingt, sie zur Entfaltung zu bringen,
werden wir cin gut Teil WcgeS weitcr gekommen sein.
Denn es tut vielleicht nicht so not, daß wir in den Pracht-
bauten, den Luxushäusern einen „neuen Ausdruck" suchen,
sondern unö vielmehr erst gewöhnen, das Notwendige,
daö Nützliche so zu gestalten, daß es dem Leben eine

Z
 
Annotationen