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Rodenberg, Julius
Paris bei Sonnenschein und Lampenlicht: ein Skizzenbuch zur Weltausstellung — Leipzig, 1867 (2. Aufl.)

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https://doi.org/10.11588/diglit.1385#0147
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Von William Reymond und Julius Rodenberg. 139

sich unaufhörlich begegnen. Es ist eine melancholische Nothwen-
Ligkeit, von den literarischen Zigeunern zu sprechen, welche
gleichsam das attische Salz in disser unberechenbar gciren-
den Maffe des Elends von Paris darstellen. Doch haben diese
Opfer der poetischen Manie oder praktischen Untauglichkeit für
jede Art von Arbeit zum Glück aufgehört, die französische Poesie
zu repräsentiren. Nicht länger inspiriren sie sich an dem alten
Dichter Villon, um sich gleich Gerard Le Nerval an einem Fenster-
pfosten in irgendeiner entlegenen Straße mit dem Band einer
Küchenschürze zu erhängen, oder im Hospital zu sterben, wie
Hegesippe Moreau. Der vorübergehende Glanz der Misere, wenn
man so sagen darf, welche Henri Murger gleich einen Mär-
tyrerschein um sie verbreitet, ist vorübergegangen, das Jntereffe
für sie hat aufgehört, und von Gegenständen der Sympathie
für die Salons sind sie wieder in das traurige Niveau der
Kneipen zurückgesunken. Aber darum ist die literarische Boheme
selbst nicht verschwunden, und heute noch, wie es sie immer
gegeben und auch immer noch geben wird, gibt es in Paris
eine Menge von Schriftstellern, deren Existenz ein Räthsel ist
und die den ganzen Tag und den größten Theil der Nacht in
kleinen Kneipen des Quartier Breda oder der Barriere Pigale
zubringen. Von allen Arten des Elends ist das literarische
das größte, vielleicht mehr noch für den Beobachter als für
denjenigen, der es erduldet; wenigstens ist es so in Paris,
wo das „Zigeunerthum" etwas Fascinirendes besitzt, was sehr
bald das Gefühl der Schmach austilgt und der „Abs" (Ab-
synth) „s 1 soa xar vsrrs" den Rest thut, dieses Getränk,
welches, wie kein zweites, auch den innern Menschen ver-
giftet. Die literarischen Zigeuner, heimatlose Wanderer in
dieser großen Boheme von Paris gleich den andern, unter-
scheiden sich nur dadurch von ihnen, daß ste eine Vergangen-
heit gehabt haben, zuweilen eine glänzende, von den ersten
Strahlen des Ruhms beleuchtet, und daß sie von einer Zukunft
träumen, die sie — niemals erreichen werden! Fragt man
h nach ihrer Beschäftigung, so erhält man zur Antwort, daß der
eine einen großen Roman schreibt, der andere einen Band Ge-
dichte herausgeben wird, daß der dritte ein bedeutender Maler
war... vor dem Absynth. Nichts ist trauriger als diese
 
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