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Die Interpretation der Mediciskulpturen
in Beschreibungen und Nachzeichnungen

»Pour mieux comprendre une ceuvre d'art, il faut essayer
de la copier«, me disait l'autre jour Giacometti. II parlait
en praticien. Je lui fis remarquer que beaucoup de critiques
d'art, et des plus grands, eussent ete incapables de recopier
une ceuvre d'art. Un ami, qui prenait part a notre conver-
sation, retorqua qu'on pouvait aussi bien recreer un
tableau, une sculpture, avec des mots.
Albert Skira [1945, 2]

Die analysierten Beschreibungen und Nach-
zeichnungen sind Interpretationen der Statuen.
Solche Interpretationen werden von medium-
spezifischen >Spielregeln< bestimmt. Sowohl die
Autoren wie das Zielpublikum dieser Inter-
pretationen sind unterschiedlich: Die hier be-
rücksichtigten Nachzeichnungen wurden von
Künstlern angefertigt und tragen in der Mehr-
zahl einen privaten Charakter. Beschreibungen
stammen dagegen von Schriftstellern und
Wissenschaftlern und sind mehrheitlich für eine
Öffentlichkeit bestimmt. Deshalb sind Texte in
der Regel bemüht, den Gesamteindruck der
Kapelle zu vermitteln, während sich Zeich-

nungen vielmehr auf ausgewählte Teile der
Denkmäler konzentrieren. Eine vergleichende
Interpretationsgeschichte beider Medien muß
eingedenk dieser unterschiedlichen Ausgangs-
punkte bei dem größten gemeinsamen Nenner,
also den einzelnen Statuen, ansetzen. Im fol-
genden sollen am Beispiel der Notte beide
Rezeptionsverläufe verglichen werden. An-
schließend werden drei spezifische Aspekte der
Interpretationsgeschichte untersucht, die ver-
schiedene Statuen der Neuen Sakristei betref-
fen: die Thematisierung der Komposition, die
Frage der Ansichtigkeit und der Umgang mit
dem sogenannten non-finito.

Die Interpretationsgeschichte einer Skulptur: die Notte

Die schriftliche Rezeption der Notte wird von
alters her von einem Topos beherrscht, wonach
die im tiefen Schlaf versunkene Nacht sich von
keinem Betrachter wecken lasse. Bereits 1543
schreibt Anton Francesco Doni an Michel-
angelo:

Ho visto poi in quella Notte il piü saporoso
sonno che si gustasse giä mai, o leggiadramente
vedessi dormire a creatura vivente; e pur l'ho tro-

vata pietra, se ben mille volte io mi son messo,
cotne per una dea che dormisse formata in pa-
radiso, a destarla. [Brief vom 12.1.1543, zit. nach
Michelangelo, Carteggio, IV, 161]

Ich sah dann in dieser Nacht den vollsten Schlaf,
den es je gegeben hat oder den ich so anmutig in
einem lebenden Geschöpf erfuhr; und doch habe
ich sie aus Stein vorgefunden, obwohl ich tausend-
mal wie bei einer im Paradies geschaffenen schla-
fenden Göttin versuchte, sie zu wecken.
 
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