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CISTERNE DES PHILOXENOS (BIN-BIR-DIREK).

BLATT XXXVIII. Fig. 17.

Der Felsboden Constantinopels liefert kein trinkbares Wasser; dasselbe muss von entfernt liegenden Quellen herbei gesehafft wer-
den, und schon früh wurden zu diesem Zwecke grossartige Wasserleitungen angelegt, wovon noch heute ein Theil der vom Kaiser
Valens aus den Quadern der Stadtmauern Chalcedons erbauten, in der Mitte der Stadt mit hohen Bogen über die Häuser fortgehend,
Zeugniss ablegt. Diese Aquaeducte ergossen ihren überflüssigen Wasserreichthum in grosse Reservoirs, sogenannte Cisternen, um in der
trockenen Jahreszeit bei geringerer Ergiebigkeit der Quellen dem Wassermangel aus dem gesammelten Ueberflusse zu begegnen. Ausser-
dem hatten diese Cisternen zugleich die Bestimmung, für den Fall einer Belagerung und Unterbrechung des Wasserzuflusses durch den
Feind einen auf längere Zeit zur Ernährung der Stadt ausreichenden Wasservorrath aufzunehmen, woraus ihre grosse Anzahl und ihre
zum Theil sehr bedeutende Dimensionen zu erklären sind, von Hammer158) beschreibt zwölf Cisternen als noch vorhanden, von denen eine
in der Nähe des Adrianopeler Thores, deren Gewölbe und Säulen jetzt fehlen, 750 Fuss lang und 261 Fuss breit ist. Du Gange führt
zwanzig Cisternen auf,159) deren von den Byzantinischen Schriftstellern Erwähnung gethan wird. Der grösste Theil derselben, wenigstens
die von bedeutendem Umfange wohl alle, sind in den beiden ersten Jahrhunderten nach Erbauung der Stadt angelegt, und schon der
Kaiser Heraklius liess aus Aberglauben, weil ihm nach einer Prophezeihung vom Wasser Gefahr drohen sollte, mehrere derselben ver-
schütten, welche jedoch vom Kaiser Basilius Macedo wieder geöffnet wurden.

Die Türken haben das von den Byzantinern schon angewendete Mittel, Thäler durch starke Dämme abzuschliessen und dadurch
Wasserreservoirs, sogenannte Bends, zu bilden, noch mehr ausgebeutet, und in den Thälern der waldigen Höhen bei dem zwei Meilen
von der Hauptstadt belegenen Dorfe Belgrad eine solche Anzahl von Bends gebildet, dass der Wasserzufluss in jeder Jahreszeit für die
reichbevölkerte Stadt und die Vorstädte ausreicht. Sie vertheilen das Wasser unmittelbar an die Ausströmungsstellen und haben fast
alle Cisternen ausser Gebrauch gesetzt und verfallen lassen, sind dafür aber auch bei einer engeren Belagerung von der Landseite her
unbedingt dem Wassermangel preis gegeben.

Die Cisternen liegen gewöhnlich im Erdboden vertieft, sind mit Futtermauern umgeben und mit Gewölben aus Ziegelsteinen be-
deckt, welche auf schlanken Marmorsäulen ruhen. Die Cisterne Bin-bir-direk oder der Tausend und einen Säule, soll den Angaben von
Hammer's zufolge aus drei Stockwerken über einander bestehen; die Säulen des obersten sind von Mitte zu Mitte 12 Fuss der Länge und
Breite nach von einander entfernt, 24 Fuss incl. Capitäl hoch und 22 Zoll über dem Gurt im Durchmesser stark. Das Capitäl ist ein
einfaches Würfelcapitäl; von Säule zu Säule sind im Geviert Gurtbogen gespannt und dazwischen Kreuzgewölbe aufgeführt, wie Fig. 17.
Blatt XXXVIII. in der perspectivischen Ansicht dieser Gewölbe zwischen zwei Säulenreihen zeigt. Der Länge nach habe ich 15, der
Breite nach 14 Säulen in jeder Reihe gezählt, woraus sich beiläufig eine Gesammtlänge von 192 Fuss und eine Breite von 180 Fuss
ergiebt; bei der Annahme von 30 Fuss durchschnittlicher Höhe würde sich der kubische Raum auf 1,036,800 Kubikfuss, ohne Abzug
der Säulen, berechnen. In dem zweiten Stockwerke, das mir nicht zugänglich war, sollen die Säulen noch 7 Fuss 7 Zoll hoch aus dem
Bodensatze der Cisterne hervor ragen, und aus der Abtäufung eines Brunnens von da an soll sich das Vorhandensein eines dritten
Stockwerks ergeben haben.160)

Ueber die Grösse der Bevölkerung Constantinopels steht nichts Bestimmtes fest. Fergusson161) schätzt dieselbe mit Ausschluss der
Vorstädte auf 360,000 Seelen; nimmt man dieses und den täglichen Bedarf an Trink-, Koch- und Waschwasser durchschnittlich per Kopf
zu \ Kubikfuss an, so würde der tägliche Wasserbedarf für die Stadt 270,000 Kubikfuss16-2) betragen, und die in Rede stehende Cisterne,
alle drei Stockwerke von gleichem Inhalt angenommen, gefüllt das nöthige Wasser auf 10 bis 12 Tage für die ganze Stadt enthalten haben.

Die Situation der Cisterne Bin-bir-direk ist zwischen dem Hippodrom und der sogenannten verbrannten Säule, die früher dem
Forum Constantin's angehörte, nicht weit von der ehemaligen Triumphstrasse; eben dort muss der berühmte Palast des Lausus an-
genommen werden,163) und mit diesem stand die Cisterne des Philoxenos in naher Verbindung.164) Gyllius vermuthet daher nicht mit
Unrecht, dass die jetzt unter dem Namen Bin-bir-direk bekannte Cisterne jene berühmte des Philoxenos sei, welche dem Codinus zu-
folge unter Constantin dem Grossen, also in der ersten Hälfte des IV. Jahrhunderts, erbaut sein soll. Jedenfalls muss diese Cisterne
wegen ihrer Lage im Haupttheile der Stadt und wegen ihrer bedeutenden Dimensionen zu den frühen Anlagen dieser Art gerechnet
werden und ist das Würfelcapitäl ihrer Säulen wohl das älteste Beispiel dieser Capitälform. Gegenwärtig wird in der Cisterne Seide
gehaspelt.

Gyllius beschreibt165) eine von ihm aufgefundene, noch Wasser enthaltende und daher vermittelst eines Kahnes untersuchte Cisterne,
die 336 Fuss Länge und 182 Fuss Breite hatte, mit 336 Säulen, 12 Reihen der Breite und 28 Reihen der Länge nach. Die Säulen waren
40^ Fuss hoch und hatten theils ausgearbeitete, theils unausgearbeitete korinthische Capitäle mit hohen Aufsätzen, welche Ziegelgewölbe
trugen. Er nimmt diese für die von Justinian erbaute cisterna basilica und giebt ihre Lage 80 römische Schritte (ä 5 Fuss) südwestlich
von der Sophienkirche an. von Hammer hält die jetzt unter dem Namen Jere batan Serai (unterirdischer Palast) bekannte und hinter
der Pforte des Grossvessirs liegende Cisterne, welche auch Säulen mit korinthischen, den von Gyllius beschriebenen ähnlichen Capitälen
hat, deren nähere Untersuchung mir bei dem hohen Wasserstande ohne Kahn nicht möglich war, mit der von Gyllius untersuchten für
identisch. Dieselbe liegt aber viel weiter von der Sophienkirche entfernt und zwar in nordwestlicher Richtung. Man muss daher, wenn
die Meinung von Hammer's Geltung haben soll, annehmen, dass Gyllius in Angabe der Lage sich geirrt habe, wofür auch spricht, dass
an der von ihm bezeichneten Stelle jetzt keine so grosse Cisterne bekannt ist.

Eine nähere Untersuchung sämmtlieher in Constantinopel noch vorhandener Cisternen könnte in architektonischer Beziehung eine
interessante Ausbeute gewähren, da, wie gesagt, diese Anlagen durchgängig der älteren Zeit angehören und vermuthlich wenig Um-
änderungen erlitten haben; ein derartiges Unternehmen hat jedoch seine besonderen Schwierigkeiten.

Hat eine unterirdische Wasserleitung, ein Thal durchschneidend, in demselben eine Anhöhe zu übersteigen, so sammeln sich am
höchsten Punkte der Anhöhe Luftblasen, welche, allmälig anwachsend, die Bewegung des Wassers so hemmen, dass die Leitung kein
Wasser mehr ausströmt. Diesem Uebel zu begegnen, werden bei den Wasserleitungen im Oriente an den betreffenden Stellen Wasser-
pfeiler oder Wasserthürme, suterasi von den Türken genannt, errichtet, mit einem kleinen offenen Reservoir im höchsten Punkte, dessen
Wasserspiegel beiläufig in der geraden Linie liegt, welche man sich von der Quelle bis zur Ausmündung der Leitung gezogen denken
kann. Das ankommende Wasser steigt an der einen Seite in Röhren bis zu dem Reservoir hinauf, nachdem es hier seine Luftblasen

BLATT XXXVIII. Fig. 18.
 
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