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FINSTERE FABEL

Chronos — der bekannte Zeitvermessungsrat und
Inhaber des Roten Fadens der Geschichte ■— be-
sagter Chronos saß kürzlich auf einem erlosche-
nen Vulkan, an welchem er sich bei seinem letz-
ten Besuch noch die Hände gewärmt, hatte seine
langen Beine in Spiralen gelegt und reparierte
unlustig an einem Schaltjahr. Bisweilen fielen ihm
aus dem _Werke einige^Tage zur Erde, darunter
eine komplette Sonnenfinsternis.
Als er einige Wochen so gebastelt hatte — ihm
kamen sie wie Minuten vor —, erschien auf der
Landstraße zu seinen Füßen ein magerer Mann
mit einem prallen Sack auf dem Rücken. Das
graue Haar des Mannes zeigte strähnig nach aus-
wärts, seine große Hornbrille auf der Nasen-
wurzel tuckte bei jedem Schritt und wenn man
scharf zuhörte, vernahm man das Rasseln seines
Herzens, ähnlich dem schwachen Vibrieren eines
Reiseweckers. Er setzte seinen Sack mit einem
Ruck fast auf die große Zehe von Chronos,
hüstelte und sprach:

„Gestatten — geht es hier zur Ewigkeit?"
„Immer geradeaus!" sagte Chronos und ließ zer-
streut einen Freitag in eine Wasserlache fallen,

worauf es in Japan ein Erdbeben absetzte. „Aber
warum beeilen Sie sich so? Zur Ewigkeit kommt
man immer früh genug!"

„Ich bin auf der Flucht!" hüstelte der Wanderer
unter deutlichet Benutzung der Molltonleiler. „Ich
habe mein Reich verloren!"
„Nanu? Reich?"

„Jawohl — mein Reich des Geistes, der Wissen-
schaften, Künste und Kenntnisse aller Art. Mein
Name ist Dr. Intellektus."

„Hm, hm", machte Chronos — worauf drei Tage
Westwind eintraten — „wo kommen Sie her, Ver-
ehrtester?"

„Woher soll ich kommen? Aus Deutschiana!"
sprach der Grauhaarige, schulterte seinen Sack
voller Manuskripte und zog müde der Ewigkeit
zu. Chronos stellte seinen Präzisionschronometer:
es war so ungefähr um 1934 herum. Darauf schlief
er für einige Jahre ein. (Worauf zurückzuführen
ist, daß diese Jahre in der Geschichtsfibel ver-
kehrt und auf dem Kopf stehend abgeheftet
wurden.) V

Er wurde wach vom Traben eines Rosses, worauf
ein Reiter in zerschlissener Uniform und mit zer-
fetzter Kopfbinde saß. Das^ Pferd machte einen
baufälligen Eindruck.

„He", krähte der Reiter, der offenbar schon von

V

Geburt an heiser war, „wie komme ich zur Ver-
sprengtensammelstelle?"

„Sind Sie noch nicht versprengt genug?" echote
Chronos höhnisch und blies einen Rauchring in
die Luft der am Bikini-Atoll versehentlich als
Auswirkung einer Atombombe gewertet wurde,
„wer sind Sie überhaupt?"

„Marschall Hmhm!" knurrte der Reiter, „ich habe
mich aus meinem Bereich absetzen'müssen — be-
finde mich auf dem Marsch zum Stützpunkt in der
dritten Dimension."

„Rechts um!" dröhnte Chronos und steckte sich"
gelangweilt eine neue Zigarre an. Es war so um
1945 her-um. „Wo kommen Sie überhaupt her?"
schrie er dem Reiter nach.

„Aus Deutschland — woher sonst?" heiserte die-
ser und verschwand um eine zackige Ecke. Chro-
nos gähnte dreimal und so vergingen drei weitere
Jahre. Da erschien auf einem Fahrrad ein Mann
mit einem riesigen Tintenfaß auf dem Rücken,
offenbar in den letzten Zügen atmend.
„Falls dem keine Bestimmung entgegensteht und
die Zuständigkeitsfrage in Bezug auf meine form-
lose Anfrage nicht im Wege steht, möchte ich
gerne zur nächsten überregionalen Instanz radeln."
„Nanu?" wunderte sich Chronos und riß den
Mund so weit auf, daß ein 10000-Tonnen-Frachter
auf dem Ozean in einem Wasserloch versank,
„wer sind denn Sie?"

„St. Bürokratius — a. D. i. R., z. Zt. in Suspension
— meine Funktionen sind bis auf weiteres ein-
gestellt."
„Woher?"

„Aus "Deutschland, Trizone, Land und Kreis —"
Hier mußte St. Brüokratius einen Satz zur Seite
machen, denn ein riesiger Kraftwagen bahnte sich
seinen Weg. Am Steuer saß ein stiernackiger
Mann mit einem Goldhelm, der- in der Sonne
funkelte.

„Wo geht's nach Deutschland?"

„Den Berg hinauf!" bemerkte Chronos, „aber —

wer sind Sie d^nn?"

„Ich? Der neue Herrscher — mein Name ist
Mammon mit doppeltem mm. Ich gedenke, eine
Diktatur aufzumachen."

Sprach's, gab Gas und entschwand. Chronos
schaute auf seinen Chronometer — es war so um
die Sonnenwende des Jahres 1948 herum.

H. Vollmer

J EI A

In Frankfurt gibt es die Jeia. Die vermittelt den
deutschen Export und Import (Joint Export and
Import Agency).

In einem Städtchen in der Nähe von Frankfurt
kommt ein lediges Fräulein zum Standesamt, um
die Geburt einer Tochter anzumelden.
„Wie soll das Kind heißen?" fragt der Beamte.
„Jeia", sagt das Fräulein,

„Das ist doch kein richtiger Vorname", sagt der
Beamte.

„Warum nicht?" fragt das Fräulein.
„So einen Vornamen hat es bis jetzt nicht ge-
geben", antwortet der Beamte.
„Es hat ja bis jetzt auch keine Jeia gegeben",
erwidert das Fräulein.

„Was hat denn Ihre Tochter mit der Jeia zu tun?"
fragt der Beamte.

„Sehr .viel", sagt das Fräulein. „Es ist vom Aus-
land importiert. Der Vater ist doch ein Ameri-
kaner."

„Und wie ist es mit dem Export?" fragt der Beamte.
„Ich gebe es einer verwitweten Holländerin; die
nimmt es zu eigen an", erklärt das Fräulein.
„Und wie ist es mit dem Bonos?" fragt freundlich
der wißbegierige Beamte.

„Den hab' ich für den Import bekommen", 'sagt
errötend das Fräulein.

Der Beamte ist befriedigt. Das Kind darf Jeia
heißen. Hannes de Vries

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DAS VERBOT

Häufig wird beanstandet, die Sprache amtlicher
Stellen sei nicht klar. Möglich. Kurz und klar aber
ist die Sprache der Polizei auf ihren Verbotstafeln.
So findet man auf dem Münchner Hauptbahnhof
Tafeln angeschlagen, deren eine im wohlberechtig-
ten Kampf gegen finstere Elemente „Schwarz-
markt" und „Dirnenwesen" verbieten („Was sind
Sie für'ein Wesen?", „Ein Dirnenwesen"), deren
zweite aber noch viel prägnanter u. a. erklärt: „Es
ist verboten: Das Benützen der Sitzbänke". Wozu?
Vermutlich zum Sitzen.

Mit Strafen für Zuwiderhandelnde wird dazu ge-
droht. Um alten und. müden Reisenden aber das
Straffällig-Werden zu ersparen, wurden die ver-
botenen Sitzbänke Vorsorglich auch noch demon-
tiert. Das Sitzen auf dem Boden und den Pfeiler-
füßen scheint dafür erlaubt. V.

M. v. d..Recke: FAMILIENBAD"

178
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Familienbad"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Kommentar
Signatur: Mathies von der Recke

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 15, S. 178.
 
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