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H. Busse

Am Batini der Erkenntnis

Ii. Putz: AUS DEM NACHRICHTENBLATT EINER GROSSEN PARTEI

Seite 1 Nachruf

Die Sektion V trauert. Wir können es noch gar
nicht fassen. -Unser Martin Hirtreiter ist nicht
mehr! Unermüdlich im Dienst der Partei, stand er
gestern noch kraftstrotzend vor uns Jnd hielt die
berühmt gewordene Rede über die Wiederein-
setzung der Straßenbahnhaltestelle am Unterlän-
derplatz, da nahm ihm heute früh der Tod das Wort
für immer aus dem Mund. Kein anderes Ereignis
wäre dazu je in der Lage gewesen! Wenn es um
die glücklichere Zukunft unseres Volkes ging,
kannte Kamerad Hirtreiter keine Schonung seiner
Person. Ein unerforschliches Schicksal hat diesem
Idealismus einen jähen Riegel vorgeschoben. Der
verblichene Sektionsleiter wurde ein tragisches
Opfer unserer Zeit, indem er mit dem Auto ohne
genügend Benzinmarken unterwegs war, dann
auch prompt schieben mußte, wobei ihn nach zwei
Kilometer der Schlag traf. Temperamentvoll, wie
unser Martin war, hatte er ganz vergössen, die
Handbremse loszulassen. Seine letzten Worte, die
uns glücklicherweise überliefert wurden, lassen
ihn noch einmal unverfälscht vor unserem Auge
erscheinen. Simmerl, sagte er zu seinem Schofför
(denn als echter Sozialist kannte er keinen fal-
schen Stolz), Simmerl, die Fahrbereitschaft soll der
Teufel holen! So war er! Noch im Tode ein Kämp-
fer für die gerechte Sache! Wir können ihn uns
alle vorstellen, wie er dabei mühsam noch ein-

mal mit der jedem Gegner wohlbekannten und
gefürchteten Bewegung seinen Charakterkopf zu-
rückwarf, daß die Schweißperlen davonflogen, ehe
er ihn endgültig auf die Brust herniedersinken ließ.
Wir werden ihn nie vergessen! Zu Ehren des
Verstorbenen wird die Sektion V vom 15. dieses
Monats an die Bezeichnung „Sektion Martin Hirt-
reiter" tragen. Mögen 6ich alle Mitglieder dieses
Namens würdig erweisen! Das ist das schönste
Geschenk, welches wir dem Kameraden ins Grab
nachsenden können. Der Parteivorstand.

Seite 8 Aufruf!

.... Erblicken wir alle in dem politischen Testa-
ment des Kameraden Martin Hirtreiter die hei-
lige Verpflichtung, umgehend Protestkundgebun-
gen zu veranstalten und beim Verkehrsministerium
entsprechend scharfe Anträge einzubringen! Mar-
tin Hirtreiter soll nicht umsonst gefallen sein!
Sein Vermächtnis darf nicht ungehört verhallen!
Wir werden nicht eher ruhen, bis die Sinngebung
dieses Opfertode.s erfüllt ist! Die Treibstoffzutei-
lungen a_n die Partei müssen mindestens verdop-
pelt werden! Es muß erreicht werden, daß jeder
zweite Liter Benzin, der verbraucht wird, aus
einem mit sofortiger Wirkung gegründeten „Hirt-
reiterfond" stammt!

Das sind wir dem Kameraden schuldig! Ueber Grä-
ber zum Sieg! Der Parteivorstand.

Der Geburtstag - von rose franken

Claudia hielt nichts von Geburtstagen. Sie war der
Meinung, Geborenwerden sei ein zwangsläufiger Vorgang,
bei dem der Mensch weder etwas dazu noch dagegen tun
könne. Weshalb also der Lärm? Und schließlich haben
ja nicht nur die Begabten Geburtstag, sondern jedermann,
nicht?

Rolf, ihr Mann, fand diesen Standpunkt sehr fortschritt-
lich und für sich äußerst bequem.
Als er am 10. Dezember aufwachte, küßte ^er daher seine
junge Frau wie alle Tage und ohne einen Ton zu sagen.
Claudia fühlte ihre Lippen dünner werden. „Vergessen!"
dachte sie. Am ersten Geburlstag nach ihrer Verheiratung
hatte Rolf ein gewaltiges Getöse gemacht, Blumen ge-
bracht und teure Theaterplätze gekauft. Im darauffolgen-
den Jahr die gleiche Sache, aber sie erstickte sie im
Keim, weil sie das Geld lieber für die einsetzenden
Saisonausverkäufe haben wollte. Im nächsten Jahr küßte
er sie und sagte etwas unbehaglich: „Also wirklich kein
Geschenk?" — „Wirklich keines", versicherte sie heroisch
und fühlte sich durch seine Hochachtung vor ihrer Ab-
?eklärtheit und die riesige Bonbonniere mit den Rosen,
die dann dennoch heranrutschten, sehr gehoben. Und so
ging es weiter.

Heuer aber schien Rolf an Amnesie zu leiden. Nichts.
Ja, nicht einmal die rituelle Frage: „Nun, wie ist es,
wenn man sich dem Greisenalter nähert?" Sie hätte ihn
natürlich bei den Ohren genommen, aber besser als die
vollkommene Ignorierung wäre es doch gewesen.
„Ich"mahne ihn nicht", beschloß sie gekränkt und be-
trachtete mit kalter Miene, wie er sich mit unerschütter-
lichem Männerappetit das zweite Ei aufklopfte.
„Was hast du denn?"
„Was soll ich denn haben?"

„Du machst ein Gesicht wie die Jungfrau von Orleans
auf dem Scheiterhaufen. Diese tragische Miene kann ich
von der Welt nicht ausstehen." Gereizt zerbröckelte er
seinen Toast und steckte ihn zerstreut in den Mund.
„Kaue doch nicht so laut! Man braucht ja Oropax!"
„Liebst du mich nicht mehr?"
„Doch ... ein bißchen."

Kaum war Rolf aus dem Haus, rief Claudias Schwägerin
Julia an und sagte, sie sei auf dem Sprung zu einer
Stippvisite an der Riviera und wolle nur schnell noch
vorher zum Geburtstag gratulieren. Das Geschenk folge
nach, als „Mitbringsel". Uebrigens habe sie Plätze für
ein Cello-Konzert zu vergeben. Claudia war nicht be-
geistert, Rolf käme spät nach Hause und überhaupt. ..
Sie fühlte sich dabei als lächelnde Niobe, wischte sich
eine Träne aus dem Auge und hing ein. „Mit unserer
Ehe ist's Essig", dachte sie, „ich muß mich damit ab-
finden."

Nicht einmal ihr kleiner Sohn, Bobby, tat dergleichen.
Er stürmte herein und schrie ohne Präliminarien: „Mutti,
gib mir ein Fünferl!"

Der Morgen schlich hektisch dahin. Auch Bertha, das
Mädchen, schien von einem Geburtstag nichts zu ahnen
und hatte ihr doch noch voriges Jahr einen so herr-
lichen Kuchen gebacken! Heuer war alles anders, eine
Atmosphäre frostiger Gleichgültigkeit schien sich um
Claudia auszudehnen. Um elf Uhr rief Rolf aus dem
Büro an. — „Hallo!"

Claudia lauschte gespannt. Besser spät als gar nicht.
„Hörst du?" Es klang etwas ungeduldig.
„Zu spät, mein Lieber." Sie schwelgte in Selbstzer-
fleischung. „Warum hast du denn nicht heute früh geredet?"
„Heute früh? Da habe ich es ja noch gar nicht gewußt!"
„Nicht gewußt!" Claudias Stimme war ätzender Hohn.
„Walldorfs sind hier!"

Claudia stockte das Blut in den Adern. Dieser Besuch
hing schon seit Monaten drohend in der Luft.

„Nun?" Rolf verlor sichtlich die Geduld. „Was willst du
mit ihnen tun?"

„Ich? Es sind doch deine Bekannten, nicht meine."
„Frau Walldorf war immer nett zu dir", erinnerte Rolf.
„Sie hat dich doch zum Essen eingeladen und dir ihren
Wagen zur Verfügung gestellt."

„Da bin ich viel großzügiger. Ich stelle ihr sogar meirien
Gatten zur Verfügung."

„Quatsch. Auf mich wartet ein Kunde. Was tun wir mit
ihnen?"

„Wenn's gar nicht anders geht, laden wir sie zum Abend-
essen ein. Wann soll's sein?"
„Heute." '.

„Heute?" — Das war der Gipfel. Die Erbitterung
schnürte ihr die Kehle zusammen.

„Warum nicht?" fragte er ahnungslos. „Es handelt sich
ja nur darum, was wir nachher mit ihnen anfangen."
Claudia hatte die rettende Idee. Das Cellokonzert!
„Aber vielleicht sind sie unmusikalisch?" zweifelte Rolf.
„Egal. Wir gehen. Einem geschenkten Gaul..."
Claudia hing ein, wütend auf sich selber. Eiligst rief
sie Julia an und sicherte die Karten. Dann gab sie Bertha
ihre Weisungen. Walldorf war, wie Rolf, Architekt, aber
einer von den ganz erfolgreichen, ergo mußte das beste
Pferd aus dem Stall. Soviel Solidarität konnte der Ehe-
partner erwarten. —

Als Rolf nach Hause kam, bearbeitete Claudia gerade
ihr Gesicht energisch mit Goldcreme.
„Ausgeschnappt, kleine Mufftika?"
„Ich könnte jauchzen. Es ist ja heutzutage ein solcher
Genuß, ein Abendessen zu improvisieren. Arbeit? I wo!
Ein Fest!" Sie war dem Heulen nahe.
„Schluß!" brüllte Rolf. „Jetzt hab ich's wirklich satt.
Was, zum Teufel, ist in dich gefahren?"
Das Herz stand ihr still. Das ging denn doch übers
Bohnenlied. Claudia hielt zwar nichts auf Geburts-
tage ... aber sich auch noch anbrüllen lassen, nein, das
war zu starS. Sie schwieg verletzt und Rolf feuerte
wütend die Badezimmertüre ins Schloß. —
Es klang daher wie schärfste Ironie, als die Walldorfs
partout auf der Ansicht beharrten, Rolf und Claudia
seien das glücklichste Ehepaar der Welt. Sie bewunderten
rein alles. Bobby, den Bertha zu einem blassen Schemen
seines gewöhnlichen Selbst zusammengestriegelt hatte, die
Einrichtung des neuen Haushalts, die sich beim gedämpf- •
ten Licht der aparten Pergamentschirme besonders vor-
teilhaft präsentierte, und das junge Ehepaar, dessen ge-
rötete Wangen und funkelnde Augen nach höchstem Glück
aussahen.

„Sie passen glänzend zusammen", sagte Frau Walldorf
hingerissen.

„Glänzend", pflichtete Claudia mit hölzernem Lächeln bei.
Das Essen zog sich länger- hin als man gerechnet hatte
und schließlich kam man noch knapp zur zweiten Pro-
gramm-Nummer zurecht. In der Pause gingen die beiden
Herren ins Foyer, um eine Zigarette zu rauchen. Frau
Walldorf, die ihre eleganten Pumps drückten, zog es
vor, nicht aufzustehen. „Wie gut, daß das Konzert heute
ist und nicht morgen ..."
„Wieso?"

„Je nun, morgen ist doch der Zehnte..." Spitzbübisch
lächelnd klopfte sie sich auf den Mund.
Claudia glaubte zu träumen. „Der Zehnte, morgen?"
Frau Walldorf wurde etwas unsicher. „Oh, vielleicht hätte
ich gar nichts davon sagen sollen. Aber Ihr Mann ..."
Vor Claudias Augen tanzten Stühle, Saal und Orchester.
Zuhause zupfte sie Rolf an der Nase. „Ich war eine
Gans."

Ohne zu antworten, zog sie Rolf übers Knie. Und es
wurden nicht lauter Liebesklapse . .. nein, wirklich nicht.
Es waren auch ein paar andere darunter.
Aus „DAVID UND CLAUDIA". Deutsch von Helma Flessa

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Baum der Erkenntnis"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Kommentar
Signatur: H. Busse

Maß-/Formatangaben

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Werktitel/Werkverzeichnis

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Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

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Der Simpl, 3.1948, Nr.16, S. 190.
 
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