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KRISE IM INNERN

Zusammenrottierungen aufrührerischer Gedanken
haben in meinem durch die jüngsten politischen
Entwicklungen ohnedies schwer erschütterten Ver-
stand eine unhaltbare Lage geschaffen. Täglich, ja
mitunter auch nächtlich, kommt es zu Demon-
strationen gefoppter Erwartungen, die in aufge-
regten Haufen den Sitz des Gerechtigkeitsgefühls
belagern und stürmisch die Absetzung der bisher
gültigen Logik fordern. Schreie werden laut, wie
„Die menschliche Vernunft hat versagt!" und
„Wahnsinn ist Trumpf", während auf Transparen-
ten, welche mitgetragen werden, in leuchtenden
Farben zu lesen steht: „2X2 = 5!"
Die Unruhen traten zum erstenmal auf, als vor
einiger Zeit Pensionszahlungen an Berufssoldaten
beschlossen wurden, während man der Wieder-
gutmachung an den Opfern des Faschismus kaum
in leeren Redensarten gedachte. Schon damals
wurde die Arbeit des gesunden Menschenverstan-
des durch einzelne Gruppen von Unlustgefühlen
gestört, welche sich Zugang zu den Sitzungen ver-
schafft hatten und in lärmende Pfuirufe aus-
brachen. Dem starken persönlichen Einfluß meines
Optimismus war es zu verdanken, daß schwerere
Ausschreitungen verhindert werden konnten und
mein altbewährtes Phlegma trug das Seinige dazu
bei, die Empörer zu beruhigen.
Nichtsdestoweniger kam es kurze Zeit darauf zu
einem neuerlichen Tumult, als im Radio ver-
kündet wurde, die Liberale Partei Englands pro-

testiere dagegen, daß Brauchitsch und Rundstedt
von S.M. Regierung wegen begangener Kriegs-
verbrechen unter Anklage gestellt werden. Die
Nachricht, daß in der britischen Zone soeben die
erste deutsche „Vereinigung ehemaliger Kriegs-
teilnehmer" lizenziert worden sei, goß weiteres
Oel ins Feuer. Und als gar Dr. Schacht entlastet
wurde, hatte sich genügend Zündstoff angesammelt,
um die Situation für den Generalstreik reif zu
machen. „Wenn dieses Urteil gerecht ist, ist der
großen Masse der durch die Spruchkammern ver-
urteilten Nazis blutiges Unrecht geschehen", er-
klärte der Vorsitzende meines Rechts- und Billig-
keitsempfindens und legte sein Amt nieder. „Der
Krieg ist ganz umsonst geführt worden", pflich-
teten ihm die Verwaltungsräte der Ressorts
„Pazifismus" und „Fortschritt" bei; auch sie stell-
ten ihr Portefeuille zur Verfügung. Einige radi-
kale Elemente, welche anscheinend Morgenluft
witterten, versuchten die Stimmung auszunutzen,
indem sie forderten, ich solle nachträglich der
Nazipartei beitreten, um nicht als Vollidiot dazu-
stehen und ein altes, verrostetes EK I, das sich
zufällig in meinem Besitz befindet, an meinem
Rockaufschlag befestigen. Glücklicherweise gelang
es, die abgefeimten Agitatoren noch rechtzeitig
aus dem Saale zu drängen.

Tags darauf wurde der Generalstreik proklamiert.
Alle Verhandlungen zwischen dem Ministerium
meines Inneren einerseits und den Fraktions-

BESUCH AUS LEIPZIG

„Ach, iss es bei eich scheen und die Sichl ohnoch ohne Hammr.'

führern der Langmut, Toleranz und Nachgiebig-
keit andrerseits sind bis dato ergebnislos ver-
laufen. Zu einer Einigung über die Wiederher-
stellung des seelischen Gleichgewichtes kann es
so lange nicht kommen, als sich die Koalition
von Gefühl und Vernunft zum Narren gehalten
weiß. Unter den Funktionären des Gehirns macht
sich eine defaitistische Stimmung bemerkbar,
welche jede Tätigkeit als unnütz ablehnt, da wir
auf dem Wege, den wir beschreiten, über kurz
oder lang zu einer neuen, getarnten Art des
Faschismus und Militarismus gelangen müssen.
„Es stinkt näch Reaktion", höhnt der Instinkt und
versagt seine Mitarbeit.

Angesichts dieser völligen Lahmlegung meines
geistigen Lebens bleibt mir nichts übrig, als den
Ausnahmezustand über sämtliche, meiner Juris-
diktion unterstehenden Gebiete zu verhängen.
Derselbe tritt in Kraft ab 0 Uhr mitteleuropäischer
Zeit heute nacht, und von dann an will ich meine
Ruhe haben.

Ordnungsmänner des Selbstbehauptungstriebes
patrouillieren in allen Sektoren des Denkver-
mögens und halten die Zugangsstraßen zur Seele
besetzt. Sämtliche Nervenstränge werden von
Doppelposten bewacht. Erinnerungen, welche aus
dem Gedächtnis auftauchen wollen, bedürfen hiezu
einer besonderen Genehmigung in Form eines
Passierscheines. Verdächtige Ideen werden sofort
festgenommen und perlustriert. Ansammlungen
irgendwelcher Art werden nötigenfalls mit Akro-
batengewalt verhindert. Das Lesen gewöhnlicher
Tageszeitungen und politischer Zeitschriften ist
bis auf weiteres verboten; zur Lektüre zugelassen
sind lediglich Witzblätter und Bücher, welche
vor 1933 erschienen. In ihrem eigenen Interesse
wird der Bevölkerung angeraten, vom Abhören
lokaler Radioberichte Abstand zu nehmen, da sich
sonst Brechreiz, Uebelkeit und andere Leiden ein-
stellen, für die unter den obwaltenden Verhält-
nissen Gegenmittel nicht erhältlich sind.
Wohlunterrichtete Kreise sagen voraus, daß die
gegenwärtige Krise mit dem Hereinkommen neuer,
auswärtiger Geistesnahrung in etlichen Wochen
überwunden sein wird. Da ähnliche Gleichgewichts-
störungen nicht nur in mir, sondern in zahlreichen
anderen Individuen zu beobachten sind, besteht
die Hoffnung, daß weiteres Herabtröpfeln von
Reaktion den Krug, ganz allgemein gesprochen,
doch einmal zum Ueberlaufen bringen wird, woraul
nach der Erfahrung, daß „es nicht immer nach
einer Seite hängt", eine Rückkehr zur Besinnung
möglich sein sollte.

Bis dahin gilt als Leitsatz der bekannte Schlager,
in den, von dem Gesagten ausgehend, ein be-
sonderer, zeitgemäßer Sinn zu legen ist:
„Der Theodor, der Theodor
Steht unverrückt am Fußballtor . . .
Wie der Ball auch kommt, wie der Schuß auch fällt:
Der Theodor, — der hält, — der hält!"

Walter F. Kloeck

KLEINE CHRONIK

„In Erledigung Ihres Kreditantrages teilen wir Ihnen mit,
daß wir denselben zu unserem Bedauern nicht bewilligen
können. — Heil Hitler! — Waren-Kredit-Gesellschaft des

Hamburger Einzelhandels." Geschrieben am 3. 7.....

1938? .... nein, Sie irren sich! .... geschrieben am
3. 7. 1948. Und da gibt es immer noch Leute, die glau-
ben, Hitler sei tot!

„Ich bekenne mich auch heute noch zur Weltanschauung
meines Mannes", sagte mit Nachdruck Emmy Gering vor
der Spruchkammer. Wieder ein Bekenntnis! Vermutlich
aus diesem Grunde darf sie 70°/o ihres Vermögens be-
halten. Deutsche Spruchkammern haben es noch nie an
Verständnis fehlen lassen.

*

„Ich war Leutnant. In der Normandie schoß ich einen
Panzer ab" usw. usw. Mit diesen und ähnlichen Worten
stellten sich die Kandidaten der neu zu wählenden
Studentenvertretung der juristischen Fakultät auf der
Universität Hamburg ihren Wählern vor. 32 ehemalige
Offiziere der Hitlerwehrmacht wurden ohne weiteres ge-
wählt, nachdem sie ihre militärische Karriere stolz auf-
gezählt hatten. Einer betonte sogar, im Verdacht der
Werwolfstätigkeit gestanden zu haben; was ihm brausen-
den Beifall eintrug. Gegen diese zukunftsfrohen Jünglinge
wurde praktisch nichts unternommen. Aber vermutlich
werden sie Verschiedenes unternehmen, sobald sie in diJ
führenden staatlichen Stellen gelangt sind.

*

DPD (Deutscher Pressedienst) „berichtigt":--achtuag

— redaktionen--in der meidung nr. 119 vom 22. 7.

„kein prozess gegen brauchitsch, rundstedt und manstein"
muß der rang jeweils generalfeldmarschall heißen . . .
Muß er das? Für den DPD steht das außer Frage!
Wo kämen wir hin, wenn man Hitlergenerälen die nötige
Reverenz versagt. Das wäre gegen jede Tradition der
Nachkriegszeit. Die ganze „teutsche Ordnung" würde ja
sonst umgestoßen werden. — Wir gehen herrlichen Zeiten
entgegen! Glossator

219
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Besuch aus Leipzig"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Kommentar
Signatur: HEHU

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
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Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 19, S. 219.
 
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