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WINCKELMANNS KLEINE SCHRIFTEN

KLEINE AUFSÄTZE ÜBER GEGEN-
STÄNDE DER ALTEN KUNST .

ERINNERUNG
ÜBER DIE BETRACHTUNG DER ALTEN KUNST

WILLST du über Werke der Kunst urteilen, so
sieh anfänglich hin über das, was sich durch
Fleiß und Arbeit anpreist, und sei aufmerksam auf das,
was der Verstand hervorgebracht hat. Denn der Fleiß
kann sich ohne Talent zeigen, und dieses erblickt
man, auch wo der Fleiß fehlt. Ein sehr mühsam ge-
machtes Bild vom Maler oder Bildhauer ist in diesem
Sinne mit einem mühsam gearbeiteten Buche zu
vergleichen. Denn, wie gelehrt zu schreiben nicht
die größte Kunst ist, so ist ein sehr fein und glatt
ausgepinseltes Bild allein kein Beweis von einem gro-
ßen Künstler. Was die ohne Not gehäuften Stellen
oft gar nicht gelesener Bücher in einer Schrift sind,
das ist in einem Bilde die Andeutung aller Kleinig-
keiten. Diese Betrachtung wird dich nicht erstaunen
machen über die Lorbeerblätter an dem Apollo und
der Daphne von Bernini, über das Netz an einer
Statue in Deutschland vom altern Adam aus Paris.
Ebenso sind Kennzeichen, an welchen der Fleiß
allein Anteil hat, nicht fähig zur Erkenntnis oder
zum Unterschiede des Alten vom Neuen.
Gib Achtung, ob der Meister des Werks, welches
du betrachtest, selbst gedacht oder nur nachgemacht
hat, ob er die vornehmste Absicht der Kunst, die

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