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Nr. 98.

Preis pro Nummer 10 Pfennig

1890

Erscheint monatlich zweimal.

Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Kolporteure, sowie durch die Post (eingetragen unter Nr. 6326 a).

Blitzdrahrmcldmigcn.

Berlin. Zur Feier des ersten Mai ist die ganze Stadt beflaggt.
Abends Illumination, wobei jedem Reaktionär über die Bedeutung der
verkürzten Arbeitszeit ein Licht aufgesteckt wird. Oberbürgermeister
Forckenbeck spendet den städtischen Straßen-, Gas- und Wasier-Arbeitern
ein Festessen, v. Kleist-Retzow hält die Festrede.

Leipzig. Das Hindern des Götzendienstes wird jetzt strenge
bestraft.'" Ein Arbeiter vertobackte einen Studenten, der bei der Wahl
Götzen diente, und erhielt dafür 10 Monate Zwickau.

Elberfeld. Damit auch beim Reichsgericht am 1. Mai alle Arbeit

ruhen könne, hat Staatsanwalt Pinoff seinen Einspruch gegen die Frei-
sprechung der Sozialisten zurückgezogen.

Paris. Nachdem über das Verbot der Kinder-Arbeit inter-
nationale Einigung erzielt ist, wird man hoffentlich auch die chauvinistische
Nationalitäten-Verhetzerei verbieten, denn es giebt keine Arbeit,
die kindischer ist, wie diese.

Afrika. Bana Heri hat den allgemeinen Streik prokla-
mirt und verhält sich den Deutschen gegenüber unthätig, weshalb das
Geschäft des Lorbeerpflückens auch bei den Wißmännern gänzlich dar-
nieder liegt.

Zum 1. Mai.

Sänger des Volkes, greife zur Leyer!

Rauschet, ihr Saiten, gewaltig und frei!

Heute ja gilt's der Verbrüderungsfeier,

Gilt es der Feier vom Ersten des Mai.

Fern von der Themse nebligem Strande
Bis zu dem sonnigen Ufer des Po —

Einig die Völker in jeglichem Lande,

Reichen die Hände sich muthig und froh.

Streben vereint nach dem Ziele, dem hehren!
Männer der Arbeit, wacker und schlicht,

Heben die Häupter, die sorgenschweren,

Heben die Blicke empor zum Licht.

Steigen hervor aus den rüstigen Hütte»,

Auf aus der Berge ewiger Nacht,

Wo sie geschafft und gekämpft und gelitten
Werden bewustt sich der eigenen Macht.

Aber kein Haffen trieb sie, kein Grollen,

Dast sie sich einten, zu Thaten bereit —

Herrlich ein friedliches Banner entrollen
Sie in dem tobenden Kampfe der Zeit.

Acht Stunden Arbeit! in rüstigem Schaffen
Wollen sie tragen, wie Atlas die Welt,

Nimmer im fleistigen Wirken erschlaffen,

Welches die Menschheit ernährt und erhält.

Acht Stunden Ruhe! im Schlummer der Frieden
Nach der Gewerkschicht verzehrender Hast,

Unverkürzt sei er dem Braven beschieden,

Wenn er getragen der Arbeit Last.


Acht Stunden Muste! die Wonnen geniesten,

Welche die Erde entfaltet so frei,

Sich freuen, wo liebliche Blumen spriesten,

Und athmen die Düfte im blühenden Mai;

Werke der Denker und Dichter zu lesen,

An Kunst zu veredeln den strebenden Sinn,

Erkennen des Menschengeifts Walten und Wesen,
Zum eigenen und zu des Volkes Gewinn;

Liebend als Gatte und Vater zu wachen
Ueber die Seinen in Ernst und Spiel,

Zu lauschen dem glücklichen Kinderlachen —

Kurz: acht Stunden Mensch sein! ist es zu viel?

Ihr, die Ihr stolz auf des Lebens Höhen
Wandelt und nicht in die Tiefen schaut,

Nur schwer könnt die Sprache des Volks Ihr verstehen,
Drum tönet die Losung so mächtig, so laut!

Wer ihr Gehör auch noch wollte versagen,

Wisse: die mahnende schweigt nicht mehr!

Laut wird sie von Lande zu Lande getragen,

Laut donnert sie über die Meere daher!

Einig die Arbeitsmänner der Erde
Ordnen die Reihen und ziehen auf Wacht,

Sind heute nicht mehr die ziellose Heerde,

Bilden der Zukunft erstehende Macht.

Freudig darob nns're Herzen erglühen!

Wallend erhebet das Banner sich frei!

Bald wird der Lorbeer des Sieges erblühen
Der muthigen Losung vom ersten Mai!

ML K.

Hierzu eine Beilage.
 
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