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Stuttgart, de» 17. September

1910

Perwahrejacpb

:: Gedenkblatt an den Internationalen Sozialisten- und Gewerkschafts-Kongreß :

Die Internationale in Kopenhagen.

28. August bis 3. September 1910.

Vor dem lebenslustigen, farbenleuchtenden
Ziegelbau des neuen Kopenhagener Rathauses
steht eine mächtige Bronze-Vase, deren rot-
stammender Geranienschmuck über den weiten
Platz glüht, wie ein mitten in der Stadt aus-
geprägtes Sigel der Internationale. Sieht man
sich das Kunstwerk näher an, so geivahrt man
ringsum Reliefs, die offenbar die Berufe ver-
sinnbildlichen: Die verschiedenen Bauhand-
werke, Maschinenindustrie, Schneiderei. Ist das
ein altes Wahrzeichen der Zünfte? Unmöglich;
denn unter den Gewerben finden sich auch die
modernen Verkehrsbetriebe der Eisenbahn und
der Post veranschaulicht. Und man erfährt:
Diese Bronze ist ein Geschenk der sozialdemo-
kratischen Gewerkschaften an die Stadt. Wo
in der Welt haben die Arbeitervereinigungen
einer Weltstadt solche Stärke und so viel Selbst-
bewußtsein erlangt, daß sie stolz und freigebig
ihrer Stadt, deren Bürger sie sind und die

sie verwalten, ein solches Geschenk stiften! Wenn
einstens die Bronze edel verwittert sein wird
und ehrwürdig in der Dieife der Zeit schim-
mert, dann wird man sie als ein Denkmal
preisen, das eine neue Zeit kündete, die Demo-
kratie der Arbeit. Dänemark ist das Vorland
der proletarischen Bürgerfreiheit geworden,
und das ist eine Schutzwehr der Verteidigung,
die fester und unüberwindlicher ist als die
Hasenbefestigungen, als die künstliche Insel,
die man in das Meer baute, um die Stadt
gegen die fremden Panzerkolosse zu gürten.

Bismarck wollte einst der Sozialdemokratie
eine Provinz übergeben, damit sie zeigen könnte,
was sie alles nicht vermöchte. Nun, in Kopen-
hagen hat sich das sozialistische Proletariat ein
Reich in zäher Arbeit und tapferem Kampfe
erobert, und dieses Reich blüht hell und
fröhlich, und des rüstigen Schaffens ist kein
Ende.

Hier herrscht Freude und Freiheit. Der
Fremde, der aus Deutschland oder gar ans
Preußen kommt, atmet sofort andere Luft. Er
sieht auf Schritt und Tritt Unerhörtes. Er
fährt in der Straßenbahn. Vom Schaffner
empfängt er ein winziges Stückchen Papier,
das er aus einer Kapsel losreißt. Dann be-
merkt er erschreckt, daß der Fahrgast den Wert-
zettel nicht nur wie achtlos, sondern mit einer
gewissen demonstrativen Geste wegwirft. Was
wird es geben, wenn der Kontrolleur kommt!
Aber auch die anderen Kopenhagener machen
es so, und kein Kontrolleur naht, Schrecken
verbreitend. Man erkundigt sich nach der un-
begreiflichen Erscheinung und man vernimmt:
Einmal wollte die Straßenbahngesellschaft, die
noch in privaten Händen ist, Kontrolleure ein-
führen. Über dieses Polizeimißtrauen ergrimmte
die Bürgerschaft. Man verschwor sich, die
Scheine als Protest fortzuwerfen. Es geschah
 
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