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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 19.1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.8186#0180
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<ss Zweite Beilage zum wahren Jacob m. no.

Max Hegel.

Der grimme Schnitter Tod schlägt seine
Sense unbarmherzig in die Reihen unserer alten
Parteigenossen. Einer nach dem Andern fällt
ihm zum Opfer; in bunter Reihe gehen sie
dahin, bald ist es ei» Organisator und Agitator,
bald ein Mann der Feder, — wie lange noch?
— und die alte Garde wird abgelöst sein von
der jungen Garde, die ihre Legitimation zum
Marschiren und Dreinschlagen bereits voll-
giltig in der Tasche hat. Wenn
die Alten auch hier und da
murren und knurre», daß die
Jungen nicht immer nach der
guten alten Marschroute sich be-
wegen, so ist das verständlich
und in Folge dessen auch ver-
zeihlich: die Jugend will in ganz
landläufigem Sinne nustoben;
ste stößt dabei auf neue Wider-
stände, die neue Mittel zum
Ueberwinden zu erfordern schei-
nen und manchmal ist die liebe
Jugend im Recht und das Alter
im Unrecht. Ist das Umgekehrte
der Fall — was recht häufig
Vorkommen dürfte — so half
noch immer die „Autorität" aus
der Klemme, die Einigkeit hat
nicht darunter gelitten.

„Arbeitsmänner, Leidgefährten,

Die ihr einzeln kämpft und ringt.

Unfern Feind, den stark bewehrten
Nur die Einigkeit bezwingt.

„In den Kampf für seine Rechte
Trete jeder Proletar,

Daß allein nicht länger fechte
Eure kleine kühne Schaar.

„Was ihr nie zu schaffen meinet.
Glaubt, vereinigt wird's euch leicht.
Was euch jetzt unmöglich scheinet
Habt ihr dann im Spiel erreicht.

„Ja, es bricht der Morgenschimmer

Einer neuen Zeit herein;

Aber dies vergesset nimmer:

Einig, einig müßt ihr sein!"

So sang unser am 10. August
ln München verstorbene lang-
jährige Mitarbeiter Kegel zu
einer Zeit, wo die Wogen des
Kampfes zwischen Lassalleanern
und Eisenachern über die Ufer
zu schäumen drohten. Sie haben
sich wieder eingebettet und stolz
und mächtig fließt heute der Strom der Ar-
beiterbewegung einher; weder das Sozialisten-
gesetz noch die grimmen Verfolgungen haben
ihr zu schaden vermocht, die Einigkeit unserer
Partei steht fester denn je da, — das Dichter-
auge Kegels hat damals sicher in die Zukunft
geblickt. * *

Es war im Jahre 1888, als Max Kegel und
Wilhelm Eichhoff, beide in München an den dor-
tigen Parteiblättern beschäftigt, den Entschluß
faßten, nach Stuttgart überzusiedeln, wo Kegel
in die Redaktion des „Wahren Jacob" eintrat,
der „alte Eichhoff" als Redakteur in das
„Schwäbische Wochenblatt", den Vorläufer der
„Schwäbischen Tagwacht". Eichhoff blieb
dauernd in Stuttgart, wo er am 21. Mai 1895
starb, während Kegel kaum ein Jahr in der
„Stadt am Nesenbach" aushielt; eine un-
überwindliche Sehnsucht zog ihn wieder nach
München. Er meinte, „in der Stuttgarter
Luft sei es nicht zum Aushalten", nur an der

Isar könne er „die nöthige Anregung finden,
die er nun einmal zum Schaffen brauche".
Seit jener Zeit ist Kegel Mitarbeiter des
„Wahren Jacob" geblieben. Die schwere Krank-
heit, von der er Anfangs dieses Jahres be-
fallen wurde (Gesichtsrose, verbunden mit einem
rheumatischen Leiden) ist trotz längeren Auf-
enthaltes an den Gestaden des Gardasees nie
vollkommen geheilt worden; Kegel starb, wie
schon mitgetheilt, am Sonntag den 10. August
in seinem geliebten München an Herzschwäche.

In Nachstehendem bringen wir die Selbst-
biographio Kegels, die er seinen Gedichten
(veröffentlicht in der „Sammlung Deutscher
Arbeiterdichtung") voranstellte.

„Max Kegel wurde 1850 zu Dresden geboren,
seine Mutter war eine arme Näherin; in der
Selekta in Friedrichstadt-Dresden erhielt er
seine Schulbildung. Im Jahre 1864 kam er
zu einem Buchdrucker in die Lehre. Während
der letzten Schuljahrs und in der fünfjährigen
Lehrzeit — mit zwei bis vier Mark wöchent-
lichem „Kostgeld" — lernte er alle Bitternisse
der tiefsten Armuth gründlich kennen und trat,
als er im Jahre 1869 ansgelernt hatte, sofort
der sozialdemokratischen Partei Eisenacher Rich-
tung bei, welche damals unter Führung von
1>r. A. Otto-Walster und Knieling in Dresden
ihre ersten Mitglieder sammelte. Als 1871
der „Dresdener Volksbote" und das erste sozial-
demokratische Witzblatt „Der Nußknacker" in
Chemnitz erschien, wurde Kegel Mitarbeiter
dieser Blätter und trat 1872 in die Redaktion

des „Volksboten" ein, wo er von vr. Walster
im Redaktionsfache geschult wurde, auch neben-
bei die Klemich'sche Handelsakademie besuchte
und sich durch Selbststudium in Volkswirth-
schaft rc. unterrichtete. Seitdem ist Kegel im
Dienste der Sozialdemokratie journalistisch
thätig; er übernahm 1873 die Redaktion der
„Chemnitzer Freien Presse", betheiligte sich
1875 als Delegirter am Vereinigungskongreß
in Gotha, wurde 1877 wegen Preßvergehen
mit Gefängniß und Geldstrafen belegt und
ging 1878, als die „Chem-
nitzer Freie Presse" dem So-
zialistengesetz zum Opfer fiel,
nach Berlin als Feuilleton-
redakteur eines neugegründeten
Parteiblattes, der „Berliner
Nachrichten". Dieses Blatt
wurde jedoch beim Erscheinen
der ersten Nummer schon unter-
drückt; Kegel wandte sich nach
Dresden, wo gerade sämmtliche
Redakteure der sozialdemokra-
tischen „Volkszeitung" verhaftet
waren, übernahm die Redaktion
undalsdasBlattwenigeWochen
darauf unterdrückt wurde, rief
er in Gemeinschaft mit Schlüter
die „Dresdener Presse" und nach
deren Verbotdie „Abendzeitung"
und das Witzblatt „Hiddigeigei"
ins Leben. Letztere beiden Blätter
bestanden unter fortwährenden
Polizeimaßregelungen und küm-
merlichen pekuniären Verhält-
nisse» bis 1881, daitn wurden
sie unterdrückt, jede Neugrün-
dung vereitelt und Kegel wurde
wegen Verbreitung des „Sozial-
demokrat" zu drei Monaten
Gefängniß verurtheilt, außer-
dem wegen Fortsetzung ver-
botener Blätter, Theilnahme
am Wydener Kongreß rc. unter
Anklage gestellt. Im Herbst
1881 aus dem Gefängniß ent-
lassen, arbeitete er zunächst als
Gerichts- und Landtagsreporter,
ging im Februar 1882 nach
München an die „Süddeutsche
Post" und schuf in Gemeinschaft
mit Viereck wieder ein Witzblatt,
den „Süddeutschen Postillon",
den er bis 1888 redigirte. 1883
stand Kegel vor dem oberbaye-
rischen Schwurgericht wegen Beleidigung eines
sächsischen Infanterieregiments, begangen durch
Artikel über Soldatenschinderei, wurde aber frei-
gesprochen. Noch im selben Jahre wurde auch
die „Süddeutsche Post" unterdrückt. Kegel ging
als Landtagskorrespondent noch einmal nach
Dresden, wurde dort auf Grund falscher

Denunziation verhaftet wegen angeblicher Auf-
reizung zur Steuerverweigerung und ging, nach-
dem diese Affaire erledigt war, 1884 nach
Nürnberg, wo er die „Bayerische Gerichts-
zeitung" heransgab und an Grillenbergers

„Fränkischer Tagespost" mitarbeitete. Im
Jahre 1887, als der Reichstag aufgelöst wurde,
die hervorragendsten Führer der Sozialdemo-
kratie im Gefängniß saßen und die Blätter-
verbote sich mehrten, gab Kegel zum Ersatz
der verbotenen „Thüringer Waldpost" die
„Arbeiterzeitung" heraus, welche an Stelle
unterdrückter Blätter sofort in über zwei-
hundert deutschen Städten und Ortschaften
eingeführt wurde und in die Agitation der

Zweite Beilage zum „Wahren Iacob" Är. 42018, 1902.
 
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