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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 20.1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.6612#0063
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Zeichnung i'oit Äans (£>. JcnftfcB.

Ascherinittrvochs-Rhaxsodie

Don Ernst Kreott>«fi.

Wie feuriger Wolkenzug
Klügelte mein ruhloser Geist
Gb dem Gefilde.

Leise ging der Atem der Winternacht,
Als fürchtet' er

Zu scheuchen den Schlaf der Ratur;

And Sternendämmer
Klirrte verlorenen Strahls
Aeber die Höhen und Tale. —

Wir aber lenkte dämonischer Zwang
Ten Willen zur großen Stadt.

Lüstern himmelan

Blähte sich ihr gigantischer Leib.

Ter gärenden Tiefe entragten,

Ernsten Gewissensmahnern vergleichbar.
Glockenbeschwingte Türme;

Toch trutzig genüber
Reckten riesig die Schlote sich aus,
Promethische qualmige Glut
Ins Universum verhauchend... .

Wo bist du, flutendes Leben!

Traumberückt durchschreit' ich die Gassen,
Wo hinter den Häusermauern
Myriaden Schicksalslose
Blind gewürfelt sich äffen und jagen,
Toch unaufhaltsam weiter

Treibt mich Lustbegier-

And über mir

Schlägt des Genießens Wogenschwall
Purpurn zusammen. . ..

Wo bin ich?

Wohin verlor sich mein Sinn?:

Wie Höllenglut umgleißt es mich,

Wie teuflische Brut umkreist es mich:
Bunt maskiert, mit Klitter behängt
Tie Menge brünstig vorüber drängt,

Sich narrt und äfft, sich küßt und liebt —
And wie Hexenspuk auseinanderstiebt. . . .

Tas ist des Lebens Mummenschanz!

Tas ist der Tierheit Bacchanal!

Wem einsamtönig Tag um Tag
Von der flirrenden Merkelspule floß,

Wen sklavische Pflicht und kleinliche Sorge
Zu asket'scher Entsagung bezwang,

Gder wem unheilbar Siechtum
Die Körner im Stundenglase gezählt:

Er rafft sich aus zum slücht'gen Genuß!
Und wem irdische Glut verzehrend
Brennt in den Adern,
wem der Sitte gefeite Satzung
Stickig Geist und Seele beklemmt:
Hohnlachend bricht er die Kessel entzwei
Und stürzt sich befreit ins Kaschingsgewühl!

Wechsel ist Leben! Ruhe — der Tod!
Gder wer weiß es, wer kann es ahnen.

Wie ihm der Zukunft Würfel fallen . ..?
Schneller, als sie genaht,

Enteilen die lockenden Stunden —

And in der bänglichen Brust
Dämmern die Aschentage empor. . . .

Geh in dich, sündiger Lrdensohn!

Hast du, schlemmend im llebersluß,
Deiner armen Brüder gedacht:

Gespeist, wen der Hunger fraß,

Getränkt, wen gedürstet nach Labe?

Hast du gekleidet den Dürftigen,

Da er frosterstarrt dein Mitleid erflehte?
Schützend Gbdach gewährt
Dem Heimatberaubten?

Der Tröstung Arznei

Gespendet dem Schwachen und Kranken?

Geh in dich!

Beuge schuldig dein Haupt!

Sprich! Und was tatest du.

Dem Anrecht zu wehren,

Der Lüg' und Gemeinheit?

Verschloß sich nie dein Herz und Ghr
Dem Schrei nach Recht und Gerechtigkeit,
Rach Kreiheit und menschlicher Würde?
Schlich nie auf Keiglingspfaden dein Kuß?

Und sprich! Halfst brechen du je
Die Knechtschaft des Volks?

Trug mannhaft deine Hand

Des Wissens Leuchte in seine Reihen,

Warst du sein Panzer und Schwert . ..?

Du schweigst . . . doch wisse: jedem
Schlägt der Vergeltung Stunde!

Wenn der Rausch dionysiseher Lust verflog,
Wie Rosendufthauch vor Pestgestank,
Wenn träge das Blut und bleiern das Hirn -
Dann wird alles Dasein so freudlos und
schal. . . .

Schau um dich her!

Wo Glück und Eintracht sonst
Die Herzen wonnig umschlang,

Alpt Unfried' jetzt und höllischer Gram —
Vom Elternhause hier wankt ein Sproß
Verstoßen, verflucht in die Welt hinaus;
Da weint verlassen ein junges Weib
Schmählich getäuschter Liebe nach.

Und dort am offenen Grabe

Greise Eltern der Tochter — dem Sohn...!

Wohin dein Blick sich wendet:

Irrnis, Händeringen und Tränen!

Wohin dein Ghr zu lauschen geht:
Wehklag' und stöhnender Jammer . . .!

Da packt es furchtbar dich an!

Da ringelt es sich wie Schlangengewürm
Unheimlich kalt um deine Brust,

Dich würgt der Ekel, dich frißt die Reue —

Wehre, so du vermagst, der Äual!
Betäube dich, — lache, — scherze, — singe!
Laufe, geschüttelt von hündischer Angst,
Gebete winselnd zum Pfaffen hin;
Erkaufe mit Haufen roten Golds
Der Kirche Vergunst und Salbung dir;
Und schmeichle dien'risch gebückt

Den Götzen der Macht als Vasalle-

Aimmer entrinnst du deinem Geschick:

Es muß sich erfüllen!

Ach, oft schon sah ich's —

Und werde oft es noch sehn. . . .

Wie immer kommen die Zeiten und gehn

Mit ehern-gleichem Pendelschlag!--

Wie immer hockt das Gespenst der Rot
Hohlwangig und bleich vor des Armen Tür!
Sein wärmend Keuer beim Herde verlosch.
Sein Krohsinn erstarb und sein Glaube ver-
darb. . . .

Doch in den zerweinten Augen brennt
Des Hungerwahnsinns fieb'rische Glut!
Doch von Milliarden Lippen gellt
Des Elends Kluchschrei heiser durchs Land —
Und pocht umsonst an des Reichen Palast....

Verschließt euch doch, ihr Satten und
Krohen,

Verhängt die Kenster, verrammelt die Tore!
Das ist kein prickelnder Rervenschmaus,

Das ist kein orgiastischer Klang-

Gleich wie ein Rons tslcsl flammt's
An eurem wüsten Himmel empor!

Und wie ein zorniges Strafgericht
Rollt's drüber weg mit Donnergekrach! —

Lest ihr die züngelnde Schrift?
Vernahmt ihr den Kluch . ..?

Der Trubel verrauscht — die Lust erstirbt
Schlaftrunken beim weckenden Hahnen-
schrei —

Rot steigt und schwelig der Morgen auf
Und übertüncht das Ghaos der Welt. . . .

Wohl ewig wechseln so Tag wie Rächt,
Doch wandelt sich mälig die Natur!

Mit dem Winter führt der Sonnengott
Run wieder sieghaft den Herrschaftskampf!
Vom Bogen schwirrt sein goldncr Pfeil,
Und weicher Tauwind von Süden her —
Da birst das Eis und das Erdreich schwillt
In lenzlichen Wehen, in zeugender Kraft!
Da kehren sie wieder, die herrlichen Tage:
Voll neuer Hoffnung belebt fiel) die Brust! —

Vom Llendspsühl, wo zermartert er lag,
Erhebt sich frohgemutet der Mensch:

Mit zukunftleuchtigem Auge

Prüft er sein Arbeitsgeräte —-

Und siehe! wieder wie einst
Lntlodert die Klamme des Herds!
 
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