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9460

♦ Kuferstehungstag r>

Jin jeöes Kreuz gehangen/
mit jedem Dorn geritzt/
voll Beben und voll Bangen/
vom Blute ganz bespritzt/
zerstochen und zerhauen/
mit jeder Not vermengt/
in Nacht und dunkles Grauen
ist diese Jett versenkt.

Zutiefst in Bann und Banden
und jedem Zwange feil/
wird jetzt zu Spott und Schande»,/
was unser bestes ^eil.

Oer Mensch ist hart gebettet
in dunkler Zelsenklust.

Wann kommst dv/ der ihn rettet
aus seiner ^rauergrust?

Wilhelm Stolle.

Im Alter von 76 Jahren ist am 11. März der Reichs- und
Landlagsabgeordnete Wilhelm Stolle in Gesau gestorben, der
zu den ältesten Vertretern der Partei in Sachsen gehört hatte.
Km 19. Dezember 1842 zu Frankenhausen geboren, wandte
er sich dem Gärtnerberuf zu. Jm Jahre 1863 wurde er mit
Motteler bekannt, der ihn der Parteibewegung zuführte •
er verlor aber unter dem Sozialistengesetz durch den Zu-
sammenbruch des Grimmitschauer Parteiorgans, an dem er
beteiligt war, seine wirtschaftliche Existenz. Erst im Jahre
1880 konnte sich Wilhelm Stolle wieder als Gasthofbesitzer
in Gesau niederlassen, von 1881 ab bis heute war er mit
kurzer Unterbrechung Vertreter des Erimmitschauer Ureises
im Reichstag, ferner von 1877 bis 1899 und seit den letzten
Wahlen wieder Mitglied des Sächsischen Landtags. Bei der
im Kriege eingetretenen Spaltung schloß er sich den Unab-
hängigen an. Die rastlose und opferwillige Arbeit, die er
von Jugend auf für die Partei verrichtet hat, wird ihm ein
ehrendes Andenken sichern.

Kriegslieferanten.

„So, nun sind die schönen profitlichm Tage
für uns auch zu Ende."

Feldpostbriefe.

XCIV.

Lieber Maxe! Jetzt bat unser Freund Fritze
Lehmann aus die Ackerstraße plötzlich das
Eiserne Kreuz bekommen. Du wirst Dir dar-
über wundern, weil derselbe in die Verfressen-
heit stets erste Nummer war, sich aber von
sonstige kriegerische Talente niemals etwas
hatte merken lassen. Das frohe Ereignis voll-
zog sich folgendermaßen.

Fritze hatte neulich seinen Geburtstag ohne
meine Mithilfe feiern müssen und sich dadurch
den Magen dermaßen verdorben, daß er eine
Woche ins Revier zubringen mußte und auf
Hungermast gesetzt worden war. Wie sie ihm
als geheilt losließen, hatte seine Freßgier alle
Grenzen der natürlichen Anständigkeit über-
schritten und keine Stiefelsohle war vor seinen
Appetit sicher. Leider befanden wir uns da-
mals gerade in eine sehr schlechte Verpflegungs-
lage, und da die feindliche Artillerie egal un-
sere hinteren Verbindungen unter Feuer hielt,
konnte nichts herbeigeschafft werden. Schließlich
hielt Fritze Lehmann es nicht mehr aus. und
er bekam vom Hauptmann die Erlaubnis, auf
eigene Rechnung und Gefahr fouragieren zu
gehen. Er erbat sich zu den Zweck einen
Sanitätshund, der ihm mit seinen Spürriecher
die verborgenste» Nahrungsmittel auskund-
schaften sollte, und beide gondelten eines Tages
los nach ein vielversprechendes Gehöft drei
Kilometer hinter unsere Linie.

Der Hinmarsch ging gut vonstatten, der Feind
muß unfern Fritze, der jede Deckung instruk-
tionsmäßig zu benutzen wußte, wohl nicht
bemerkt haben. Aber kaum hatten die beiden
das Haus betreten, so kam die erste italienische
Liebesgabe angesaust. Die zweite war schon
ein Volltreffer und kloppte den Giebel des
Gebäudes in Trümmer. Fritze ließ sich aber
dadurch nicht verblüffen, sondern klapperte
mit seinen vierbeinigen Kameraden unbeküm-
mert alle Winkel, Ecke» und Verstecke ab. In-
zwischen schlugen die Granate» rings uni das
Haus ein, und wir zitterten für Fritzen seine
Gesundheit. Nach eine halbe Stunde atemlose
Spannung folgte wieder ein Volltreffer, und
mit lautes Krachen stürzte die ganze Bude
zusammen. Eine Weile ivar alles in dicken
Staub und Rauch gehüllt, dann hörte man
aus die Dunstwolke ein freudiges Gebell, und
wie die Lust wieder klar geworden war, stan-

wann geht die Nacht zur Neige
unö enüet ihre Bahn?
herauf nun/ ^tag/ unö zeige
öie neue Stunöe an.

Die Welt will wieder leben,
es grünt um Hang und Hag.
Bald muß es Frieden geben
unö Muferstehungstag.

den Fritze und sein vierbeiniger Pflasterkasten
vor ein zusammengestürztes Mauerstück, in
dessen Fundament sich eine verborgene italie-
nische Schatzkammer enthüllt hatte. Aber Fritze
verlor kein Auge an die metallischen Kostbar-
keiten, die da lagerten; seine freudetrunkenen
Blicke heftete» sich mit niagische Sehnsucht auf
einen überlebensgroßen geräucherten Sch weine-
schinken! Alle Gefahr war vergessen, er nahm
den Fund in seine Arme und mit beschleunigten
Laufschritt wurde die Rücktour angetreten.

Aber Fritze war noch nicht fünfzig Schritte
vorwärts, da pfiffen ihm die feindlichen Pra-
linees schon um die Ohren. Dem geliebten
Schatz am Busen gequetscht, kroch er von eine
Deckung zur andern, verpustete sich eine Weile
hinter ein kleines Gebüsch und kam dann ivie-
der im Eilschritt zum Vorschein. Die Italiener
schienen total brägenklieterig geworden zu sein,
denn auf einmal fingen sie an, mit die schwersten
Kaliber zu funken. Ein ausgewachsenes Ele-
fautenei krepierte wenige Meter neben Fritzen
und riß dem vierbeinigen Pflasterkasten seinen
Schwanz weg. Mit schreckliches Geheul kam
er angesetzt und befand sich nach wenige
Minuten in unserm Gewahrsam. Aber Fritze
hielt stand. Erdstücke, Staub, Dreck und Ge-
schoßsplitter flogen um ihn herum, und oft
war eine ganze Weile nichts von ihm zu be-
merken. Daun tauchte er wieder mit seinem
Schinken auf und langsam kam er unserm
Graben näher. Das letzte Ende konnte er sich
nicht mehr halten. Er gab alle dienstliche In-
struktion auf und legte dem Weg in wilde
Sprünge zurück. Ausgepumpt bis auf den letzten
Odem stürzte er mir ohnmächtig in die Arme,
aber den Schinken hielt er fest umschlungen.

Eine traurige Überraschung erwartete Fritzen
jedoch bei seine Rückkunft ins selbstbewußte
Dasein. Es hatte sich bei nähere Besichtigung
herausgestelll, daß der Schweineschinken durch
und durch madig und für einen menschenwür-
digen Genuß absolut nicht mehr zweckentspre-
chend war. Fritze hörte die Mitteilung, die
ich ihm in schonende Form beibrachte, mit
dumpfige Gefühllosigkeit an. Auch wie der
Hauptmaun ihm sagte, daß er von wegen sein
tapferes und energisches Verhalten, das zwar
nur ein madiges Resultat erzielt, aber doch
dem Feinde eine schwere Menge Munition
entlockt halte, zum Eisernen eingegeben wor-
den sei, verblieb er noch in seine fassungslose
Stumpfheit. Als aber am nächsten Morgen
 
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