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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft: Zweiter Kongreß für Ästhethik und allgemeine Kunstwissenschaft Berlin, 16.-18. Oktober 1924 — 19.1925

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Utitz, Emil: Der Charakter des Künstlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.3819#0149

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142 GERHARD VON KEUSSLER.

nicht, daß der Verbrecher einen Verbrechercharakter hat und dazu
noch einen bürgerlichen Normalcharakter. Gewiß: er hat nicht nur
verbrecherische Anlagen; aber sie werden bloß verständlich aus dem
Gesamtgefüge der Persönlichkeit, und diese bloß durch Einbeziehung
jener Dispositionen und Eigenschaften. Ihre Ausstrahlungen und Aus-
wirkungen reichen weit über ihr eigentliches Gebiet heraus, und ander-
seits die Hemmungen und Gegenwirkungen weit in ihr eigentliches
Gebiet hinein; und all dies erheischt umspannende Deutung. So heißt
auch Charakterologie des Künstlers nicht etwa saubere Fixierung eines
artistischen Charakters, der aus der Gesamtpersönlichkeit heraus-
geschnitten wird, wobei ein bürgerlicher Homunkulus übrig bleibt;
nein: die Gesamtpersönlichkeit gesehen unter dem Zeichen der Kunst,
von ihr her. Sie ist — wie ich wiederholt auszusprechen Gelegenheit
hatte — der Mittelpunkt aller Kunstwissenschaft. Von ihr aus schauen
wir nicht nur auf den ganzen Menschen, ja, sie fordert auch den
ganzen Menschen. Wenn unsere Bemühungen um das Wesen der
Kunst einseitigen Ästhetizismus überwunden haben, ist es auch an
der Zeit, daß die Untersuchungen zum Schaffen des Künstlers über
ästhetisierende Artistik hinausgelangen. Praktisch ist ihr überhaupt
nicht zu genügen — nur wenige bürden sich diesen Ballast auf —,
aber es gilt, die Theorie von der unheilsamen Verklammerung in solche
schiefe Lehren grundsätzlich zu reinigen und sie dadurch tragfähig zu
gestalten. Nur so rettet sie sich aus der Enge, die freien Atem ab-
schnürt, in die großartige Weite unendlicher Aufgaben. Sie zu leisten
ist Sache der Zukunft.

M i t b e r i c h t e.
Gerhard von Keußler:

Vertagen oder erledigen? — Mit der Erledigung anfangen?

Was der Künstler von der kommenden Ästhetik — als von einer Cha-
rakterologie und Philosophie der Technik — zu erwarten hat, ist die
Erkundung und wissenschaftliche Ausstattung zweier Gebiete im Innern
des Kontinents der Künste. Das eine ist ein ästhetisches Rechtsgebiet
und birgt die Fragen, inwieweit den technischen Gewohnheitsrechten
allfällige Gewöhnungspflichten entsprechen; das andere Gebiet ist die
Zone zwischen dem artistischen Unterbewußtsein und dem künstle-
rischen Überbewußtsein — zwischen den Vorräten aus nüchterner
Übung und dem ekstatischen Eigentum der Halluzination. Gemeinsam
ist beiden Gebieten mit ihren verschiedenen Typen von Bewohnern,
daß sich jedes Individuum durch den Titel Persönlichkeit für souverän
erachtet, sei auch der Herrschaftsdistrikt nur eine Mansarde. Denn:
Man mag zum Begriff der Freiheit — zur Schaffensfreiheit und ihrer
 
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