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Zeitschrift für christliche Archäologie und Kunst — 1.1856

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Passavant, Johann David: Ueber die mittelalterliche Kunst in Böhmen und Mähren, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3677#0202
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194 ÜBER DIE MITTELALTERLICHE KUNST IN BÖHMEN UND MÄHREN.

gefertigt, wie dieses auf S. 457 ersichtlich ist, wo er in Mönchskleidung zu Füssen der das
Christkind haltenden Maria kniet und einen Zettel mit folgender Inschrift hält: ora pro ülu-
minatore Mirozlao. A. MCJI. Das Abkürzungszeichen über dem C gilt hier als Verdopp-
lung desselben. Dieses Wörterbuch ist reich verziert mit biblischen Darstellungen in den
Initialen, die farbig auf Goldgrund mit Deckfarben stark aufgetragen sind. Die schwarzen
Umrisse der Figuren sind von geistreicher Zeichnung und höchst ausgezeichnet für jene
Zeit. Die Gewänder zeigen meist eine feine Beobachtung des Wirklichen und, ganz so wie
auch in Deutschland im XIII. Jahrhundert, ein völliges Verlassen der conventionell byzanti-
nischen Behandlungsweise. Eine besondere Beachtung verdient das erste Blatt mit dem das-
selbe fast ausfüllenden Anfangsbuchstaben A zum Worte Abba. Er ist aus vielen Verschlin-
gungen, Blälterwerk, menschlichen Gestalten und zum Theil phantastischen Thieren gebildet,
die öfters auf das sJavische Heidenthum anspielen. So im obern Theil eine gekrönte Eule
von zwei Affen gehalten, zu welcher ein Teufel einen grösser gehaltenen Mann beim Schopf
heranzieht und dessen blutender Kopf von einem wilden Thiere beleckt wird. Die Eule
stellt hier einen Götzen vor, wie dieses aus Dalemil's Reimchronik erhellt, wo König Swa-
topluk dem heidnischen Böhmenherzog Boriwoj vorwirft, dass er, seinen Schöpfer verkennend,
eine langöhrige Eule als Gott verehre. Der Mann dürfte einen heidnischen Priester dar-
stellen , welchen Satan gegen jenes bessern Willen zur Anbetung des Götzen herbeizieht,
wodurch denn angedeutet wäre, dass der damaligen Ansicht gemäss der in Böhmen noch
fortbestehende Götzendienst nur ein Werk des Teufels sei. Eine andere höchst merkwürdige
Darstellung ist die der Göttin Siwa in einer unten am Buchstaben befindlichen runden Ver-
schlingung. Die halbe Figur eines leicht gekleideten Weibes hält zwei weisse Blumen oder
Fruchtstengel in die Höhe. In dem sie umfassenden Kreis steht oben: ESTAS SIVA. Ueber
diesem Bild sitzt ein Jüngling die Fidel streichend. Das Wort Ziva (Siva) wird in der
Mater verborum selbst durch dea frumenti, Ceres, erklärt. Wir haben somit hier eine Ab-
bildung der Göttin der Fruchtbarkeit, oder auch der Liebesgöttin der Slaven, welche die
ihr geweihten Blumen hält.*) Der jugendliche Geigenspieler, der auf einer Bank mit Lehne
sitzt, scheint einfach ein Symbol der Freude zu sein. Unten, zu den Seiten des grossen
Buchstaben, stehen zwei grösser gehaltene Gestalten zweier Geistlichen. Bei dem Bischof
links hat sich der Anfang des Namens Gregorius erhalten. Auf der Schriftrolle, die der
gegenüberstehende Mönch nebst einem Buch hält, sind die Anfangsbuchstaben 10 ... zu
erkennen. Nach genauer Betrachtung dieses reichhaltigen Gegenstandes scheint mir die lei-
tende Idee dabei gewesen zu sein, in dem Buchstaben das Heidenlhuni zu veranschaulichen,
welchem gegenüber das Christenthum in erhabener Würde steht. — Unter dem Buchstaben

*) Sehr merkwürdig ist eine andere Darstellung der Siwa auf einem in Kupfer getriebenen Schlüssel, welchen man
vor einigen Jahren in einem 'unterirdischen Gewölbe am Wyssehrad entdeckte. Der grössere Theil des Schlüssels ist mit
arabeskenartigen Verzierungen geschmückt, welche ein Rund in der Mitte umgeben, in dem eine weibliche Geslalt (die Siwa)
sitzt, in der Rechten einen Blüthenstcngel, in der Linken einen Kranz haltend. Eine Abbildung derselben findet man in
Wocf.i.'s Grundzügen der böhmischen Alterthumskunde Tab. III. Fig. 2. Den Schlüssel selbst bewahrt das Museum in Prag.
 
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