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Zeitschrift für christliche Kunst — 15.1902

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Beissel, Stephan: Die kunsthistorische Ausstellung in Düsseldorf, [6a]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4074#0195

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307

1902.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST - Nr. J0.

308

Die kunsthistorische Ausstellung in Düsseldorf.

Via.

(Mit 10 Abbildungen.)
(Schlufs.)

B.

Die Anfänge der

Armenbibel.

yklen entstehen oft

langsam. An den

Portalen sowie in

den Malereien und

Fenstern mittel-
alterlicher Kirchen
stammen viele aus

Abb. 6. Initiale des Hildesheimer , apiertirVipri

Missale zum Feste des hl. Bernward. uem geiSUICnen

Schauspiele,8) dieses aber hat sich bis zum
XIII. Jahrh. vornehmlich entwickelt aus der
ehedem dem hl. Augustinus zugewiesenen Schrift
»Ueber das Glaubensbekenntnifs gegen Juden,
Heiden und Arianer«.9) Sie wurde seit dem
Beginn des XI. Jahrh. vor Weihnachten in
dramatischer Weise vorgetragen, wie noch
heute in der Charwoche die Leidensgeschichte
von verschiedenen Geistlichen gesungen wird,
und in ihr treten nicht nur Propheten, soi.-
dern auch Nabuchodonosor, Virgil und eine
Sibylle als Zeugen der Gottheit Christi auf. Ver-
kürzt und in dramatischere Form gebracht, wurde
sie Prophetenspiel genannt und von den
studirenden Klerikern aufgeführt.10) Bei der wei-
teren Umbildung waren zwei Umstände wirksam.
Erstens, dafs die in der Augustinischen Rede
betonte Gegnerschaft der Heiden und Arianer
wegfiel, also nur die Juden zu bekämpfen
blieben, gegen die nicht nur neue Propheten
aufgerufen, sondern auch Gottes Strafgerichte
über Jerusalem betont wurden. Weil zweitens
das Prophetenspiel vor Weihnachten aufzuführen
war, berücksichtigte man natürlich vor allem
jene prophetische Stellen, welche die Gottheit

8) Weber, »Geistliches Schauspiel und kirchliche
Kunst in ihrem Verhältnifs erläutert an einer Ikono-
graphie der Kirche und Synagoge «, Stuttgart, Neff
(1894). S. 8, 48 f. »Sepet, Les propheles du Christ,
Etüde sur les origines du theatre au moyen age,
Bibliotheque de l'e"cole des chartes« 6e Se>ie III
(1807) ls., 210s.; IV (1868), 105s., 261; XXXVIII
(18771 397 s.

9) »Contra Judaeos, Paganos et Arianos sermo
de symbolo«, Migne, Patrol. lat. XLII Appendix
1117 s. Vgl. Bibliotheque 6« Serie III (1867) p. 2

10) Ein solches Spiel bei Didron
archeologiques« XI, 205 s.

des Christkindes und die Jungfrauschaft seiner
Mutler hervorhoben. Illustrationen eines sol-
chen Prophetenspieles sind unter andern die
Reste des ehedem in der Vorhalle des
Hildesheimer Domes gemalten Cyklus.
Zu einem bischöflichen Segen, der dort im
XII. Jahrh. gespendet worden sei, stehen sie
sicher in keiner Beziehung.11)

In jenen Malereien erscheinen Balaam (4. Mos.
24, 17), Jeremias (31, 22), Habakuk (3, 3), Michaeas
(4, 1), Osee (13, 15), Salomon (Ekkles. 11, 2) und
ein sechster Prophet, dessen Spruchband zerstört ist.
Auf der andern Seite des Cyklus betonen zuerst
Zacharias (4, 7), Petrus ( , 2, 4 f.) und Paulus (Ephes.
2, 19 f.), Christus sei der Eckstein, dann Matthäus
(1, 18), Johannes (1, 16) und Lukas (2,52) seine
Begnadigung, Simeon aber nach Luk. 2, 31, dafs die
Juden den Begnadigten nicht aufnahmen und sich an
diesem Eckstein stofsen, Sie werden dafür, wie bereits
Ezechiel12) vothergesagt hat, bestraft. Weiterhin
folgen Vorbilder der Jungfrauschaft Marias: Gedeon,
Moses am Dornbusch und ein drittes zerstörtes. Offen-
bar pafst also alles in den Rahmen der alten Pro-
phetenspiele.18)

Auch die bekannte Deckenmalerei in
St. Michael zu Hildesheim ist eine Illustration
eines aus dem Prophetenspiel entstandenen
mittelalterlichen Schauspieles, das „Jessespiel"
genannt werden darf. Eine solche dieser
Deckenmalerei sehr verwandte Bühnenauf-
führung enthält noch das in einer Abschrift
aus dem Jahre 1468 erhaltene Spiel von
Coventry in England.14) Es umfafst die ganze
Heilsgeschichte und stellt in den sieben ersten
Abtheilungen dar: die Erschaffung der Welt
mit dem Falle der Engel, die Sünde Adams

s.
»Annales

") Diese 2',eitschrift III, 318.

12) Man brachte, wie hier die Propheten auf die
eine, die Apostel auf die andere Seite gestellt sind.
Vgl. Sauer, »Symbolik des Kirchengebäudes«, Frei-
burg, Herder (1902). S. 297 f.

u) Die in jenem Cyklus nach Ezechiel !), 1 f.
breit dargestellte Ermordung der Gottlosen wird schon
angeführt in (hinein mit dem Prophetenspiel enge ver-
wandten, dem hl. Augustin zugeschriebenen Dialog
»De altercatione Ecclesiae et Synagogae« bei Migne,
Patrol. lat. XLII, 1135 f. Vgl. Weber S. 60 f. Das
»Dreieck mit sieben Augen« in den Malereien zu Hil-
desheim dürfte wohl den Eckstein sinnbilden, von dem
die oben genannten Propheten reden.

") Bibliotheque XXXVIII (1877) 415 s.
 
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