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Zeitschrift für christliche Kunst — 19.1906

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Schönermark, Gustav: Der Kruzifixus und die ersten Kreuzigungsdarstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4095#0074

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Abhandlungen



Der Kruzifixus und die ersten
Kreuzigungsdarstellungen.

(Mit 4 Abbildungen.)

n der christlichen Welt ist der
Kruzifixus die am meisten wieder-
holte Darstellung. Das ist begreif-
ich, da in ihm nicht eigentlich
die geschichtliche Tatsache der Hinrichtung
Christi durch das Kreuz wiedergegeben werden
soll, sondern ein Dogma, und zwar die
Hauptlehre der Christen, die Lehre von der
Erlösung der Menschen durch den Opfertod
des Heilandes. Der Zweck ist weniger didak-
tisch als liturgisch. Die Darstellung nimmt
daher auch teil an der allgemeinen F.ntwicke-
lung christlicher Darstellungen der bildenden
Kunst vom Symbolischen zum Realisti-
schen, ja Naturalistischen.

Da die Gefühlsweise der ersten Christen
noch auf heidnischen Anschauungen beruhte,
konnte sich ihre Hauptlehre nicht unter dem
Bilde eines Gekreuzigten aussprechen. Die
Schmach, welche auf der Kreuzesstrafe, der
schimpflichsten, am meisten entehrenden Strafe,
ruhte, ließ sich damals mit dem Gottesbegriffe
noch nicht vereinigen; nur der Abschaum der
Menschheit wurde mit dem Kreuzestode bestraft;
und dazu gehörten nach antiker Auflassung
außer den Sklaven die politischen Verbrecher.
Im Altertum war kein größeres Vergehen
denn das gegen den Staat denkbar. Nur i m
Staate und durch den Staat galt der einzelne
etwas; ohne ihn galt und vermochteer nichts.

Christus muß als einer der ihrigen gelten.
Das jüdische Synedrium, vom Pöbel unter-
stützt, beschuldigte ihn des Hochverrats. Mit
der Anklage, Christus habe sich für den Sohn
Gottes ausgegeben, hatte es bei der in Glaubens-
sachen toleranten römischen Gerichtsbarkeit
nichts ausrichten können. Es bezichtigte ihn
also, sich auch für den König der Juden aus-
gegeben zu haben. Und das war ein Grund,
ihn schuldig zu sprechen, zumal man der
hohen Geistlichkeit, die seine Beseitigung
wünschte, somit einen Gefallen tun und sich
bei ihr beliebt machen konnte.

Wiewohl nun von vornherein klar war, daß
sich in der schauerlichen Hinrichtung Christi am
Kreuze das Erlösungswerk vollzogen habe, so

sind doch gegen 600 Jahre vergangen, ehe die
Erlösungslehre sich unter dem Bilde eines
Gekreuzigten ausgesprochen hat, also ehe sich
die Anschauungen den alten heidnischen gegen-
über so geändert hatten, daß das Gefühl durch
eine Kreuzigungsdarstellung für die Hauptlehre
der Christen nicht mehr verletzt wurde. Freilich
die alte Gefühlsweise wurzelte immer noch zu
fest, als daß, selbst nachdem die Kreuzesstrafe
dank der Einwirkung des Christentums im
V. Jahrh. abgekommen war, schon gleich eine
realistische oder gar naturalistische Darstellung
des Kruzifixes möglich gewesen wäre.

Möglich war erst eine Darstellung, wie sie
jenes Brustkreuz im Domschatze zu
Monza zeigt, das Papst Gregor der Große der
Longobardenfürstin Theodolinde bei der Geburt
ihres Sohnes Adulowald sandte. (Abb. 1.) Auf
ihm sieht man den Heiland zwar mit aus-
gebreiteten Armen am Kreuze, auch sieht man
an Händen und Füßen die Nägel, aber das
Schauderhafte der Hinrichtung geschichtlich
treu wiederzugeben, ist mit Absicht vermieden.
Entgegen der Gepflogenheit, die Verurteilten
bis auf ein Lendentuch nackt an das Kreuz
zu schlagen, trägt Christus ein langes Gewand
ohne Ärmel. Er steht mit offenen Augen vor
dem Kreuze auf einer verzierten Fußbank, eine
Beigabe, wie sie damals üblich war, um Per-
sonen von Bedeutung zu kennzeichnen. An
den Enden des Querbalkens sind links Maria,
rechts Johannes der Täufer klein dargestellt,
über dem Kreuze stehen die Himmelszeichen
Sonne und Mond. Das alles läßt den Ge-
danken nicht zu, daß Christus gerade den Tod
erleidet. Nichtsdestoweniger wird die Erlösungs-
lehre hier zum erstenmal durch den Kruzifixus
wiedergegeben, mag er auch noch symbolisch,
ungeschichtlich aufgefaßt sein. Im Laufe der
Jahrhunderte verliert sich bekanntlich diese
Eigenschaft des Kruzifixes immer mehr; er
wird realistischer und in der Spätgotik natura-
listisch. Hierauf sowie auf seine Eigenschaften
in der Renaissance einzugehen, ist für unseren
Zweck nicht nötig.

Es handelt sich vielmehr darum, wie die
Erlösungslehre, ehe sie durch den Kruzifixus
dargestellt wurde, formal ausgesprochen ist;
denn kein Zweifel, daß eine Lehre von solcher
Bedeutung sich schon bald nach Christi Tode
 
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