Boners Edelstein – digital

Bamberger Druck
Druck Bamberg: [Albrecht Pfister],
14.02.1461, [34v]

Der um 1350 entstandene Edelstein des Berner Dominikaners Bonerius ist die erste als geschlossenes buoch konzipierte Sammlung äsopischer Fabeln und funktionsgleicher Exempla deutscher Sprache. Überliefert ist sie in 36 bekannten, überwiegend illustrierten Codices und zwei Inkunabelauflagen des Bamberger Druckerverlegers Albrecht Pfister, der das Werk noch in der Gutenberg-Ära zum ersten mit Typen und Holzschnitten gedruckten machte. Die bereits 1704 einsetzende Forschungsgeschichte ließ den Edelstein im 18. Jahrhundert zu einem der bekanntesten mhd. Denkmäler werden. Erste Studien prominenter Literaten (Ch. F. Gellert, J. Ch. Gottsched, J. J. Bodmer, J. J. Breitinger, G. E. Lessing) versicherten sich der 'Realien' der Sammlung und mündeten 1757, 1810 und 1816 in drei frühe Gesamtausgaben ein, an denen die sich formierende Germanistik ihr editorisches und lexikographisches Rüstzeug ausbildete. Den Gründervätern des Faches (G. F. Benecke, J. und W. Grimm, B. Docen, K. Lachmann) wurde der Edelstein zum Diskussions- und Erprobungsobjekt verschiedener editionsmethodischer Angänge, unter denen Franz Pfeiffer 1844 einen textkritisch-rekonstruktiven zur Erarbeitung einer vierten und bis anhin letzten Boner-Ausgabe wählte. Dazu zog er 17 Textzeugen bei, war sich aber sicher, nur vier bezeugten "allein den echten ursprünglichen Text." Den dafür supponierten gründete er im wesentlichen auf zwei heute nicht mehr verfügbare Codices, sonderte viel sog. "Flickwerk" gegen die Gesamtüberlieferung aus und verhalf dem Edelstein so zu einem Schliff, in dem er aus keinem Textzeugen glänzte, aber der Überzeugung des Editors von der Qualität des Autors entsprach. Ungeachtet ihrer methodischen Obsoleszenz und vieler Mängel, die Anton Schönbach 1875 eine überlieferungsnähere Neuausgabe fordern ließen, und obwohl sie sich auf kaum die knappe Hälfte der derzeit bekannten Zeugen stützen konnte, ist die Pfeiffers seit bald 180 Jahren die editio citanda und Grundlage aller Textbefassung.

Die Website 'Boners Edelstein – digital' versteht sich als erster Schritt, die missliche Editionslage zunächst durch breitere Überlieferungskenntnis zu kompensieren und à la longue zu einer textgeschichtlich orientierten digitalen Neuausgabe zu gelangen. Sie liefert dazu die jeglichem Edieren vorgängige Heuristik einer hier ausgesprochen heterogenen und intrikat komplexen Gesamtüberlieferung. Das Portal stellt neben 19 Digitalisaten der Edelstein-Textzeugen, für die der Handschriftencensus und der Gesamtkatalog der Wiegendrucke vor Angang des Projekts auf die besitzenden Institutionen verlinkte, nun auch Digitalfaksimiles der übrigen 14 noch verfügbaren Handschriften, die neuzeitliche Kopie noch unpublizierter Texte einer 1870 verbrannten sowie alle Teilabdrucke zerstörter oder verschollener Textzeugen im open Access online. Farbige Komplettdigitalisate auch der Sammelcodices sind dabei die Regel, solche nur ihrer Boner-Teile Ausnahme dort, wo vollständige bereits extern vorliegen. Das auf ca. 4.800 Seiten an die 2.400 Einzeltexte und knapp 1.350 Illustrationen umfassende Boner-Erbe wird mittels des Heidelberger Digitalisierungsmanagementsystems DWork samt seiner Metadaten im einheitlichen Präsentationsmodus und ausgestattet mit den neuen Funktionalitäten des DWork-Viewers visualisiert. Für weitere Erschließungsdaten wie digitalisierte Handschriftenbeschreibungen und Forschungsliteratur zu den Textzeugen wird in die wichtigsten Referenzdatenbanken der Überlieferung des deutschen Mittelalters verlinkt. Das in Eigenleistung der Eichstätter und Heidelberger Projektgruppe aufgebaute Portal erfüllt alle Vorgaben und Standards der DFG-Praxisregeln 'Digitalisierung': Metadatenerfassung, Implementierung interoperabler Austauschformate, Einbindung von Feedback-Funktionen sowie ggf. proprietärer Nutzungs- und Zitationsauflagen, Bereitstellung von PDF-Downloads, Mobilgeräte einschließendes 'responsive Webdesign' und gesicherte Langzeitarchivierung.

Weiteren Dokumentations- und Erschließungsschritten ist intensiv vorgearbeitet. Sie verfolgen das Endziel, die virtuelle Boner-Bibliothek um eine digitale Neuausgabe des Edelstein zu erweitern. Diese wird den archetypnahen Autortext in drei Formaten und Ansichtsmodi edieren und seine zwei ermittelten bestandsreduzierten, aber merklich breiter tradierten 'vulgaten' Wirkformen in Transkripten je zweier exemplarischer Textzeugen synoptisch vergleichen lassen. Wie alle bereits jetzt in Vollansichten verfügbaren Digitalfaksimiles können denen der acht zu transkribierenden editionsrelevanten Textzeugen künftig optional auch die 30 übrigen der nicht transkribierten spaltenweise zugeschaltet werden.

'Boners Edelstein – digital' ist ein Gemeinschaftsprojekt der 'Forschungsstelle für geistliche Literatur des Mittelalters' an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (Prof. i. R. Dr. Gerd Dicke) und der UB Heidelberg. Die Forschungsstelle steuert die philologischen Grundlagen und das Konzept des Editionsvorhabens bei, die UB eine innovative digitale Datenmodellierung zu seiner Realisierung im XML-Format. Zur Umsetzung streben beide Verbundpartner derzeit eine Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft an.