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Bernhard, Jakob
Kurpfälzer Sagenborn: alte und neue Sagen aus der rechtsrheinischen Pfalz mit besonderer Berücksichtigung der Heidelberger Gegend sowie der angrenzenden Gebiete des Neckartals, des Odenwaldes und des Kraichgaues, der Bergstraße und der Rheinebene — Heidelberg, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.4086#0062
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aber nicht, wie es mir weiter ergangen ist." „Willst du bei uns
bleiben?" fragte eine der Iungfrauen, „so sei uns willkommen.
Doch wenn du drei Tage bei uns verweilst, so darfst du nie wie--
der in deine Heimat zurückkehren, denn du würdest dich nicht
mehr an die obere Luft gewöhnen können und sterben müssen".
Der Knabe willigte ein und blieb. 2lber nach Iahresfrist fühlte
er eine unwiderstehliche Sehnsucht nach der Heimat. Er wurde
krank und nahm zusehends ab von Tag zu Tag vor lauter Gram.
Die Fungfrauen sragten ihn vft, wo es ihm fehle; aber er sagte
ihnen nie den wahren Grund.

Einmal war er in tiefes Äachsinnen versallen. Da trat eine
alte, häßliche Frau an ihn heran und sprach: „Wenn du mir
versprichst. dah du nicht heiraten willst, so will ich dich wieder in
deine Heimat zurückführen." „Nein," sprach der Knabe, „lieber
will ich sterben, als meine Gebieterinnen hintergehen und
betrügen". Kaum hatte er das gesagt, da standen die drei Schwe--
stern im Glanze ihrer Schönheit vor ihm, und die eine sprach:
„Weil du so redlich bist, so magst du wieder zu den Deinen zu-
rückkehren." — Als er am folgenden Morgen erwachte, sah er
am Afer des Sees. Er erzählte seine Erlebnisse da und dort;
allein niemand wollte sie ihm glauben. Wie gerne wäre er jetzt
wieder zu den schönen Iungfrauen zurückgekehrt! Sie waren ihm
unvergehlich; es war freilich nicht mehr möglich. Von Stund an
fand er keine Ruhe mehr und bekam das Heimweh nach den un-
bekannten Gefilden so heftig, daß er bald darauf hinlag und ster-
ben muhte.

Die Michaelskapelle bei Vödingen
am Neckar.

2lls die Gegend bei Bödingen noch eine schauerliche Wild-
nis war, ging ein Iüngling. Griso, dorthin, um in der Einsam-
keit sein Leben zu beschliehen. Dem Heidentum ergeben, reich
und stolz, hatte er sich eine christliche Iungfrau zur Vraut er-
koren, die ihm aber nur die Ehe versprach, wenn er ein Christ
würde. Er aber blieb hartnäckig bei seinem alten Wesen, so sehr
ihn auch seine Draut bat, dem nichtigen Götzendienst zu entsagen
und dem wahren Gott zu dienen.

Aus Gram über seinen harten Sinn verließ die Iungfrau
ihre Heimat und ging in die Einöde, wo sie unter den Tieren
des Waldes lebte. Beim Suchen nach Speise grub sie mit einem
spitzen Steine da und dort ein Wort Gottes zu ihrem Lroste in

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