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Bernhard, Jakob
Kurpfälzer Sagenborn: alte und neue Sagen aus der rechtsrheinischen Pfalz mit besonderer Berücksichtigung der Heidelberger Gegend sowie der angrenzenden Gebiete des Neckartals, des Odenwaldes und des Kraichgaues, der Bergstraße und der Rheinebene — Heidelberg, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.4086#0028
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sammen, denn in diesem Augenblick erdröhnte der Wald von
neuem in dem verhängnisvollen Ton. „Der Leb!" fuhr es ihnen
heraus. Da zuckte es im Gesicht des Kuhhirten, er winkte ihnen
schweigend mit dem Finger und ging voran. Einer hinter dem
anderen folgten sie auf den Zehenspitzen, faßten ihre Waffen
fester und verhielten den 2ltem, bis sie am Abhang des Ber->
ges standen und den Neckar unter sich erblickten. „Do is er!"
sagte der Kuhhirt feierlich. And wie zur Bestätigung brüllte er
wieder — es war freilich kein Löwe, sondern der neue Schlep»
per, der die Lastschiffe fluhaufwärts zog. Die Hendsemer sagten
kein Wort. Waren sie bisher blaß, so wurden sie jetzt dunkel-
rot. drehten sich um und gingen davon, immer schneller und
schneller, je lauter das Gelächter des schelmischen Kuhhirten
hinter ihnen dreinscholl. And sie sollen zu Hause nicht viel er-
zählt haben.

Seit jenem Tage aber hieß der Schlepper nur noch „der
Hendsemer Leb". K. Guckenhan.

Die wunderbare Befreiung eines Abtes.

Eine uralte Straße führt vom Heiligenberg über den Wei-
ßenstein nach dem Schriesheimer Hof und von da hinunter nach
Wilhelmsfeld, Mtneudorf und Schönau. Oft trafen sich hier ein--
zelne Mönche vom Heiligenberg und dem im Steinachtal liegen-
den Kloster Schönau. Einmal im 2ahr aber kamen sie vollzählig
zusammen, um im Walde beim Schriesheimer Hof das Maifest
zu seiern. So waren sie wieder einmal zusammengeströmt zur

großen Flurmesse. Die Schönauer
hatten reichlich Essen mitgebracht:
gebackene Forellen, Kuchen, Wild--
bret und andere Speisen. Die Hei-
ligenberger dagegen bekamen nur
trockenes, hartes Brot mit, weil
sie am Tage zuvor verschlafen hat-
ten und daher fasten mußten. Das
ärgerte sie so sehr, daß sie beschlos-
sen, sich an ihrem Abte zu rächen.

Abends müde und hungrig ins
Kloster zurückgekommen, sollten sie
wie sonst die Glocken läuten und
noch allerlei andere Dienste ver-
richten. Da verweigerten sie den
Gehorsam. Ms der Abt mit strengsten Strafen drohte, kannte
ihre Wut keine Grenzen mehr. Anbarmherzig fielen sie über ihn

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