Der wohltätige Wassermann
im Neckar bei Binau.
Einst setzte auf einen schönen Oktobermonat plötzlich strenge
Kälte ein. Heftiger Sturm wehte, dichter Schnee bedeckte Wald
und Flur, und der Aeckar führte viel Treibeis. Dadurch gerie-
ten die Reiher, die in großer Zahl im Neckartal nisteten, in bit-
tere Rot. Die Fische, ihre Hauptnahrung, waren so tief ins
Wasser hinabgestiegen, daß sie die Vögel nicht erreichen konn-
ten. 2ln ein Fortziehen bei dem stürmischen Wetter war natür-
lich nicht mehr zu denken. Kläglich ertönte fortwährend vom
Walde herab das Geschrei der hungrigen Vögel. Da gewahrten
einige Männer in der Nähe des Dorfes Binau ein seltsames
Schauspiel. Mitten im eisigen Neckar stand ein großer, nackter
Mann bis an die Brust im Wasser, tauchte unter und erschien
wieder und brachte dann jedesmal eine Menge Fische zum Vor-
schein, die er den Vögeln am Afer zuwarf. Wenn sich die Tiere
gesättigt hatten, flogen sie mit dankbarem Gekreisch davon,
während andere kamen und ebenfalls gierig nach dem Fleische
haschten. Schnell hatte sich die Kunde von dem merkwürdigen
Ereignis im ganzen Dorfe verbreitet. Die Leute eilten an den
Neckar und bewunderten den barmherzigen Bogelfreund, der bei
dieser ungeheuren Kälte im Wasser hantierte. als wenn es
mitten im Sommer wäre. Eines allerdings blieb den Zuschauern
unerklärlich. nämlich, daß der Leib des Wassermanns auffallend
rot gefärbt war.
Der Vogelfreund kümmerte sich indes wenig um die neugie-
rigen Zuschauer, sondern setzte sein Werk ruhig fvrt, bis alle
die hungrigen Tiere gesättigt waren. Dann tauchte er unter,
und kein Auge hat ihn je wieder gesehen.
Die alten Fischer in Dinau aber meinten, der rote Mann
könne niemand anders gewesen sein als der Wassermann. der
schvn in alten Zeiten an jener Stelle oft gesehen worden, ihnen
aber immer ein Rätsel geblieben sei. (Nach 2. Schmitt)
Notburga.
2n alter Zeit lebte auf der Burg Hornberg bei Neckarzim-
mern der Frankenkönig Dagobert mit seiner lieblichen Tochter
Notburga. Er hatte Krieg mit einem heidnischen Volksstamm.
den Wenden. Eines Tages bot Dagobert seinem Gegner den
Frieden an, und der Wendenfürst willigte ein, wenn er Notburga
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im Neckar bei Binau.
Einst setzte auf einen schönen Oktobermonat plötzlich strenge
Kälte ein. Heftiger Sturm wehte, dichter Schnee bedeckte Wald
und Flur, und der Aeckar führte viel Treibeis. Dadurch gerie-
ten die Reiher, die in großer Zahl im Neckartal nisteten, in bit-
tere Rot. Die Fische, ihre Hauptnahrung, waren so tief ins
Wasser hinabgestiegen, daß sie die Vögel nicht erreichen konn-
ten. 2ln ein Fortziehen bei dem stürmischen Wetter war natür-
lich nicht mehr zu denken. Kläglich ertönte fortwährend vom
Walde herab das Geschrei der hungrigen Vögel. Da gewahrten
einige Männer in der Nähe des Dorfes Binau ein seltsames
Schauspiel. Mitten im eisigen Neckar stand ein großer, nackter
Mann bis an die Brust im Wasser, tauchte unter und erschien
wieder und brachte dann jedesmal eine Menge Fische zum Vor-
schein, die er den Vögeln am Afer zuwarf. Wenn sich die Tiere
gesättigt hatten, flogen sie mit dankbarem Gekreisch davon,
während andere kamen und ebenfalls gierig nach dem Fleische
haschten. Schnell hatte sich die Kunde von dem merkwürdigen
Ereignis im ganzen Dorfe verbreitet. Die Leute eilten an den
Neckar und bewunderten den barmherzigen Bogelfreund, der bei
dieser ungeheuren Kälte im Wasser hantierte. als wenn es
mitten im Sommer wäre. Eines allerdings blieb den Zuschauern
unerklärlich. nämlich, daß der Leib des Wassermanns auffallend
rot gefärbt war.
Der Vogelfreund kümmerte sich indes wenig um die neugie-
rigen Zuschauer, sondern setzte sein Werk ruhig fvrt, bis alle
die hungrigen Tiere gesättigt waren. Dann tauchte er unter,
und kein Auge hat ihn je wieder gesehen.
Die alten Fischer in Dinau aber meinten, der rote Mann
könne niemand anders gewesen sein als der Wassermann. der
schvn in alten Zeiten an jener Stelle oft gesehen worden, ihnen
aber immer ein Rätsel geblieben sei. (Nach 2. Schmitt)
Notburga.
2n alter Zeit lebte auf der Burg Hornberg bei Neckarzim-
mern der Frankenkönig Dagobert mit seiner lieblichen Tochter
Notburga. Er hatte Krieg mit einem heidnischen Volksstamm.
den Wenden. Eines Tages bot Dagobert seinem Gegner den
Frieden an, und der Wendenfürst willigte ein, wenn er Notburga
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