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Bernhard, Jakob
Kurpfälzer Sagenborn: alte und neue Sagen aus der rechtsrheinischen Pfalz mit besonderer Berücksichtigung der Heidelberger Gegend sowie der angrenzenden Gebiete des Neckartals, des Odenwaldes und des Kraichgaues, der Bergstraße und der Rheinebene — Heidelberg, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.4086#0078
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Wieder einmal stand der würdige Pfarrherr von Spechbach
auf der Kanzel, um seinen Schäflein, die aus den fünf verschie-
denen Ortschaften der damaligen Pfarrei in dsr Pfarrkirche zu-
sammengeströmt waren. das Wort Gottes auszulegen. Seiner
Predigt hatte er Len Gedanken der Erbsünde zugrunde gelegt.
„And er redete gewaltig und nicht wie die Schriftgelehrten."
„Wo kommt sie her?" rief er eifernd seinen Zuhörern zu, dabei
den Arsprung der Erbsünde meinend.

2n diesem Augenblick kommt, müde durch die Anstrengung
des Marsches, ein altes Weiblein an der Kirchtüre an. Längst
schon hat es zusammengeläutet; leise und vorsichtig öffnet es
die schwere Kirchentüre. Wahrhaftig, denkt sie zu ihrem Schrek-
ken, er steht schon auf der Kanzel! And jetzt gerade stellt mit
donnernder Stimme der gewaltige Prediger seine Frage: „Wo
kommt sie her?" Furchtbar wie die Posaune des letzten Ge-
richts hallt die Frage durch das langgestreckte Gotteshaus. In
Ohnmacht fast versinkt das alte Mütterchen. And als ob er eine
Antwort erwarte, läßt der Pfarrer eine kleine Kunstpause ein-
treten und wiederholt zum zweiten Male, jetzt mit eindringlicher
und mahnender Stimme, die schicksalsschwere Frage: „Wo
kommt sie her?" Aun gab es für das zu Tod erschrockene Weib-
lein keinen Zweifel mehr: Ihr galt die Frage. And mit zittern-
der und noch deutlicher Stimme gibt sie die Nntwort: „Don
Münichzell!"

Seitdem müssen die Mönchzeller von ihren Aachbarn hören,
daß die Erbsünde von Mönchzell kommt. 0.

Die große Rübe von Lobenfeld.

Zu Lobenfeld bei Heidelberg lebte einst ein Bauer, der
nach der Ernte Rübsamen auf seinen Ncker säte. Bald zeigte
sich, daß der Samen nicht aufging. Eine einzige Rübe nur kam
zum Vorschein auf dem weiten, fast unübersehbaren Grundstück.
Die aber wurde so groß, daß der Mann nicht wuhte, wie er sie
aus dem Boden ziehen und heimschaffen sollte. Lange überlegte
er, was zu tun wäre. Endlich kam er auf einen merkwürdigen
Einfall. Er sprach bei sich: „Ich will die Kuh mit ihrem Iungen
an die Rübe binden, damit sie nach Herzenslust fressen können
und immer Futter haben." Gesagt, getan. Als er am nächsten
Tag wieder auf den Acker kam, hatten sich die Tiere schon halb
in die Pflanze hineingesressen, und wie er am dritten Tag nach-
schaute, steckten sie bis zu den Schwänzen in der Rübe. Schlieh-
lich sah man überhaupt nichts mehr von ihnen.

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