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Werner, Wilfried
Cimelia Heidelbergensia: 30 illuminierte Handschriften der Universitätsbibliothek Heidelberg — Wiesbaden, 1975

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https://doi.org/10.11588/diglit.2051#0053

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Scivias (Cod. Sal. x 16)

Während die sorgfältig in Deckfarben, mit Verwendung von Gold und Silber ausgeführten 35 Miniaturen der
ehemaligen Wiesbadener Handschrift weitgehend den zu Beginn eines jeden Kapitels gegebenen detaillierten
Beschreibungen der Visionen entsprechen, zeigen sich die Heidelberger Bilder hiervon unabhängiger. Dagegen
scheinen sie bisweilen eher den jeweils folgenden theologischen Bildausdeutungen verpflichtet. Es sind ihrem
technischen Charakter nach Federzeichnungen, die teils mit Wasserfarben, teils mit Deckfarben koloriert sind,
doch so, daß die Unterzeichnung auch hier meist sichtbar bleibt. Insgesamt findet man 14 solcher Illuminatio-
nen. Nicht immer stehen sie neben dem Text, auf den sie sich beziehen, sondern scheinen dorthin gesetzt zu
sein, wo sich für sie Platz bot. Dies weist darauf hin, daß nicht von vornherein eine Illustrierung geplant war.
Vielmehr setzt diese erst mit der letzten Vision des zweiten Buches ein und berücksichtigt die meisten Gesichte
überhaupt nicht.

Alle Bilder stammen von einer geübten Hand und sind mit beträchtlicher Formgewandtheit ausgeführt. Die
Figuren sind in richtiger Proportion und Bewegung dargestellt. Überraschend ist die feine Differenzierung im
Gesichtsausdruck der Personen. Die Bilder werden ergänzt durch große leuchtend-mehrfarbige Initialen im
Salemer Stil, aus verschlungenem Blatt- und Rankenwerk mit Tier- und Menschenkopfendungen gebildet, die
insgesamt 15 der 26 Visionen einleiten. Hinzu kommen bescheidenere zweifarbige Initialen mit Kräuselblatt-
oder Sägeblattfleuronnee.

Unter den motivlichen Parallelen zur Wiesbadener Handschrift ist das Autorenbild (3V) zu nennen, das
jedoch in charakteristischer Unterscheidung die Hl. Hildegard dort offensichtlich als Seherin darstellt, vor deren
leicht gesenktem Blick Flammen vom Himmel züngeln, während die Heidelberger Handschrift die Prophetin
zeigt, wie sie der interpretierenden Stimme Gottes zu lauschen scheint. Ihr Haupt ist emporgerichtet, in der
Linken hält sie, ähnlich wie im Rupertsberger Kodex, die Schreibtafel, in der Rechten den Griffel, bereit, die
Offenbarungen festzuhalten. Auf beiden Bildern ist eine zweite Figur zu sehen: ein Mönch, der den von der
Nonne auf einer Tafel skizzierten Text mit Tinte und Feder in ein Buch überträgt.

Die erste Abbildung (fol. 176v, Tafel S. 54) enthält die Illustrationen zu zwei Visionen: in der linken Hälfte
die zur vierten, in der rechten die zur zehnten Vision des dritten Buches. Links ist die »Säule des Wortes
Gottes« dargestellt. Nach dem Text sollte sie stahlfarben sein (weil das Wort Gottes unüberwindlich wie Stahl
ist), mit drei scharfen Kanten (als Sinnbild der Kraft des göttlichen Wortes im Alten Testament, im Neuen
Testament und bei den Kirchenvätern); aus einer sollten Zweige hervorwachsen, auf denen Abraham, Moses,
Josua und die übrigen Propheten sitzen (der »keimenden Gotteserkenntnis« entsprossen). Auf dem Bilde ist
die Säule rund; nicht stahlfarben, sondern grüngesprenkelt. Die Propheten sitzen nicht auf Ästen an der Säule,
sondern die dem Betrachter zugekehrte Seite ist geöffnet und durch Sprossen unterteilt, zwischen denen die
Häupter der alttestamentlichen Gestalten zu erkennen sind. Auf der Spitze der Säule zeigt sich eine Taube (der
Heilige Geist). In ihrem Schnabel trägt sie einen Zweig: nach dem Text sollte es ein goldener Strahl sein (die
Offenbarung der Geheimnisse Gottes), von ihm hätte das Licht auszugehen, das die ganze Säule übergießt;
vielleicht sollen hier die grünen Sprenkel der Kanten das Flimmern und Gleißen des Lichts andeuten. Am Fuße
der Säule soll eine Gestalt stehen »wie Blitzesleuchten und Herrlichkeit« (das »Erkennen Gottes«, das allem
Geschehen innerlich gegenwärtig ist), »ein übergroßer Glanz« strahlt aus ihr; auf dem Bilde erblickt man einen
alten Mann mit Heiligenschein, bunt gekleidet wie die übrigen Figuren über ihm, sowohl die Engel (die »seligen
erhabenen Geister«) als die weiblichen Personen und auch die Männer und Jünglinge darüber, alle mit Nimbus,
obwohl die Seherin von menschlichen Gestalten in finsterem Gewände spricht, die alle in »großer Furcht und
Beklemmung standen«, das heißt, es sind Menschen, die sich nicht entschieden auf die Seite Gottes gestellt
haben, sondern den Gelüsten ihres eigenen Herzens nachgegangen sind.

In der zehnten Vision wird ein Thron über sieben bogenförmig gekrümmten Stufen beschrieben. Auf ihm
sitzt eine edle, bleiche Jünglingsgestalt mit schattenhaft schwarzem Haar, das bis auf seine Schultern herabwallt.
Sie ist nur vom Haupt bis zur Mitte des Leibes sichtbar, ein Schatten verbirgt den unteren Teil. Der Zeichner
hat die Gestalt, in der man Christus erkennen kann, in der üblichen Weise als thronende Majestas dargestellt,
ohne auf die Einzelheiten der Beschreibung Bezug zu nehmen. Natürlich sind die Stufen (der »Aufstieg aus
der Kraft des Glaubens«) nicht perspektivisch gesehen, sondern in der Grundrißaufsicht gezeichnet.

Vor dem Jüngling auf dem Pflaster des Gebäudes stehen drei Männer, die auf jenen hinblicken (nach der

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