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Werner, Wilfried
Cimelia Heidelbergensia: 30 illuminierte Handschriften der Universitätsbibliothek Heidelberg — Wiesbaden, 1975

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https://doi.org/10.11588/diglit.2051#0062

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(Cod. Pal. Germ. 848) Grosse Heidelberger Liederhandschrift

Staaten der Familie Friedrichs V.Asyl gewährt hatten. Wahrscheinlich hatte das Buch von der ständig in Geld-
nöten lebenden Witwe des Winterkönigs, Elisabeth Stuart, verkauft werden müssen. In der Pariser Königlichen
Bibliothek, der späteren Bibliotheque Nationale, verblieb der Kodex 230 Jahre lang, bis er im Jahre 1888 durch
die Vermittlung eines gebürtigen Heidelbergers, des Straßburger Buchhändlers Karl Ignaz Trübner, mit
Mitteln des kaiserlichen Dispositionsfonds für Deutschland zurückgewonnen und nach Heidelberg gebracht
werden konnte, wo die Universitätsbibliothek in gewissem Sinne die Nachfolge der ehemaligen Bibliotheca
Palatina angetreten hatte.

Unser Bild, (fol. 192v, Tafel S. 64), eine Arbeit des ersten Nachtragsmalers, ist den drei Minneliedern des
Marschalls Albrecht von Raprechtswile vorangestellt, eines Ministerialen der Herren von Rapperswil (am
Zürcher See), der für die siebziger Jahre des 13. Jahrhunderts urkundlich nachgewiesen ist. Wiedergegeben ist
ein Turnierkampf zu Pferde, und zwar ein Zweikampf, die sogenannte Tjost. Der Marschall, der das Wappen
seines Lehnsherrn auf dem Schild und auf der Kuvertüre des Pferdes führt (allerdings statt mit einer roten mit
einer silbernen Rose im schwarzen statt im weißen Feld) und dessen vergoldeter hinterer Sattelbogen den roten
Habsburger Löwen zeigt (Rapperswil war seit 1295 habsburgisch), hat im Ansturm seinen Gegner mit der
Turnierlanze getroffen. Dieser gleitet rücklings vom Pferde. Die Ritter sind durch einen Kettenpanzer, durch
Beinschienen und durch einen Topfhelm mit spitzem, in einer Kugel endendem Aufsatz geschützt. Der Unter-
legene hat seinen Helm verloren. Im Vordergrund sieht man zwei kleine Figuren, offenbar »kriierer«, Leute,
die sich bei Turnieren oder in der Schlacht den Rittern auf verschiedene Weise nützlich machten, indem sie
etwa ein frisches Pferd oder neue Waffen für den Herrn bereithielten oder den Kampfruf anstimmten. Hier
sind offenbar die Kriierer der gegnerischen Parteien in Streit geraten. Der eine schwingt einen Stock; der Kopf
des anderes zeigt bereits Blessuren. Auffällig sind die Größenunterschiede der dargestellten Personen. Der
Marschall überragt merklich seinen Gegner, die Kriierer erscheinen geradezu winzig. Die Vermutung, daß
hier der ständische Rang berücksichtigt sei, wird durch zahlreiche andere Miniaturen unserer Handschrift
bestätigt. Nicht die konkrete Anschauung, sondern eine Idee ist also bestimmend für die künstlerische Ge-
staltung. Auch andere Beobachtungen weisen darauf hin, daß es dem Maler nicht darum ging, die Wirklichkeit
möglichst getreu wiederzugeben. So ist auf unserem Bilde das eine Pferd rot, das andere blau-weiß gesprenkelt.
Man wird hier kaum an den Symbolwert der Farben zu denken haben, der im Mittelalter - etwa in der Liturgie
- keine unbedeutende Rolle spielte; vielmehr sind die Farbwerte hier wohl nach ihrer dekorativen Wirkung
eingesetzt. - Im oberen Teil des Bildes erblickt man über einem Zinnenkranz eine Gruppe von drei Damen
und zwei Musikanten. Die Damen, teils mit dem »Schapel« - dem Kranz oder Stirnband der Mädchen -, teils
mit dem »Gebende« - der Stirn- und Kinnbinde der Frauen -, teils mit Schleier und »Hülle«, bezeugen ihre
Anteilnahme an dem Geschehen auf dem Turnierplatz durch mehr oder weniger lebhafte Gebärden. Die bei-
den Spielleute empfangen den Sieger mit einem Tusch. - Das Bild ist von einem architektonischen Rahmen
umgeben: Auf schlanken Säulen ruht ein Ziegeldach, das mit einer goldenen Kugel verziert ist. -

(Nur die wichtigsten bzw. neuesten Titel werden genannt, die meist auch umfassende Literaturzusammenstellungen ent-
halten). - Die Manessische Liederhandschrift. Faksimile-Ausgabe. Einleitungen von R. Sillib (»Die Geschichte der
Handschrift« ), Fr. Panzer ( »Lied und Bild« ), A. Haseloff ( »Die kunstgeschichtliche Stellung der Manessischen Hand-
schrift«). Leipzig 1929. - Die Große Heidelberger (»Manessische«) Liederhandschrift. In Abbildung herausgegeben von
U. Miller. Göppingen 1971. (Litterae. 1). - E. Jammers, Das Königliche Liederbuch des deutschen Minnesangs. Eine
Einführung in die sogenannte Manessische Handschrift. Heidelberg 1965. - Fr. Pfaff, Die Große Heidelberger Lieder-
handschrift. In getreuem Textabdruck. 1. (und einziger) Teil. Heidelberg 1909. (Neudruck in Vorbereitung). — G. Siebert-
Hotz, Das Bild des Minnesängers. Untersuchungen zur Dichterdarstellung in den Miniaturen der Großen Heidelberger
Liederhandschrift. Dissertation Marburg 1964. - H. Frühmorüen-Voss, Bildtypen in der Manessischen Liederhandschrift.
- In: Werk - Lyp - Situation. Festschrift für Hugo Kuhn. Stuttgart 1969. S. 184-216. - H.-E. Renk, Der Manessekreis,
seine Dichter und die Manessische Handschrift. Stuttgart 1974 (Studien zur Poetik und Geschichte d. Literatur. 33).— Minne-
sänger . . . Wiedergaben aus d. Manessischen Liederhs. Einl. von K. Martin. Bd 1 -3. Baden-Baden/Aachen i960- 1972. -
Minnesinger in Bildern d. Manessischen Liederhs. Erl. von W. Koschorreck. Frankfurt 1974 (Insel-Taschenbuch. 88). -
Ein neues Vollfaksimile mit wiss. Kommentar erscheint ab 1975.

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