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Kautzsch, Rudolf
Einleitende Erörterungen zu einer Geschichte der deutschen Handschriftenillustration im späteren Mittelalter (Studien zur deutschen Kunstgeschichte 3) — Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 3: Straßburg, 1894

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https://doi.org/10.11588/diglit.2061#0074
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(etwa während der • Jahre 1400 bis 1480). Und in eben diese
Zeit fällt bekanntlich eine der grössten Umwandelungen, die der
zeichnerische Stil je erlebt hat: Um 140O finden wir noch durch-
weg weich geschwungene, überall gerundete Linien, um 1450
alles gerade gerichtet, eckig gebrochen. Es liegt nahe, die beiden
zeitlich zusammenfallenden Entwickelungen — den allmäligen
Sieg des Bilddruckes über die Federzeichnung und den allmäligen
Sieg des geradlinigen Stils — in einen ursächlichen Zusammen-
hang zu bringen.

Bevor wir zur genaueren Prüfung dieser Vermuthung schrei-
ten, müssen wir uns die mannigfachen Berührungen des Zeich-
nergewerbes mit dem des Bilddruckers vergegenwärtigen.

Wenden wir zunächst unsere Aufmerksamkeit auf die Waare,
welche beide erzeugten. Wie sah es wohl in der Bude eines
Peter von Haselo vor dem Strassburger Münster aus? Ich meine,
die grossen Handschriften mit umfänglichem Text werden auf
seinem Tisch keine gar so grosse Rolle gespielt haben.x Um so
mehr lagen da Heiligenbilder, ins Gebetbuch zu kleben oder an
die Wand zu heften, Ablassbriefe, Bilderbogen mit Darstellungen
der Passion, des Todtentanzes, Bilder zu den 10 Geboten, zu
den 7 Sacramenten, den Werken der Barmherzigkeit, weiter das
Leben unserer lieben Frau und ihres Kindes, Heiligengeschichten,
Kalender, Arznei-, Wetter- und Wahrsagebücher, endlich nicht
zum wenigsten die beliebten Spielkarten, kurz der ganze volks-
tümliche Verlag des angehenden 15. Jahrhunderts.

Wenn von all' dieser Waare auch nur die eigentlichen
Bücher reichlicher aut uns gekommen sind, so ist doch kaum daran
zu zweifeln, dass alle jene Blätter und Hefte, deren Hauptbedeutung
in den Bildern lag, überaus zahlreich angefertigt wurden: ein-
zelne Bilder vielleicht noch mehr als Bilderbücher. Die spärliche
Erhaltung ist kein Beweis dagegen. Man bedenke: wie sollten
z. B. mit der Hand gezeichnete und gemalte einzelne Heiligen-
bildchen anders bewahrt worden sein, als in Hss. eingeklebt-
Dort aber hat noch niemand nach ihnen gesucht.2 Die zweifellos

1 Vgl. zum Folgenden Wattenbach S. 476 f.

2 Eingeklebte Miniaturen und Federzeichnungen sind fh Hss. nicht
eben sehen» Es lohnte sich, sie auf ihre Gleichzeitigkeit Uttd Zusammen*
 
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