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Kladderadatsch in Paris: Humor und Satyre auf die Industrie-Ausstellung — Berlin, 1-5.1855

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https://doi.org/10.11588/diglit.2326#0002
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2

Mriser, was wolll ihr mehr?

Jhr habt Republiken und Kön'ge
Und Kaiser; krirz, jed e Couleur
Bon einer L-taatsverfassung —
Pariser, was wollt ihr mehr?
Senat und Legislative
Und auch eine Bürgerwehr
Habt ihr — nun sagt, ihr Herren
Pariser, was wollt ihr mehr?
Jhr habt einen großen Kaiser,
Und „Vivs I'blmpersur!^
So schreit's auf allen Gaffen —
Pariser, waS wollt ihr mehr?

Jhr habt die tapfersten Männer;
Es liegt ein ganzes Heer
Von ihnen vor Sebastopel -—
Pariser, was wollt ihr mehr?
Jhr habt die größten Steuern,
Sie wachsen noch täglich sehr;
Jhr braucht nur zn bezahlen —
Pariser, was wollt ihr mehr?
Jhr habt die schönsten Schulden,
Und habt proüt tout olair:
Jhr könnt sie niemals zahlen —
Pariser, was wollt ihr mehr?

Jhr habt eine Weltausstellung
Mit unaeheurem Berkehr,
Und habt die schönsten Frauen —
Pariser, was wollt ihr mehr?

Aeker dm Amgang mil Alenschen
während der Jndilftrie-Ansstellunfl.
Unentbehrliche Fingerzeige sür die Reise nach Paris
vom seligen Knigge.

Jhr lebt im dicksten Frieden
Und seid eine Ulues cks sursrrs,
Und habt nichts mehr ^»verlieren —
Pariser, was wollt^hr Wehr?

Die Rau-Denkmater von Paris.

Die Tuilerien. <o)


Paris ist eine Welthanptstadt, woraus folgt, daß die Welt
sürParis nur eineProvinz ist. Js mehr dieBewohner derHaupt-
stadt an Klngheit, Bildung und Feinheit den Provinzialen über-
legen sein pflegen, desto mehr Veranlassung haben die Letzteren,
wenn sie die Hauptstadt besuchen wollen, ihr gewöhnlich etwas rohes.und
plumpes Benehmen den cultivirten Sitten der Großstadt möglichst anzu-
bequemen, um fowohl den Schein der Lächerlichkeit als andere größere
oder geringere Nachtheile zu vermciden. Dazu eine praktische Anleitung
zu geben, lst der Zweck dieses Werkes.
Da, wie gesagt, die Pariser ihre Stadt als die Capitale der
Welt betrachten, so sind sie vor Allem darauf bedacht, durch alle mög-
lichen Mittel würdige Bürger der Capitale das heißt — Capi-
talisten zu werden. Daher die Blüthe der Jndustrie und ihrcr
Ausstellung.
Ein andereS ebenso bekanntes als charakteristisches Element in dem
Wesen der Pariser ist ihre weltberühmte Ritterlichkeit. Sie können
dieselbe ebenso wenig verleugnen als das zuerst angegebene Merkmal;
und wer die Pariser psychologisch erkennen und demgemäß behandeln
will, wird wohl thun, diesen beiden Momenten ihres Charakters, der
Jndustrie und der Mtterlichkeit, immer Rechnung zu tragen und
sie danach stets hauptsächlich als die Ritter der Jndustrie oder
Jndustrie-Ritter zu betrachten.
Die Sprache der Pariser ist um so einschmeichelnder und ver-
lockender sür das Ohr des Fremden, je mehr sie eingestandenermaßen
gemacht ist, um die Gedanken zu verbergen.. Wenn ein Pariser
oder eine Pariserin dich anspricht, so nimm dein Öhr in
Acht, da du sonst sicherlich über dasselbe gehauen wirst.
Das Betragen der Pariser ist so glatt, daß du ihnen gegen-
über immer sehr sicher auftreten mußt, damit du nicht zu Falle
kommest. Daher sei fest und entschieden gegen Jeden, äber höflich
und rücksichtsvoll auch gegen den ordinärsten Menschen; denn
du weißt nicht, ob er nicht morgen schon Senator oder Minister
oder gar noch mehr sein kann.
So lange man sich in Paris aufhält, soll MHN nie sagen, was
eine Sache ist, sondern nur denken, wie sie von Oben wohl ange-
sehen werden dürfte. Hüte dich überhaupt in Paris vor politischen
Aeußerungen; denn däbei kommt nichts heraus, als höchstens —
du selbst. Ueberhaupt wirst du gut thun, jeden Morgen, ehe du
ausgehst, dich bei dem Oarzion deines Hütels zu erkundigen, ob die
Staatsverfassung noch dieselbe ist wie gestern. Denn man
kann es nie bestimmt wissen, und — sicher ist sicher.
Wenn du in Paris in eine Gesellschast trittst, so suche dich so
zu betragen, daß du möglichst bald hinausgeworfen werdest, da du,
;e länger du darin bleibst, desto mehr Gefahr läufst; denn die Pari-
ser Gesellschaft verderbt gute Sitten!
Durch Befolguug dieser und anderer Fingerzeige wirst du bei dei-
nem Aufenthalte in Paris mancher Gefahr und Unannehmlichkeit ent-
gehen können. Willst du aber ganz sicher sein, in Paris keinerlei
Schaden noch Malheur zu erleiden, sv reise lieber nach Bernau
oder Neustadt-Eberswalde.

Tuilerien ist der Name eines GebäudeS in Paris, welches voii^
Katharina von Medici a»i Pvlteraben d vvr der Pariser Blut-
hochzeitbegonnen, aberschon unter Ludwig XIII. so weit beenöet wurde,
daß Napoleon I. und nach diesem natürlich auch Napoleom III. die
letzte Hand an dasselbe legen konnte. Ursprünglich nur ein viereckiger
Pavillon mit zwei Seitenflügeln, haben die Luilerien sich nach und nach
zu einer Größe aufgeschwungen, welche nur von der Eile übertroffen
wird, mit welcher die meisten ihrer Bewohner das Local m Mlaffen
für gut befunden haben. Unter Ludwig XIII. und seinen NaWlgern
standen die Wohnungen in diesem Gebäude — wahrscheinlich kvegen
Feuchtigkeit «nd ungesunder Luft — größtentheils leer, und Biele von
denen, welche sich trotzdem entschlossen darin zu wohnen, Haben si^dort
irgend etwas geholt, so daß sie sich oft veranlaßt sahen, ohne alle »Wher-
gegangene Kündrgung nnd vor Ablauf rhrer contractlichen Zeit das
Quartier zu räumen. Sehr lange hat es, wie gesagt, noch fast Nie-
mand darin ausgehalten, und keiner der Bewohner kann mit Sicherheit
sagen, wer es nach ihm bewohnen wird. Sonst hat es weiter keinen
Zweck.

II.
Das Palais-Royal. O)
Das Palais-Royal bietet in seiner Erscheinung und Geschichte
manche Analogien mit dem vorher besprochenen Gebäude dar, welche
hauptsächlich darin zu suchen sind, daß es fast in Allem den directen
Gegensatz zu jenem bildet. Von Richelieu erbaut und mit dem Namen
Palais-Cardinal getaust, fiel es durch Erbschast an die KLnigliche
Fämilie, welche es unter dem Namen Palais-Royal so lange besaß,
bis einer seinerBewohner es unter dem Namen Palais-Egalits an
dieRevolution abließ, die es unter demNamen Palais du Tribunat
so lange bewohnte, bis unter der Restauration auch sein alter Name
Palais-Royal restaurirt wurde, um nach der Februarrevolution in
Palais-National verwandelt und von den Napoleoniden für
die nächste Zcit in Palais-Royal wiedergetauft zu werden — ein
Name, der durchaus nichts zur Sache thut, obgleich das Gebäude
zufällig einem pensionirten Könige, dem alten Jerüme, als Woh-
nung angewiesen ist. Die übrigen Geschäfte, welche sich in demselben
befinden, Cafss, Restaurants, Werkstätten und Verkaufsläden aller Art,
in welchen ebenfalls Alles für Geld zu häben ist, scheinen eine ganz
solide und gut begründete Existenz zu haben, da ihre Firmen sich
meist einer sehr langen Dauer erfreuen, obgleich sie zusammen nicht
weniger als anderthalb Millionen Miethe zahlen, woraus man
sieht, daß dieses Gebäude wenigstens einen Zweck hat.
(Wird förtgesetzt.)
 
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