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DAS TUPFENORNAMENT
hier geschieht etwas, diese Stellen sind von besonderer Bedeutung. Sobald der
primitive Künstler sich Rechenschaft davon gab und mitteilen wollte, was an
den betreffenden Stellen geschah, und welche Kräfte dort wirksam waren,
mußte er sich eine andere Ausdrucksform wählen: daswardiegeradeLinie,
das Bild der einfachen, sich frei auswirkenden Kraft. Der Über-
gang von dem amorphen, natürlich begründeten Tupfenornament
zu der geometrisch abstrakten Form bedeutet die endgültige Ab-
sage an dieTechnikunddasfreie Bekenntnis zu der künstlerischen
Eigenart des Ornaments, die darin besteht, die F ormen ein es Gegen-
standes zu betonen und die in ihm wirksamen Kräfte symbolisch
darzustellen.
Man könnte, nach Analogie mit dem Körperschmuck, das Fingertupfenorna-
ment mit dem aus natürlichen Gegenständen gebildeten Schmuck vergleichen,
das geometrische Ornament mit der Tätowierung. Die spätere Muschelhaufen-
keramik zeigt nun, daß dort, diese ,, Gefäßtätowierung“ bereits verhältnismäßig
reich entwickelt war. Neben der geraden, wagerechten Linie, die den Mundrand
„unterstreicht“, tritt die Reihe aus einfachsten Elementen, nämlich senkrechten
oder schrägen Strichelchen, auf, die jedes für sich eine eigene Richtung besitzen
und sich als die Elemente einer in sich differentiierten geraden Linie darstellen.
Winkellinien, sogar Dreiecksreihen kommen vor, aber das Prinzip des ein-
fachen, sich selbst gleichbleibenden Fortgleitens oder Fortschreitens um die
Gefäßmündung wird nicht überschritten; es bleibt bei einem homogenen, aus
kongruenten Elementen zusammengesetzten, wagerechten Randornament. Wie
wir uns das reichere Stich- und Schnittornament zu denken haben, entzieht sich
der Beurteilung, weil der dänischen Publikation leider das sehr erwünschte Ab-
bildungsmaterial fehlt. Zwei Erwähnungen sind aber wichtig: das Erscheinen
einer weißen Inkrustierung, die das Muster schärfer hervortreten läßt, und
namentlich die Anwendung gewisser Hilfsmittel, um das beabsichtigte Muster
zu erzeugen. In beiden Fällen läßt die künstlerische Absicht nach neuen Mitteln
greifen, die dem Handwerk fremd waren. Schon für die Herstellung des ein-
fachsten geometrischen Musters genügten nicht mehr die Finger, die das Gefäß
angefertigt hatten, sondern man brauchte dazu besondere Instrumente, Holz-
stäbchen, Knochensplitter u. dgl. Reden die dänischen Angaben von Schnur-
oder Kardiummuscheleindrücken, so ist das ein Beweis, daß schon dem primi-
tiven Neolithiker der Muschelhaufen verschiedene sehr geeignete Mittel zu Ge-
bote standen, um die erwünschte Form schnell und exakt hervorzubringen.
Überflüssig zu betonen, daß nun nicht diese Hilfsmittel das erwähnte Ornament
erklären, sondern daß umgekehrt diese einfachste geometrische Ornamentik, die
sich noch in zahlreichen anderen Zusammenstellungen betätigte, neben anderen
Hilfsmitteln auch den Gebrauch von Schnüren, Muschelschalen usw. erklärt.
Um das Bild der frühesten neolithischen Kunst zu ergänzen, sei vergleichs-
weise eine weitere, nicht nordische, Gruppe herangezogen, die ältere Pfahl-
bautenkeramik. Die sehr charakteristisch geformten und verzierten Ge-
fäße der älteren Pfahlbautenkultur lassen sich von der Nordschweiz und vom
DAS TUPFENORNAMENT
hier geschieht etwas, diese Stellen sind von besonderer Bedeutung. Sobald der
primitive Künstler sich Rechenschaft davon gab und mitteilen wollte, was an
den betreffenden Stellen geschah, und welche Kräfte dort wirksam waren,
mußte er sich eine andere Ausdrucksform wählen: daswardiegeradeLinie,
das Bild der einfachen, sich frei auswirkenden Kraft. Der Über-
gang von dem amorphen, natürlich begründeten Tupfenornament
zu der geometrisch abstrakten Form bedeutet die endgültige Ab-
sage an dieTechnikunddasfreie Bekenntnis zu der künstlerischen
Eigenart des Ornaments, die darin besteht, die F ormen ein es Gegen-
standes zu betonen und die in ihm wirksamen Kräfte symbolisch
darzustellen.
Man könnte, nach Analogie mit dem Körperschmuck, das Fingertupfenorna-
ment mit dem aus natürlichen Gegenständen gebildeten Schmuck vergleichen,
das geometrische Ornament mit der Tätowierung. Die spätere Muschelhaufen-
keramik zeigt nun, daß dort, diese ,, Gefäßtätowierung“ bereits verhältnismäßig
reich entwickelt war. Neben der geraden, wagerechten Linie, die den Mundrand
„unterstreicht“, tritt die Reihe aus einfachsten Elementen, nämlich senkrechten
oder schrägen Strichelchen, auf, die jedes für sich eine eigene Richtung besitzen
und sich als die Elemente einer in sich differentiierten geraden Linie darstellen.
Winkellinien, sogar Dreiecksreihen kommen vor, aber das Prinzip des ein-
fachen, sich selbst gleichbleibenden Fortgleitens oder Fortschreitens um die
Gefäßmündung wird nicht überschritten; es bleibt bei einem homogenen, aus
kongruenten Elementen zusammengesetzten, wagerechten Randornament. Wie
wir uns das reichere Stich- und Schnittornament zu denken haben, entzieht sich
der Beurteilung, weil der dänischen Publikation leider das sehr erwünschte Ab-
bildungsmaterial fehlt. Zwei Erwähnungen sind aber wichtig: das Erscheinen
einer weißen Inkrustierung, die das Muster schärfer hervortreten läßt, und
namentlich die Anwendung gewisser Hilfsmittel, um das beabsichtigte Muster
zu erzeugen. In beiden Fällen läßt die künstlerische Absicht nach neuen Mitteln
greifen, die dem Handwerk fremd waren. Schon für die Herstellung des ein-
fachsten geometrischen Musters genügten nicht mehr die Finger, die das Gefäß
angefertigt hatten, sondern man brauchte dazu besondere Instrumente, Holz-
stäbchen, Knochensplitter u. dgl. Reden die dänischen Angaben von Schnur-
oder Kardiummuscheleindrücken, so ist das ein Beweis, daß schon dem primi-
tiven Neolithiker der Muschelhaufen verschiedene sehr geeignete Mittel zu Ge-
bote standen, um die erwünschte Form schnell und exakt hervorzubringen.
Überflüssig zu betonen, daß nun nicht diese Hilfsmittel das erwähnte Ornament
erklären, sondern daß umgekehrt diese einfachste geometrische Ornamentik, die
sich noch in zahlreichen anderen Zusammenstellungen betätigte, neben anderen
Hilfsmitteln auch den Gebrauch von Schnüren, Muschelschalen usw. erklärt.
Um das Bild der frühesten neolithischen Kunst zu ergänzen, sei vergleichs-
weise eine weitere, nicht nordische, Gruppe herangezogen, die ältere Pfahl-
bautenkeramik. Die sehr charakteristisch geformten und verzierten Ge-
fäße der älteren Pfahlbautenkultur lassen sich von der Nordschweiz und vom