108 VERDRÄNGUNG DER GERADEN LINIE
von Grund und Muster begegnen hier in der gleichen Gestalt (Abb. 20). Wir
wollen es der Flechtwerktheorie überlassen, mit der Erklärung dieser „textilen“
Muster an den ersten Metallgeräten fertig zu werden; uns bieten sie einen neuen
Beweis, daß die gleichen Erscheinungen in der neolithischen Kunst spät an-
gesetzt werden müssen, sodann aber auch, daß es nicht ohne weiteres das
neue Material, die Bronze, war, welches die ornamentale Form
der reiferen Bronzezeit bedingte.
Betrachten wir nun eine der wichtigsten Spezialformen, deren Entwicklung
sich Schritt für Schritt durch die ganze frühe Bronzezeit verfolgen läßt, näm-
lich den Dolch oder das Schwert mit Bronzegriff, so zeigt sich, daß der erste
Bruch mit der neolithischen Kunst viel enger mit der neuen Form des Trägers
als mit seiner materiellen Beschaffenheit zusammenhängt. Denn sobald
die Ornamentierung sich nicht auf einzelne gerade Linien beschränkt, die die
Schneiden der Klinge begleiten, sondern der volle Reichtum an spätneolithi-
schen Formen, schraffierten Dreiecksreihen, Winkelbändern, Wolfszähnen usw.
Verwendung finden soll, stellt sich heraus, daß die alte Formsprache den neuen
ornamentalen Anforderungen nicht mehr genügte. Im Gegensatz zu dem aus
breiten homogenen Streifen aufgebauten Gefäß vereinigte der Dolch oder das
aus ihm hervorgehende Kurzschwert mit Knaufplatte, Griffkörper, Griffflügeln,
Klinge, auf beschränktem Raum eine größere Zahl komplizierter Formen und
Formübergänge als Ausdruck einer Summe nützlicher Funktionen, denen das
spröde, geradlinige Ornament nicht mehr zu folgen vermochte. Die gerade Linie,
die nur über größere Strecken wirken kann, die fortgesetzte, bedachtsame Wie-
derholung der Dreiecke usw. hatte auf dem neuen Boden nichts mehr zu suchen.
Der Grund wurde zu bewegt, um auskristallisieren zu können, der Sinn des ge-
radlinigen Ornaments ging verloren, soweit es sich nicht auf seine erste, die-
nende Funktion beschränkte und sich mit einer bescheidenen Umsäumung der
Knaufplatte oder Gliederung des Griffes begnügte. In dieser dienenden Stellung
durfte und konnte das geradlinige Ornament durch die gesamte Bronzezeit
bleiben und ist es auch geblieben, denn diese Aufgabe war ihm am besten an-
vertraut.
Die Entwicklung der Bronzezeitgeräte und Waffen beschleunigte die Zurück-
drängung der geradlinigen Ornamentik. Denn in Anlehnung an die vorbild-
lichen Steingeräte war die Gestalt der frühesten Metallgeräte vielfach selber
geradlinig. Die ältesten Flachbeile waren trapezförmig, die Dolchklingen drei-
eckig, und auch die entwickelteren Terramare-Dolche mit Bronzegriff zeigen
noch stark den „kristallinischen“ Charakter: die Klinge ist ein langgezogenes
Dreieck, die Griffflügel schließen gegen die Klinge in einer wagrechten Linie ab,
der Griff selber zeigt ein rechteckiges Profil, die Knaufplatte ist flach, alle Teile
stehen unvermittelt, isoliert, nebeneinander (vgl. Abb. 21a). In engem Zusam-
menhang mit den Möglichkeiten, die nur das Metall bot, und zum Teil sicher
aus praktischen Erwägungen, kam darin schon in der erstenMontelius-Stufe eine
entschiedene Änderung. Die Seiten der Flachbeile werden geschwungen
(Abb. 20g), was eine Verlängerung der Schneide bei möglichst geringem Mate-
von Grund und Muster begegnen hier in der gleichen Gestalt (Abb. 20). Wir
wollen es der Flechtwerktheorie überlassen, mit der Erklärung dieser „textilen“
Muster an den ersten Metallgeräten fertig zu werden; uns bieten sie einen neuen
Beweis, daß die gleichen Erscheinungen in der neolithischen Kunst spät an-
gesetzt werden müssen, sodann aber auch, daß es nicht ohne weiteres das
neue Material, die Bronze, war, welches die ornamentale Form
der reiferen Bronzezeit bedingte.
Betrachten wir nun eine der wichtigsten Spezialformen, deren Entwicklung
sich Schritt für Schritt durch die ganze frühe Bronzezeit verfolgen läßt, näm-
lich den Dolch oder das Schwert mit Bronzegriff, so zeigt sich, daß der erste
Bruch mit der neolithischen Kunst viel enger mit der neuen Form des Trägers
als mit seiner materiellen Beschaffenheit zusammenhängt. Denn sobald
die Ornamentierung sich nicht auf einzelne gerade Linien beschränkt, die die
Schneiden der Klinge begleiten, sondern der volle Reichtum an spätneolithi-
schen Formen, schraffierten Dreiecksreihen, Winkelbändern, Wolfszähnen usw.
Verwendung finden soll, stellt sich heraus, daß die alte Formsprache den neuen
ornamentalen Anforderungen nicht mehr genügte. Im Gegensatz zu dem aus
breiten homogenen Streifen aufgebauten Gefäß vereinigte der Dolch oder das
aus ihm hervorgehende Kurzschwert mit Knaufplatte, Griffkörper, Griffflügeln,
Klinge, auf beschränktem Raum eine größere Zahl komplizierter Formen und
Formübergänge als Ausdruck einer Summe nützlicher Funktionen, denen das
spröde, geradlinige Ornament nicht mehr zu folgen vermochte. Die gerade Linie,
die nur über größere Strecken wirken kann, die fortgesetzte, bedachtsame Wie-
derholung der Dreiecke usw. hatte auf dem neuen Boden nichts mehr zu suchen.
Der Grund wurde zu bewegt, um auskristallisieren zu können, der Sinn des ge-
radlinigen Ornaments ging verloren, soweit es sich nicht auf seine erste, die-
nende Funktion beschränkte und sich mit einer bescheidenen Umsäumung der
Knaufplatte oder Gliederung des Griffes begnügte. In dieser dienenden Stellung
durfte und konnte das geradlinige Ornament durch die gesamte Bronzezeit
bleiben und ist es auch geblieben, denn diese Aufgabe war ihm am besten an-
vertraut.
Die Entwicklung der Bronzezeitgeräte und Waffen beschleunigte die Zurück-
drängung der geradlinigen Ornamentik. Denn in Anlehnung an die vorbild-
lichen Steingeräte war die Gestalt der frühesten Metallgeräte vielfach selber
geradlinig. Die ältesten Flachbeile waren trapezförmig, die Dolchklingen drei-
eckig, und auch die entwickelteren Terramare-Dolche mit Bronzegriff zeigen
noch stark den „kristallinischen“ Charakter: die Klinge ist ein langgezogenes
Dreieck, die Griffflügel schließen gegen die Klinge in einer wagrechten Linie ab,
der Griff selber zeigt ein rechteckiges Profil, die Knaufplatte ist flach, alle Teile
stehen unvermittelt, isoliert, nebeneinander (vgl. Abb. 21a). In engem Zusam-
menhang mit den Möglichkeiten, die nur das Metall bot, und zum Teil sicher
aus praktischen Erwägungen, kam darin schon in der erstenMontelius-Stufe eine
entschiedene Änderung. Die Seiten der Flachbeile werden geschwungen
(Abb. 20g), was eine Verlängerung der Schneide bei möglichst geringem Mate-