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Adama van Scheltema, Frederik
Die altnordische Kunst: Grundprobleme vorhistorischer Kunstentwicklung — Berlin: Mauritius-Verl., 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.62960#0169
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STILMERKMALE DER SPÄTEREN ENTWICKLUNGSPHASE 133

Entwicklungsphase, mit Sicherheit erwarten dürfen, muß es auffallen, daß die
spezifisch malerischen Mittel, deren sich schon die Kunst der ausgehenden
früheren Stilphase mit so großer Zielsicherheit bediente, jetzt keine Anwendung
mehr finden. Eine Durchbrechung oder Aushöhlung des Grundes und dessen
Ausfüllung mit Harz findet kaum mehr statt, und zwar nicht nur bei der Ver-
zierung der dünnwandigen Hängebecken. Zwei Gründe mögen hier maßgebend
gewesen sein: diese inhaltlich so bedeutsamen Formen brauchen zu ihrer freien
Entfaltung den sie umgebenden Grund, wie die freie Zeichnung die weiße Papier-
folie braucht. Man konnte zur Not die geschlossenen Zellen der Frühphase aus-
sparen und den Grund ringsherum beim Guß tiefer legen und mit Harzmasse
ausfüllen, aber nicht dieses reiche Muster mit seinen feinen Verästelungen und
um sich tastenden Fühlern. Als indifferente Folie für das Muster spielt der
Grund also eine ganz neue Rolle. Aber wichtiger noch: diese breiten, einge-
punzten Bänder haben durch den Gegensatz zum blank polierten Metall an und
für sich einen ausgesprochen optisch-farbigen Wert. Schon beim entwickelten
Spiralkreisomament der frühen Bronzezeit zu beobachten, scheint dieses Spiel
mit den gerauhten, bald das Licht absorbierenden, bald selber leuchtenden
Bandstreifen in ihrem Gegensatz zur glatten Metallfläche jetzt noch zielbe-
wußter durchgeführt, zum Teil unter offenbarem Verzicht auf die klare Sprache
der Form. In dem Aussparen glatter Grundflächen im gerauhten Muster zeigt
sich ein Raffinement, wie es ganz ähnlich bei gewissen spätneolithischen Gefäß-
verzierungen hervortrat (Rössen), nur daß in der stumpfen Tonmasse nicht
annähernd die gleiche optische Wirkung erzielt werden konnte wie hier in der
einmal glänzenden Bronzefläche (vgl. Taf. XII).
In eindringlichster Form belehren uns über diese optisch-malerische Tendenz
in der Kunst der späten Bronzezeit die sehr charakteristischen Halsringe der
fünften Montelius-Stufe. Die frühesten Hals- oder Armringe waren aus einer
runden Stange hergestellt; sie besaßen eine glatte Fläche, die durch ein gerad-
liniges Muster aus Strichgruppen, Wolfszähnen usw. verziert werden konnte.
Schon in der M. II-Stufe können diese Halsringe ihre glatte Oberfläche ver-
lieren durch eine wirkliche oder nachgeahmte Drehung der Metallstange: der
Ring wird schräg gerippt. Bei den sog. ,,Wendeiringen“ der späten Bronze-
zeit ist aber die zugrunde liegende Bronzestange vierkantig, und wird abwech-
selnd nach links und nach rechts tordiert (Taf. XIII, 1; durch flügelartige Ver-
breiterung der blattdünnen Kanten kann die Wirkung aber noch bedeutend
gesteigert werden). Infolgedessen wird bei diesen Wendeiringen nicht nur die
Fläche gänzlich aufgelöst, sondern der ganze Körper wird tief aufgerissen, seine
Struktur zerstört, es wechseln unvermittelt tiefe Schatten und beleuchtete
Kanten. Wir denken an verwandte Erscheinungen, Buckelverzierung, Kanne-
lierung usw. in der Keramik der mitteleuropäischen Bronzezeit, aber gerade
die Schraubenwindung erscheint in der spätesten Bronzezeit als ein allgemein
verbreitetes, höchst charakteristisches Merkmal: schräg kannelierte Gefäße
finden sich z. B. in den schlesischen Urnenfeldern1, schraubenförmig gewundene
1. Vgl. O. Mertins, Wegweiser durch die Urgeschichte Schlesiens 1906. Abb. 132.
 
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