156 VERWANDTE ENTWICKLUNGSTENDENZEN
Diese kurzen Angaben mögen genügen, um die Überraschung zu begründen,
mit der der Forscher der nordischen Kunst von Riegls Darlegungen Kenntnis
nimmt. Die stilistischen Eigentümlichkeiten, die Riegl hier für die spätantike
Ornamentik hervorhebt, entsprechen so genau den charakteristischsten Er-
scheinungen, die uns in den späten Entwicklungsphasen der nordischen Kunst
bis jetzt entgegentraten, daß man sich nach der bloßen Beschreibung fragen
möchte, ob keine Verwechslung vorliege und ob Riegl nicht die Denkmäler
irgendeiner spätnordischen Kunstübung untersucht habe. So verschieden zum
Teil die Mittel sein mögen, womit das verwandte Ziel verfolgt wird, so grund-
sätzlich sind die Übereinstimmungen: die Zerstörung der einheitlich zusam-
menhängenden Grundebene, ihre Ersetzung durch die künstlerisch-ideale
Fläche des Musters, das Umschlagen von Grund in Muster, Muster in Grund
und damit das Auftreten komplementärer Motive, das Streben nach rein op-
tisch-farbiger Wirkung sogar auf Kosten der Form, die kerbschnittartige Aus-
höhlung des Grundes, die farbigen Einlagen aus einer fremden Substanz —
das alles sind höchst bezeichnende, uns aus der Entwicklung der neolithischen
und bronzezeitlichen Kunst des Nordens wohlbekannte Erscheinungen. Und
diese Übereinstimmung geht manchmal bis in die kleinsten Details. So erwähnt
Riegl als ein für die spätrömische Kunst charakteristisches Muster die rezi-
proken Dreieckszacken, „die in der Tat im koloristischen Stile das Äußerste an
Verwischung des Verhältnisses zwischen Grund und Muster leisten“. Dieses
reziproke Dreiecksmuster, d. h. die Reihen von ineinandergreifenden, abwech-
selnd gemusterten und leeren Dreiecken ist aber eine für die späte Steinzeit
ganz bezeichnende und häufige Erscheinung (Schnurkeramik, vgl. Abb. 16, b).
Das Motiv der übereck gestellten Vierecke gilt Riegl gleichfalls als ein charak-
teristisch spätrömisches, durch den spätorientalischen Teppichstil bekanntes
Muster; wir trafen dieses „Teppichmuster“ aber an den spätneolithischen
Kugelamphoren und englischen Zonenbechern (Abb. 15, a), und so wundem wir
uns nicht, wenn auch als Verzierung der spätgermanischen Tongefäße die ein-
gepreßten, übereck gestellten Rhomben wieder eine wichtige Rolle spielen1.
Riegl selber erwähnt bei der Besprechung der Granateinlagen die Harzinkru-
station im späten Abschnitt der früheren Bronzezeit, bemerkt nun aber irrtüm-
lich, daß diese Harzeinlagen nur den vertieften Grund um das Muster ausfüllen
und damit, im Gegensatz zur spätrömischen Granatverzierung, keinen Zweifel
über den Charakter des Grundes oder des Musters auf kommen ließen. Diese
klare Hervorhebung des Musters durch den Harzgrund geschah beim Spiral-
und Kreismuster der Bronzezeit, nicht aber beim zentralen Sternmuster, das
aus dem von den Randlappen umschlossenen Grund als neues Muster hervor-
ging (vgl. S.125T). Auch bei den regelmäßig abwechselnden Metall-und Knochen-
oder Holzscheiben am Griff der M. Ill-Schwerter ist die sichere Bestimmung
von Grund und Muster nicht möglich. Aber schon die Aussparung eines
schmalen Zickzackbandes zwischen den gegenständigen, schraffierten oder aus-
1. Vgl. Krug von Szent-Andras: J. Hampel, Altertümer des Mittelalters in Ungarn, Bd. I,
Abb. 291.
Diese kurzen Angaben mögen genügen, um die Überraschung zu begründen,
mit der der Forscher der nordischen Kunst von Riegls Darlegungen Kenntnis
nimmt. Die stilistischen Eigentümlichkeiten, die Riegl hier für die spätantike
Ornamentik hervorhebt, entsprechen so genau den charakteristischsten Er-
scheinungen, die uns in den späten Entwicklungsphasen der nordischen Kunst
bis jetzt entgegentraten, daß man sich nach der bloßen Beschreibung fragen
möchte, ob keine Verwechslung vorliege und ob Riegl nicht die Denkmäler
irgendeiner spätnordischen Kunstübung untersucht habe. So verschieden zum
Teil die Mittel sein mögen, womit das verwandte Ziel verfolgt wird, so grund-
sätzlich sind die Übereinstimmungen: die Zerstörung der einheitlich zusam-
menhängenden Grundebene, ihre Ersetzung durch die künstlerisch-ideale
Fläche des Musters, das Umschlagen von Grund in Muster, Muster in Grund
und damit das Auftreten komplementärer Motive, das Streben nach rein op-
tisch-farbiger Wirkung sogar auf Kosten der Form, die kerbschnittartige Aus-
höhlung des Grundes, die farbigen Einlagen aus einer fremden Substanz —
das alles sind höchst bezeichnende, uns aus der Entwicklung der neolithischen
und bronzezeitlichen Kunst des Nordens wohlbekannte Erscheinungen. Und
diese Übereinstimmung geht manchmal bis in die kleinsten Details. So erwähnt
Riegl als ein für die spätrömische Kunst charakteristisches Muster die rezi-
proken Dreieckszacken, „die in der Tat im koloristischen Stile das Äußerste an
Verwischung des Verhältnisses zwischen Grund und Muster leisten“. Dieses
reziproke Dreiecksmuster, d. h. die Reihen von ineinandergreifenden, abwech-
selnd gemusterten und leeren Dreiecken ist aber eine für die späte Steinzeit
ganz bezeichnende und häufige Erscheinung (Schnurkeramik, vgl. Abb. 16, b).
Das Motiv der übereck gestellten Vierecke gilt Riegl gleichfalls als ein charak-
teristisch spätrömisches, durch den spätorientalischen Teppichstil bekanntes
Muster; wir trafen dieses „Teppichmuster“ aber an den spätneolithischen
Kugelamphoren und englischen Zonenbechern (Abb. 15, a), und so wundem wir
uns nicht, wenn auch als Verzierung der spätgermanischen Tongefäße die ein-
gepreßten, übereck gestellten Rhomben wieder eine wichtige Rolle spielen1.
Riegl selber erwähnt bei der Besprechung der Granateinlagen die Harzinkru-
station im späten Abschnitt der früheren Bronzezeit, bemerkt nun aber irrtüm-
lich, daß diese Harzeinlagen nur den vertieften Grund um das Muster ausfüllen
und damit, im Gegensatz zur spätrömischen Granatverzierung, keinen Zweifel
über den Charakter des Grundes oder des Musters auf kommen ließen. Diese
klare Hervorhebung des Musters durch den Harzgrund geschah beim Spiral-
und Kreismuster der Bronzezeit, nicht aber beim zentralen Sternmuster, das
aus dem von den Randlappen umschlossenen Grund als neues Muster hervor-
ging (vgl. S.125T). Auch bei den regelmäßig abwechselnden Metall-und Knochen-
oder Holzscheiben am Griff der M. Ill-Schwerter ist die sichere Bestimmung
von Grund und Muster nicht möglich. Aber schon die Aussparung eines
schmalen Zickzackbandes zwischen den gegenständigen, schraffierten oder aus-
1. Vgl. Krug von Szent-Andras: J. Hampel, Altertümer des Mittelalters in Ungarn, Bd. I,
Abb. 291.