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Oettingen, Wolfgang von; Königliche Akademie der Künste zu Berlin [Contr.]
"National": Rede zur Feier des allerhöchsten Geburtstages Seiner Majestät des Kaiser und Königs am 27. Januar 1898 in der öffentlichen Sitzung der Königlichen Akademie der Künste — Berlin: Ernst Siegfried Mittler und Sohn, Königliche Hofbuchhandlung, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.70869#0018
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trauern, wenn es ihm nicht gelingt, die Deutschheit eines
Albrecht Dürer, eines Moritz Schwind, Alfred Rethel,
Ludwig Richter phrasenlos und erschöpfend in Worte zu fassen.
Das Anschauen ihrer rein empfundenen Werke genügt uns, um
uns mit Wohlbehagen und Bewunderung davon zu überzeugen,
dass sie als echt deutsche Männer wirkten, und wir fragen nicht
nach Weiterem, um uns das noch erst zu beweisen. Glauben
wir doch ebenso unmittelbar an die Deutschheit eines Scherzo
oder Adagio von Beethoven und an die eines Liedes von
Goethe. Wir glauben sie und erwarten gelassen, ob ein
Aesthetiker uns einmal sagen kann, warum wir sie glauben.
So stehen wir denn schliesslich vor dem Räthsel unserer
Nationalität, unseres eigenen Wesens, ein »Ignorabimus« auf
den Lippen, still. Aber wie dem Leib des Menschen die
Nacht die gütigste Wohlthäterin ist, so frommt seiner Seele
das grosse Geheimniss, das ihm, wohin er über das Sichtbare
hinaus-, und so oft er in sein tiefstes Innere hineinschaut, den
Forscherblick begrenzt. Denn uns wurde eingepflanzt eine
göttliche Unrast. Wir würden zunichte, wenn wir ein letztes
Ziel erreichten; wem aber Ziele gegeben sind jenseits der
Möglichkeit, sie zu berühren, dem erwächst immer höher die
Lust und die Macht, seine leuchtenden Pfeile in die Dämme-
rung ringsumher zu versenden.
In diesem Sinne mühen wir uns auch ab um unsere Ideale,
die heilig sind, weil sie, unsichtbar und unfassbar wie alles Jen-
seitige, Wunder wirken. Unter den heiligsten Idealen aber
schwebt uns vor: obgleich wir Einzelnen unmessbar klein sind
gegenüber unserer Gesammtheit, dennoch würdig zu werden
unseres Vaterlandes und ähnlich seinem Geiste und beizutragen
zu seiner Wohlfahrt nach dem Maasse unserer besten Kräfte.
 
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