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Indessen so wohl ward es den Deutschen nicht, daß
ihre Kunst mit einem Schritt aus stiller Verkümmerung zu
dem Gipfel künstlerischen Schaffens sich erhoben hätte.
Die Natur war nicht karg, aber sie zahlte mit anderer Münze.
Man datiert eine neue Epoche unserer deutschen Kunst
zumeist von Jakob Asmus Carstens; insofern gewiß mit
Recht, als der Schleswiger Müllerssohn, der mit unsäglichen
Schwierigkeiten sich zur Kunst durchkämpfen mußte, sich
ganz selbständig und aus innerer Wahlverwandtschaft zu dem,
was ihm von antiker Kunst und von Renaissance zugänglich
wurde, zu einer großen und freien Naturanschauung und
zur Gestaltung dessen erhob, was sein Inneres erfüllte.
Aber eine ganze Reihe nur um weniges jüngerer Kräfte
schreitet auf verwandten Bahnen voran, Dannecker, Wächter,
Koch, Thorwaldsen, Gottfried Schadow, dessen für unsere
neuere Skulptur bahnbrechende Bedeutung in jenen Tagen
freilich noch kaum gewürdigt wurde. Einig mit dieser
älteren Gruppe in der leidenschaftlichen Ablehnung dessen,
was damals als Kunstunterricht geboten zu werden pflegte,
sproß seit den achtziger Jahren ein jüngeres Künstler-
geschlecht auf. Den Winckelmannschen Traditionen war es
entrückt und fühlte sich abgestoßen von dem, was man
antikische Nachahmung nannte. Dagegen trat eine natür-
liche Hinneigung hervor zu den Perioden der aufsteigenden
Kunst in Italien, und vielleicht noch stärker zu der deutsch-
niederländischen Kunst des fünfzehnten und angehenden
sechzehnten Jahrhunderts. In der Literatur waren längst
solche Tendenzen laut geworden. Schon im Jahre 1759
hatte der damals 85jährige Zannotto in Bologna, ein be-
geisterter Freund der Kunst seines Vaterlandes, als seine
längstgehegte Überzeugung ausgesprochen, daß man das
Unkraut der cattivi modi ausraufen müsse, um wieder Giotto
Indessen so wohl ward es den Deutschen nicht, daß
ihre Kunst mit einem Schritt aus stiller Verkümmerung zu
dem Gipfel künstlerischen Schaffens sich erhoben hätte.
Die Natur war nicht karg, aber sie zahlte mit anderer Münze.
Man datiert eine neue Epoche unserer deutschen Kunst
zumeist von Jakob Asmus Carstens; insofern gewiß mit
Recht, als der Schleswiger Müllerssohn, der mit unsäglichen
Schwierigkeiten sich zur Kunst durchkämpfen mußte, sich
ganz selbständig und aus innerer Wahlverwandtschaft zu dem,
was ihm von antiker Kunst und von Renaissance zugänglich
wurde, zu einer großen und freien Naturanschauung und
zur Gestaltung dessen erhob, was sein Inneres erfüllte.
Aber eine ganze Reihe nur um weniges jüngerer Kräfte
schreitet auf verwandten Bahnen voran, Dannecker, Wächter,
Koch, Thorwaldsen, Gottfried Schadow, dessen für unsere
neuere Skulptur bahnbrechende Bedeutung in jenen Tagen
freilich noch kaum gewürdigt wurde. Einig mit dieser
älteren Gruppe in der leidenschaftlichen Ablehnung dessen,
was damals als Kunstunterricht geboten zu werden pflegte,
sproß seit den achtziger Jahren ein jüngeres Künstler-
geschlecht auf. Den Winckelmannschen Traditionen war es
entrückt und fühlte sich abgestoßen von dem, was man
antikische Nachahmung nannte. Dagegen trat eine natür-
liche Hinneigung hervor zu den Perioden der aufsteigenden
Kunst in Italien, und vielleicht noch stärker zu der deutsch-
niederländischen Kunst des fünfzehnten und angehenden
sechzehnten Jahrhunderts. In der Literatur waren längst
solche Tendenzen laut geworden. Schon im Jahre 1759
hatte der damals 85jährige Zannotto in Bologna, ein be-
geisterter Freund der Kunst seines Vaterlandes, als seine
längstgehegte Überzeugung ausgesprochen, daß man das
Unkraut der cattivi modi ausraufen müsse, um wieder Giotto