7
jedem Kirchengänger bekannte Melodie oder gar ein beliebtes
weltliches Volkslied ist, zweitens durch die Einfachheit der
ganzen Komposition. Die gefürchteten Niederländer sind
in der ersten Periode für die, welche mit den scheinbar
langen Noten Bescheid wissen, weder öde noch schwierig.
Was kann es Schönres geben als Dufays (erstes) Kyrie der
Messe »Se la face ay pale«. Der Form nach aber ist dieser
ganz in kindliche Andacht und Demut getauchte Satz weiter
nichts als ein melodisch außerordentlich reiches Sopransolo,
das vom Tenor und Baß spärlich und nach Art von Brumm-
stimmen begleitet und gestützt wird. In der zweiten Nieder-
ländischen Schule gerät allerdings die Geistliche Chormusik
schon von Okeghem und Obrecht ab im Drange nach Ver-
tiefung, nach Einheitlichkeit des Satzes, nach Ebenbürtigkeit
der Stimmen, nach Ausnutzung der Grundgedanken in Unver-
ständlichkeit und Scholastik. Da erwacht aber aufs Geheiß
der immer volksfreundlichen Kirche und beseelt von Re-
naissance und Reformation der musikalische Volksgeist
mit doppelter Stärke. Palestrina und das Tridentiner
Konzil sind die jedem geläufigen Merknamen für den neuen
Aufschwung, die neue Frische, die in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts die liturgische Komposition zur Klassizität
und zu einer Fülle von Meistern und Meisterwerken führt,
die dem Reichtum der gleichzeitigen Malerei nichts nachgibt.
Haben wir doch in Orlando di Lasso Michelangelo und
Raffael in einer Person!
Die Jahrzehnte, während derer die Fachmusik sich in
die Ausbildung kontrapunktischer Mittel und Methoden
vergrub, sind aber für die Volksmusik nicht verloren ge-
wesen. Beweis? »Ein feste Burg ist unser Gott.« Dieses Lied
ist mehr als der zufällige Treffer eines begabten Naturalisten;
hinter seiner Kraft und seinem Schwung steht nicht bloß
Minnesang und Meistersang, da steht auch Josquin und
jedem Kirchengänger bekannte Melodie oder gar ein beliebtes
weltliches Volkslied ist, zweitens durch die Einfachheit der
ganzen Komposition. Die gefürchteten Niederländer sind
in der ersten Periode für die, welche mit den scheinbar
langen Noten Bescheid wissen, weder öde noch schwierig.
Was kann es Schönres geben als Dufays (erstes) Kyrie der
Messe »Se la face ay pale«. Der Form nach aber ist dieser
ganz in kindliche Andacht und Demut getauchte Satz weiter
nichts als ein melodisch außerordentlich reiches Sopransolo,
das vom Tenor und Baß spärlich und nach Art von Brumm-
stimmen begleitet und gestützt wird. In der zweiten Nieder-
ländischen Schule gerät allerdings die Geistliche Chormusik
schon von Okeghem und Obrecht ab im Drange nach Ver-
tiefung, nach Einheitlichkeit des Satzes, nach Ebenbürtigkeit
der Stimmen, nach Ausnutzung der Grundgedanken in Unver-
ständlichkeit und Scholastik. Da erwacht aber aufs Geheiß
der immer volksfreundlichen Kirche und beseelt von Re-
naissance und Reformation der musikalische Volksgeist
mit doppelter Stärke. Palestrina und das Tridentiner
Konzil sind die jedem geläufigen Merknamen für den neuen
Aufschwung, die neue Frische, die in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts die liturgische Komposition zur Klassizität
und zu einer Fülle von Meistern und Meisterwerken führt,
die dem Reichtum der gleichzeitigen Malerei nichts nachgibt.
Haben wir doch in Orlando di Lasso Michelangelo und
Raffael in einer Person!
Die Jahrzehnte, während derer die Fachmusik sich in
die Ausbildung kontrapunktischer Mittel und Methoden
vergrub, sind aber für die Volksmusik nicht verloren ge-
wesen. Beweis? »Ein feste Burg ist unser Gott.« Dieses Lied
ist mehr als der zufällige Treffer eines begabten Naturalisten;
hinter seiner Kraft und seinem Schwung steht nicht bloß
Minnesang und Meistersang, da steht auch Josquin und