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Verhältnis zur Musik unserer Feinde wieder so werden, wie
es vorher war? Bisher hat sich die Entwicklung der Ton-
kunst ja so vollzogen, daß von altersher ein reger Verkehr
herüber und hinüber stattfand: ein Volk hat vom andern
die Formen und Ausdrucksmittel genommen, die ihm genehm
waren, hat sie nach seiner Weise umgebildet, und das so
entstandene Neue ist dann wieder von jenen andern erfaßt
und eingeführt worden, soweit sie den Zugang zu seinem
Sinn fanden.
Denn es muß immer wieder betont werden, daß die
Annahme, die Musik sei eine allgemeine von Volk zu Volk
verständliche Sprache, ein gründlicher Irrtum ist. Um das
deutlicher zu machen, erinnere ich daran, daß »die eigent-
liche Realität des musikalischen Kunstwerkes in dem Ein-
druck besteht, den es in der Seele des Empfangenden zurück-
läßt«.1) Ja, nicht das Notenbild und nicht der Klang sind
die wirkliche Musik, sondern das, was Notenbild o$er Klang
uns innerlich gibt, was dadurch in uns angeregt und auf-
geregt wird.
Es ist nun leicht verständlich, daß ein Italiener italie-
nische Musik ganz anders empfindet als ein Deutscher, daß
sie ihm andere Suggestionen gibt und andere Gefühle er-
weckt als uns, und umgekehrt. Wer jemals im Ausland
gewesen ist, der weiß, mit welcher Macht ein deutsches
Volkslied uns ergreifen kann, wenn es unter fremden Sprach-
lauten, in fremder Natur und Umgebung auf uns einklingt:
die Fremde versinkt, die Heimat steigt lebendig vor uns
b C. Krebs, »Haydn, Mozart, Beethoven«. Leipzig, 2. Aufl.
1913, S. 2.
Verhältnis zur Musik unserer Feinde wieder so werden, wie
es vorher war? Bisher hat sich die Entwicklung der Ton-
kunst ja so vollzogen, daß von altersher ein reger Verkehr
herüber und hinüber stattfand: ein Volk hat vom andern
die Formen und Ausdrucksmittel genommen, die ihm genehm
waren, hat sie nach seiner Weise umgebildet, und das so
entstandene Neue ist dann wieder von jenen andern erfaßt
und eingeführt worden, soweit sie den Zugang zu seinem
Sinn fanden.
Denn es muß immer wieder betont werden, daß die
Annahme, die Musik sei eine allgemeine von Volk zu Volk
verständliche Sprache, ein gründlicher Irrtum ist. Um das
deutlicher zu machen, erinnere ich daran, daß »die eigent-
liche Realität des musikalischen Kunstwerkes in dem Ein-
druck besteht, den es in der Seele des Empfangenden zurück-
läßt«.1) Ja, nicht das Notenbild und nicht der Klang sind
die wirkliche Musik, sondern das, was Notenbild o$er Klang
uns innerlich gibt, was dadurch in uns angeregt und auf-
geregt wird.
Es ist nun leicht verständlich, daß ein Italiener italie-
nische Musik ganz anders empfindet als ein Deutscher, daß
sie ihm andere Suggestionen gibt und andere Gefühle er-
weckt als uns, und umgekehrt. Wer jemals im Ausland
gewesen ist, der weiß, mit welcher Macht ein deutsches
Volkslied uns ergreifen kann, wenn es unter fremden Sprach-
lauten, in fremder Natur und Umgebung auf uns einklingt:
die Fremde versinkt, die Heimat steigt lebendig vor uns
b C. Krebs, »Haydn, Mozart, Beethoven«. Leipzig, 2. Aufl.
1913, S. 2.