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Adler, Friedrich
Mittelalterliche Backsteinbauwerke des Preußischen Staates (Band 1): Die Mark Brandenburg: 1. Die Stadt Brandenburg. 2. Die Altmark — Berlin, 1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.31747#0032
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22

IX. Steinthor-Thurm der Neustadt.

Historisches.

Dieser gröfste und stärkste aller in Brandenburg vorhande-
nen Thürme liegt auf der Südwestseite der Neustadt und deckt
den Zugang der seit ältester Zeit dort in die Stadt eintretenden
Strafse von Magdeburg. Wegen der besonderen Wichtigkeit die-
ses Zuganges ist derselbe wahrscheinlich in der späteren Zeit
des Mittelalters von Grund aus in der gröfsten Solidität erneu-
ert worden. Die erste und einzige urkundliche Erwähnung des
Thurmes fällt in die Jahre 1433 und 1438, wo derselbe als Ge-
fängnifs für in Haft befindliche Ritter diente.

Baubeschreibung.

Der auf Granitfundament, mit einem Durchmesser von
35 Fufs errichtete Thurm erhebt sich 671 Fufs hoch, unverjüngt
bis zum Anfange des Hauptgesimses. Auf demselben ruht der
in schönen Verhältnissen erbaute Zinnenkranz 121 Fufs hoch und
hinter demselben steigt die massive kegelförmige Spitze noch
21 Fufs höher, so dafs die Totalhöhe 91 Fufs beträgt. Die
glatte Mauerfläche des Thurmes, in welche ein paar kleine un-
geschmückte Wappenschilder und Kreisblenden eingelassen sind,
ist durch spiralförmig emporlaufende glasirte Steinreihen höchst
einfach aber wirkungsvoll belebt, Bl. XV, Fig. 7. Das gut pro-
filirte Hauptgesims beteht aus zwei durch einen Kehlstein ge-
trennten Rundstäben und einem darüber umlaufenden auf kleine
Konsolen gestellten Spitzbogenfriese, welcher das Abdeckungs-
gesims des Zinnenkranzes trägt. Bl. XVII, Fig. 1. Der Zinnen-
kranz ist in reicher und kräftiger Profilirung aus Rund- und
Birnenstäben rnittelst abwechselnder Schicliten grün glasirter
und rother Backsteine in der Art hergestelit, dafs 10 gröfsere
Zinnen die Stützpfeiler für die tiefer liegenden Zinnenwände bil-
den.') Zwischen dem Zinnenkranze und der dahinter sich erhe-
benden massiven Spitze liegt der 4 Fufs 3 Zoll breite Umgang,
welcher mittelst der in der Mauerstärke liegenden Treppen be-
quem zugänglich ist.

Das Innere des Thurmes zerfällt in 5 Stockwerke, v.on denen
3 gewölbt sind und das 'oberste durch die massive Spitze ge-
schlossen wird. Die untere Mauerstärke beträgt 11 Fufs 3 Zoll
und nimmt den Stockwerken entsprechend im Innern so ab,
dafs sie in dem obersten Geschosse noch 7 Fufs 3 Zoll beträgt.
Das mit einer Kugelcalotte eingewölbte Erdgeschofs war ur-
sprünglich (nicht wie jetzt durch ein breites Einfahrtsthor) nur
von dem darüber befindlichen ersten Stockwerk mittelst einer
im Fufsboden angebrachten Oeffnung aus zugänglich und diente
sicherlich als Gefängnifs * 2). Der Eingang zu dem ersten Stock
erfolgte über dem nicht mehr erhaltenen Thorbogen und führte
in ein kreisförmiges, mit einem Kreuzgewölbe überdecktes Ge-
mach, welches die nöthige Küchen-Einrichtung enthielt. Die
beiden darüber gelegenen Stockwerke sind durch eine Balken-
lage von einander getrennt, besitzen eine Heiz-Einrichtung und
einen über den Stadtgraben hinausgebauten massiven Abtritt
(Bl. XV, Fig. 3 u. 8). Das obere der beiden Geschosse ist mit
einem sehr eigenthümlichen hutartigen Kuppelgewölbe bedeckt,
welches dicht über dem Kämpferringe mittelst zwei Paar kreuz-
förmig über einander gelegten Spannbalken und daran befestig-
ten Eisenankern mit Splinten verankert wird. Das oberste
Stockwerk ist von dem Raume dicht unter der Spitze mittelst
einer gleichen combinirten Construction, die hier einen Fufsbo-
den trägt, aber ebenfalls verankernd durch die Mauern reicht,
getrennt. Endlich wiederholt sich die gleiche Construction
zwei Mal in der massiven Spitze. Die Verbindung der einzel-
nen Stockwerke durch die in den Mauerstärken liegenden Trep-
pen, sowie An- und Austritt derselben zeigen die sechs auf
Blatt XV. mitgetheilten Grundrisse sämmtlicher Thurm-Etagen.

*) Der Zinnenkranz des Steinthor-Thurmes, welchen auch Essentvein BI. XXXIII,
Fig. 1 aber ganz unrichtig mitgetheilt liat, besitzt eine grofse Aehnlichkeit mit der Zinnen-
wand am Rathhause zu Tangermiinde. Vergl. Förster’s Bauzeitung, Jahrg. 1850. Bl. 324.

2) Vergl. dieser Einrichtung halber die Quersehnitte der drei mitgetheilten Thor-
thiirme. — Bl. XV, Fig. 8 und BI. XVI, Fig. 3 u. 8.

Technisches.

Die Structur des Thurmes ist ebenso interessant, wie die
technische Ausführung an allen Theilen gewissenliaft und solid.
Die massive lcegelförmige Spitze ist in der ganzen Höhe von
26 Fufs und bei einem unteren Durchmesser von 21 Fufs nur
einen Stein stark gemauert, besitzt aber auf der inneren Fläche
8 Stück einen Stein breite und einen halben Stein vortretende
Verstärkungsrippen, welche nach oben hin verlaufen. Die ring-
förmig übereinander gelagerten Schichten sind nicht horizontal
übergekragt, sondern winkelrecht zur Kegelseite gestellt und
beginnen über einem 3 Fufs 9 Zoll hohen Cylinderstück,
welches über der Plateform des Zinnenkranzes anhebt. Zur
Verankerung dieser einfach construirten und gut erhaltenen
Spitze haben die bereits oben erwähnten zwei Paar hölzernen
Spannbalken gedient, welche, wie der Durchschnitt zeigt, durch
die Mauerstärken hindurchreichen, und mittelst Anker und Splint
die nächstliegenden Schichten umfassen ').

Die Pfeiler und Wände des Zinnenkranzes sind nach innen
abgeschrägt und waren, wie vorhandene Fragmente lehren, ur-
sprünglich mit Dachpfannen abgedeckt. Die Abwässerung der
Plateformen erfolgt mittelst langer, dicht über dem (Jmgangsbo-
den liegender Thonröhren, BI. XVII, Fig. 1. Die Construction
und Gliederung des Zinnenkranzes und Hauptgesimses giebt die-
selbe Figur, während in dem Durchschnitte, Bl. XV, Fig. 8, die
überwölbte Ueberdeckung des Treppenaustrittes auf der Plate-
forni zeigt. Die sehr kleinen, nur durch Ueberkragung geschlos-
senen Fenster sind nach innen zu mittelst grofser Nischen er-
weitert, welche sämmtlich mit flachen Kappen bedeckt sind.
Die Construction des auf überkragten Schichten ruhenden Ab-
tritts lehrt der Durchschnitt, aus welchem auch die Form und
Structur der Gewölbe (so weit dieselben untersucht werden
konnten) hervorgeht.

Von den im Thurme vorhandenen Treppen ist die unterste,
nachträglich eingefügte Spindeltreppe auf Bl. XVII, Fig. 2, spe-
cieller mitgetheilt worden, weil ihre Construction in vielen Bau-
werken zu Brandenburg wiederholt ist. Gegen eine 6 Zoll starke
aus einzelnen Schichten aufgemauerte Spindel legen sich die ein-
hüftigen, von der Wandseite steigenden Bogen und schieben
sich von der Spindel aus divergirend schaalenartig übereinander.
Zwei solche übereinander nihende Bogen geben hinten die
Steigung jeder Stufe, während der Auftritt vorn durch zwei
Schichten flach gelegter und Verband haltender Backsteine her-
gestellt wird.

R e s u 1 t a t.

Der einfach strengen Anordnung und der trefflichen Pro-
file halber kann die Erbauungszeit des Steinthor-Thurmes auf
1380 gestellt werden.

X. Mühlthor - Thurm der Neustadt.

Historisches.

Von diesem kleinen, aber mit besonderer Eleganz erbauten
Thorthurme ist sowohl die Bauzeit wie der Baumeister durch
eine an der Südwestseite angebrachte Inschrift überliefert wor-
den. Diese in gothischen Minuskeln auf einer gebrannten Thon-
tafel eingegrabene Inschrift lautet nach Auflösung der Ab-
kürzungen:

Anno domini MCCCCXI huec turris aedißcata est per Mar-
tinum Nicolaum Craft de Stettin.

Hiermit wird uns die interessante Thatsache überliefert,
dafs 10 Jahre nach dem trefflichen Meister Heinrich Brunsberg
von Stettin, der sich an dem Bau der St. Katharinen-Kirche
verewigt hatte, ein zweiter Baumeister aus Stettin im Dienste
des Rathes der Neustadt thätig war.

Baubeschreibung.

Der Thurm, welcher auf alten Gi’anit-Fundamenten ruht,
beginnt unten als ein Rechteck von 24f Fufs Länge und 23j Fufs

') Jetzt trad gewifs seit geraumer Zeit ist das Holz der Spannbalken verrottet, so
dafs man die Splinte heben und die Anker zum Theil herausziehen kann.
 
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