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Adler, Friedrich
Mittelalterliche Backsteinbauwerke des Preußischen Staates (Band 1): Die Mark Brandenburg: 1. Die Stadt Brandenburg. 2. Die Altmark — Berlin, 1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.31747#0038
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28

mation hob das Kloster auf, die letzten Mönche starben an der
Pest, und der Kurfürst übergab Kloster und Kirche dem Magi-
strat, welcher das erste zu wohlthätigen Zwecken bestimmte, und
die letztere dem evangelischen Gottesdienste einräumte. Später,
ungewifs wann, wurde der Kreuzgang abgebrochen, dann die
schadhaften Gewölbe des Schiffes, welche ein bedenkliches Aus-
weichen der Südmauer herbeigeführt hatten, herausgenommen.
Fernere Beschädigungen erlitt die Kirche von den Franzosen,
welche dieselbe mehrere Jahre als Magazin benutzten. In die-
sem halb zerstörten Zustande sah und beschrieb sie Büsching
noch 1819 *). Erst in der neuesten Zeit hat man die Kirche
einem Restaurationsbau unterzogen, welcher zwar im Wesent-
lichen das Alte zu erhalten gesucht, aber doch die von Minutoli
a. a. 0. S. 21 erwähnten Fresko-Malereien (vom Jahre 1471 da-
tirt) völlig verwischt hat. Ebenso sind der aus dem Lothe ge-
wichenen Mauern halber die Gewölbe nicht aus Backsteinen
wiederhergestellt, sondern in nachgeahmter künstlicher Holzcon-
struction eingespannt worden.

Baubeschreibung.

Die langgedehnte einschiffige Kirche von 6 Jochen zeigt die
interessante Anlage, dafs der Chor mit 7 Seiten eines Zehnecks
geschlossen, in etwas unregelmäfsiger Anlage über die Seiten-
mauern hinaustritt 2). Wie der Grundrifs lehrt, hat auf der Nord-
seite (wahrscheinlich um mehr Raum für Zuhörer zu gewinnen)
eine Erweiterung des Kirchenschiffs mittelst eines angebauten
niedrigen Seitenschiffes stattgefunden. Der kleine Glockenthurm
erhebt sich neben dem Chore auf der Südseite, da wo der ehe-
mals vorhandene Kreuzgang Kloster und Kirche verband. Der
gröfsere westliche Theil des in hohen und schlanken Verhält-
nissen aufsteigenden Kirchenschiffes gehört mit Ausnahme des
nördlichen Hauptportals dem ersten und ursprünglichen Bau an.
Man erkennt dies an der einfach strengen Bildung der Strebe-
pfeiler, der Wanddienste und des unter dem Hauptgesimse an-
geordneten Rankenfrieses, sowie an den Fensterprofilen und dem
nach älteren Resten neu restaurirten Maafswerke des Kreisfen-
sters über dem nördlichen Hauptportale. Auch die einfache, aber
treffliche Fa^adenbildung der Westfront, an welcher nur der
Obertheil des Giebels in einer Höhe von 20 Fufs mit veränder-
ten Profilen später erneuert worden ist, spricht entschieden für
einen Bau des Xni. Jahrh. Der Grundrifs Bl. XIX, Fig. 4 giebt
diese älteren Bautheile in dunkler Schraffirung, soweit dieselben
mit Sicherheit zu erkennen sind. Bemerkenswerth ist die Ele-
ganz, welche sich in der Bildung des Frieses, in
der Composition des Maäfswerkes, sowie in der
gleichförmigen Profilirung aller Spitzbogenfenster
kund giebt 3).

Ein eigenthümliches Interesse erweckt das nördliche Haupt-
portal Bl. XX, Fig. 2, weil seine einzelnen Theile verschiedenen
Bauzeiten angehören. Nur die hoch hinaufsteigenden Spitzbogen-
profile, die einfache Wimperge darüber und das meisterhaft ge-
mauerte Flechtwerk gehören einer Bauzeit an, welche von der
des ursprünglichen Baues nicht sehr verschieden ist. Dagegen
sind die Seitenprofile des Portals, sowie der Mittelpfeiler und
die beiden darauf ruhenden sehr gedrückten Spitzbogen einer
späteren Herstellung, vielleicht einer Erneuerung der ursprüng-
lichen Einrichtung zuzuschreiben. Die Unterscheidung dieser
Bautheile stützt sich auf die gehäufte und charakterlose Profil-
bildung der Seiteneinfassungen Bl. XX, Fig. 9; ferner auf die
Thatsache, dafs der Mittelpfeiler aus grün glasirten und rothen
Backsteinen, die Seiteneinfassungen aber incl. der Kapitelle ganz
aus glasirten Steinen hergestellt sind, während an den älteren
Theilen des Portals, weder in dem Flechtwerk noch in dem
Bogen, derartiger Schmuck erscheint. Endlich mufs auf die sehr

’) Büsching, Reisc durch Miinster uncl Kirchen Norddeutschlands. S. 32.

2) Gleiche Anlagen besitzen die Franziskaner-Kirche zu Berlin und St. Johannes-
Kirche zu Stettin.

3) Leider ist das Wcstfenster zugemauert und später in dasselbe mit unbegreiflichem
Ungeschick ein schmaleres Spitzbogenfenster in schiefer Stellung eingesetzt worden. Die
Zeichnung giebt die sichtbar ursprüngliehc Anordnung.


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ir;

n 1 ' 1 r'' 1 ' c'

viel mangelhaftere Technik hingewiesen werden, in der diese
späteren Theile im Gegensatz zu den alten Resten, namentlich
zu dem Flechtwerk, ausgeführt sind.

Mit dem Schiffskörper ist der-später erbaute Chor etwas
unregelmäfsig verbunden worden. Die Verschiedenheit in der
Farbe und Gröfse der Backsteine läfst namentlich auf der Nord-
seite den Anschlufs des neueren Theils an den älteren fast wie
eine durchgehende Trennungsfuge deutlich erkennen. Dazu
kommt, dafs nur die jüngeren Theile (Chor- und Seitenschiff
incl. ihrer Strebepfeiler) eine profilirte Plinthe besitzen, dafs der

Rankenfries des Schiffes nicht um den
Chor herum fortgesetzt ist, sondern an
seiner Stelle eine derbere wirksamere Bil-
dung erscheint (Bl. XX, Fig. 4), und dafs
endlich der Chor mit 2 Reilien Fenster
versehen ist, deren untere kleine flach-
bogig bedeckte, die obere grofse in ge-
schleiftem Spitzbogen geschlossene Fen-
ster enthält. Die Profilirung dieser Bau-
theile ist kräftig und wirkungsvoll, be-
sonders der Hauptfenster (vergl. den Holz-
schnitt), das derselben Zeit angehörige
Hauptgesims gegen die Eleganz der älte-
ren Theile etwas schwer und lastend.
Wegen des noch einfach strengen Cha-
rakters in der Gesannntanordnung des
Chores, der eine sehr wirkungsvolle Fa<?ade Bl. XIX, Fig. 2 dar-
stellt '), ist man zu der Annahme berechtigt, dafs die älteren
Bautheile, namentlich die Strebepfeiler bei der Erneuerung oder
Erweiterung einen gewissen Einflufs geübt haben. Ebenso ist
andrerseits eine Verwandtschaft mit dem Mühlthor-Thurme nicht
zu verkennen, die sich in der völligen Gleichheit des Materials
und Gröfse der Backsteine, in der Profilbildung der Gesimse,
in der Schlankheit der Fenster und in derselben gewissenhaften
Arbeit ausspricht.

Mit Rücksicht auf die inschriftliche Nachricht, dafs die
Kirche in den Gewölben 1420 vollendet wurde, und unter der
nicht zu bezweifelnden Annahme, dafs die Einwölbung jedenfalls
der Schlufs des Um- und Erweiterungsbaues der Kirche gewesen
ist, darf man die Erbauung des östlichen Theiles in die Zeit von
1415 — 20 stellen. Dieses Datum verstattet aber durch den
engen zeitlichen Anschlufs an die Bauzeit des Mühlthor-Thurmes
von 1411 die Annahme, dafs Meister Nicolaus Kraft den Chor
von St. Johannes erbaut habe, wofür besonders die angedeutete,
aaffallende Uebereinstinnnung in der Technik, im Materiale und
den Kunstformen geltend zu machen ist. Der Bau des nördli-
chen Seitenschiffes ist etwas später anzunehmen, als
der Chorbau, aber doch so, dafs ein gewisser Zusam-
I menhang nicht zu verkennen ist. Der Holzschnitt giebt

das höchst einfache mittelst des Plinthenformsteins her-
gestellte Hauptgesims dieses Seitenschiffes. Namentlich
pBSjil zeigen die beiden westlichen Joche des Seitenschiffes

y/>/ einen älteren Charakter, als die östlich belegenen, in
denen bereits die Charakterlosigkeit spätgothischer Formen sicht-
bar wird. Noch später ist der einfache Glockenthurm hinzuge-
fügt worden, welcher nachträglich mit seiner Ostwand auf dem
südlichsten Strebepfeiler des Choi’es errichtet, ein Sinken des-
selben veranlafst hat. Der Verband des Mauerwerks ist zer-
rissen und der linke Bogenschenkel des daran stofsenden Spitz-
bogenfensters geknickt. Aus diesen Gründen und wegen der
nüchternen nothdürftig behandelten Structur des Obertheiles ist
es wahrscheinlich, dafs der Thurm mit dem Kreuzgange, dessen
Weihung die oben mitgetheilte zweite Inschrift auf 1440 setzt,
zu gleicher Zeit erbaut worden ist.

Techn isches.

Die Kirche hat durch mannigfache Beschädigungen, sowie

’) Bei Essenwein a. a. O. BI. IV ist eine sehr fliichtige, in den Verhältnissen wie
in der Perspective unrichtige Skizze der Chorseitc gegeben.
 
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