Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Adler, Friedrich
Mittelalterliche Backsteinbauwerke des Preußischen Staates (Band 1): Die Mark Brandenburg: 1. Die Stadt Brandenburg. 2. Die Altmark — Berlin, 1862

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31747#0050
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
40


iüiiii'll -V




iih* - II- -'v



p XI*- —



► -





f



treten daselbst zierliche Viertelsäulen mit ringförmigen Kämpfer-
steinen auf, eine Anordnung, welche sich sonst nirgends an der
Kirche zeigt ') und sehr gut mit dem eben so seltenen Umstande
zusammentrifft, dafs die Bogen dieser Fenster in der meisterhaf-
testen Technik aus einzelnen grofsen, besonders genau geform-
ten Bogensteinen konstruirt sind. Diese letztere Eigenthüm-
lichkeit, welche der Holzschnitt darsteht, dürfte für die ausge-
sprochene Annahme besönders ins Gewicht fallen, wenn man
erwägt, dafs bei dem ersten in einer neuen Technilc ausgeführ-
ten Bau gewifs die Behandlung des Materials noch zu unvoll-
kommen bekannt war, um so schwierige Strukturtheile mit sol-
cher Meisterschaft herzustellen. Auch zeigen alle übrigen Fenster
des Baues die Bogenleibungen stets geputzt, um, wie dies ganz
allgemein Sitte war, die verhauenen Bogensteine in ihren Un-
terflächen zu verdecken. Endlich unterscheiden sich die we-
nigen herben Kunstformen des alten Baues, namentlich die sand-
steinernen Deckplatten über den Schiffssäulen und Vierungspfei-
lern, deren südöstliche der Holzschnitt giebt,
sehr deutlich von der flüssigeren Skulpturarheit,
welche an den Kapitellen und Basen der Krypta-
säulen auftritt. Vergl. Bl.XXII, Fig. 7 mit Fig. 1.
Alle diese Gründe berechtigen zu der Annahme,
dafs Krypta, Hauptabsis und Nebenchöre später
erbaut worden sind, als der erste Bau von 1149
— 59 und zwar darf man aus der Uebereinstim-
mung der verwendeten Kunstformen mit entsprechenden an än-
deren datirten Bauwei’ken die Erbauungszeit dieser Bautheile auf
etwa 1200—10 stellen. Etwas später ist sodann die Thurmfront
erbaut worden, welche wegen ihrer grofsen Verwandtschaft mit
derWestfront des Domes zu Stendal in gleiche Zeit, in die.Mitte
des XIII. Jahrlx. gesetzt werden mufs.

Betrachtet man nun den alten Bau der Säulenbasilika mit,
Langhaus, Querschiff,. Chor nebst drei Absiden und einfach ge-
giiedert zu denkender Westfront, so zeigt sich derselbe von eben
so grofser Einfachheit in der Plankonception wie Strenge in den
verwendeten Details. Nur die lichte Weite des Mittelschiffs von
fast 26Fufs, so wie die Höhenei’hebung auf mehr als 48 Fufs
sprechen schon fiir einen reiferen Bau aus der Mitte des XII.
Jahrh. Dafs für das Strukturprincip des Baues die Säulenbasi-
lika gewählt wurde, hatte wohl vor Allem in der Strenge des
von Noi’bert gegi’ündeten Pramonstratenser-Ordens seinen Grund,
der gern an die einfachste, schlichteste Bauweise der altchi’ist-
lichen Kunst anknüpfte 2). Auch ist es sehr wahrscheinlich,
dafs die Kirche des Muttei’ldosters von Jei’ichow, nämlich die
Ivirche U. L. Frauen zu Magdeburg, damals noch eine Basilika
war, deren Arkaden jederseits durch einen stai’ken Mittelpfeiler,
sonst aber durch Säulen gestützt wurden 3). Man darf daher
den Bauplan als von Magdeburg stammend bezeichnen, wo da-
mals gewifs noch ältere Säulenbasiliken vorhanden waren, die
als Voi’bild clienen konnten 4).

Für die Gestaltung des Innenraumes kommen zunächst die
Arkadenbogen nebst den stützenden Säulen in Betracht. Die
Letzteren, cylinderförmig gestaltet, bei einem Verhältnisse des
Durchmessers wie 1 : 41, sind vollständig aus geformten Back-
steinen konstruirt,; nur die verschieden gestalteten Deckplatten
der Kapitelle, theils einfach profilix’t, theils mit Ornamenten der

') Das Vorbilcl für diese Fenster zeigt die Liebfrauenkirche zu Magdeburg, nur alter-
thümlicher und sehwerfäliiger. Vergl. v. Quast u. Otte Zeitschr. f. christl. Kunst I. S. 175.

2) Dafs Norbert selbst dieser Sinnesweise huldigte, beweist namentlich die durch ihn
angeregte und beförderte Erbäuung des Klosters Oberzell bei Wirzburg (1129—33), deSsen
stattliche Säulenreihen durch ihre strengen Details (z. B. schöne attische Basen ohne Eck-
blätter, Würfelkapitelle mit feinen Voluten und Karniesdeckplatten mit den halb sichtbaren, halb
vermauerten Säulen in der Liebfrauenkirche zu Magdeburg sehr verwandt sind. Nicht minder
grofse Einfachheit und Strenge zeigen sodann die. Prämonstratcnserkirchen zu Ivappenberg,
Ilbenstadt und besonders das ebenfalls als Säulenbasilika im J. 1139 erbaute Hcilsbronn.

3) Der Nachweis dieser Annahme mufs einem andern Orte vorbehalten bleiben.

4) Vielleicht ist auf die Wahl des Planes aüc.h die Thatsaclie von Einflufs gewesen,
dafs die Stifter von Jerichow, n’ämlich die Gräfin Richardis mit ihrern Sohne urid Anselm
v. Havelberg im Gefolge des Königs Conrad im October d. J. 1144 Zeugen der feierlichen
Einweihung der riesigen S.äulenbasilika des Ivlosters Hersfeld iu Hessen waren und von
dort nach Magdeburg gingen, um die eingeleitete Stiftung von Jerichow urkundlich festzu-
stellen.

sclilichtesten Art bedeckt, bestehen aus Sanclstein. Die Bikbmg
dieser Details, sowie der Säulen ergeben Bl. XXII Fig. 1 u. 3—6.
Die Säulenbasen ruhen auf quadraten Bruchsteinplinthen und sind
mit einfachen Ringen und Abläufen versehen. Ungleich inter-
essanter ist die Bilclung der Kapitelle. Jedes derselben besteht,
aus vier vertikalen Flächen, parallel mit clen Seiten des Abakus-
quadrats und den Mantelstücken von vier durch ihre Scheitel
geschnittenen schiefen Kegeln, deren gemeinschaftliche Grund-
fläche der Horizontaldurchschnitt des Säulenschaftes ist und cleren
Scheitel mit clen Abakusecken zusammentreffen. Durch die Ver-
bindung dieser schiefen Kegel mit vertikalen Kubusflächen wird
ein Kapitell erzeugt, welches in seiner äufseren Form eine schein-
bare Verwandtschaft mit clem bekanntenWürfelkapitell darstellt 1).
Wie dasselbe praktisch hergestellt worden ist, läfst sich schwer
entscheiden. Da clie schiefen Kegelflächen nicht, geformt, sondern
gemeifselt sind, so ist zu vermuthen, clafs clie über dem Schaft-
ringe anfangenden Kapitellschichten in der Diagonale cles Qua-
drats schichtweis übereinander vortretencl gemauert worden sind,
bis mittelst der letzten vorgestreckten Schichten die Abakusecken
erreicht waren, dafs clann von diesen Scheitelecken aus nach
bestimmten Punkten cler kreisförmigen Grunclebene Schnurschläge
gemacht uncl encllich mittelst des Meifsels die schiefen Kegel-
flächen zur Verbindung cles Cylinders mit dem Kubus hergestellt
wurden. Diese Bilclung, welche man kurz' mit clem Namen tra-
. pezschildiges Würfelkapitell (im Gegensatz zu dem runclschildigen)
bezeichnen kann, ist nicht nur an allen Säulen des Langhauses
sondern auch an den Halbsäulen cler beiden westlichen Vierungs-
pfeiler angewendet worden, wie dies cler Längendurchschnitt,
Bh XXIII, Fig. 1 und der Querclurchschnitt BI. XXII, Fig. 8 dar-
stellen 2). Die über den Schiffs-Säulen ruhenclen Bogen sind wie
clie Vierung- und Absis-Bogen einfach abgestuft profilirt und an
ihren Unterflächen geputzt. Die let-ztgeclachten Bogen der Vie-
rung und Hauptabsis sind nicht rundbogig, sondern in einem
deutlich wahrnehmbaren, mäfsig erhobenen Spitzbogen konstruirt
worden 3). Da an .allen genannten Bogen diese Bogenbildung
übereinstimmend erscheint, dürfte es nicht unmöglich sein, dafs
auch die Vierungsbogen mit der Hauptabsis gleichzeitig erneuert
worden sind uncl dabei diese Moclifikation erlitten haben. Doch
ist es schwer für diese Vermuthung andere zwingenclere Gründe
geltend zu machen.

Die Oberfenster des Langhauses, schmal und schwach ge-
schmiegt, sind ohne ersichtlichen Grund nicht lothcecht über die
Mittelaxen der unteren Arkaden gestellt-, gehören aber cloch nach
allen Analogien zum ersten Bau. -Aüffailend klein erscheinen
die Fenster cles Querschiffs uncl Chores, besonders wenn man
sie mit clen grofsen, stattlichen Fenstern der Llauptabsis ver-
gleicht. Die Fenster cler Seitenschiffe sind nicht mehr clie ur-
sprünglichen; an ihre Stelle sind breite zweitheilige gothische
Flachbogenfenster von sehr gewöhnlicher Profilirung getreten,
die ohne Zweifel dem Schlusse des XV. Jahrh. angehören und
kein Interesse erwecken.

Das Innere des Bauwerkes war ursprünglich mit Ausnahme
der Bogenleibungen an Fenstern und Arkaden, so wie der Ab-
sidengewölbe ohne Putz gelassen, welche Anordnung durch die
Restauration wieder hergestellt worclen ist und abgesehen von
der gewählten zu lebhaft rothen Ziegelfarbe eine sehr giinstige,
ernste und einheitliche Wirkung ergeben hat.

Die unter Hauptchor und Vierung befindliche und bis in
das Mittelschiff hineintretende Krypta ist mittelst einer Stützen-

') Diese mathematische Erläuterung der interessanten Ivapitellform wird der gefälligen
Theilnahme des Herrn Geh. Rath Salzenberg verdankt.

2) Diese Kapiteliform,. welche naehweisbar zuerst in Jerichow erscheint, hat nur bei
Backsteinbauten eine sehr ausgedehnte Anwendung gefunden, wie dies v. Quast in seinem
bereits mehrfach citirten Aufsatze zuerst angedeutet hat nnd die Denkmale dieses Werkes
es noch spezieller naehweisen werden.

3) Der mit der Aufnnhme des Baüwerks betraute Architekt hat diese bemerkenswertho
Thatsache übersehen; auch konnte eine Prüfung der Aufnahme erst stattfinden, als dio
Zeichnungen im Stiehe vollendet waren, daher ergeben die vorliegenden Zeichnungen it>
diesem Punkte nicht den richtigen, in der Wirklichkeit vorhandenen auch ohne Messung
zu konstatirendeu Thatbestand.
 
Annotationen