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Adler, Friedrich
Mittelalterliche Backsteinbauwerke des Preußischen Staates (Band 1): Die Mark Brandenburg: 1. Die Stadt Brandenburg. 2. Die Altmark — Berlin, 1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.31747#0066
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56

ziehung auszusprechen sicli veranlafst sah '). Man wird daher
nicht irren, wenn man den Beginn des Baues so eng als mög-
lich mit dem Jahre 1424 verbindet. Nun finden sich aber zwei
mit jener Bauthätigkeit unzweifelhaft gleichzeitige Jahreszahlen
im Dome selbst an einer Wand grofs und deutlich mit alten
Zahlzeichen eingeschnitten, von denen die eine, 1423, in derWand-
mitte, die andere, 1450, hoch oben, dicht unter den Gewölben
steht. Da aufser diesen Zahlen innerhalb des Domgebäudes
sonst keine Inschrift oder Jahreszahl vorhanden ist und beide
Daten an einer hervorragenden Stelle, nämlich an der Südwand
des südlichen Querschiffs, dem Haupt-Eingange im Nordkreuz-
fli'igel gerade gegenüber verzeichnet sind, da ferner die erstge-
nannte Zahl 1423 der Zeit des Ablafsbriefes unmittelbar voran-
geht, so darf man wohl mit Recht Anfang und Ende des Neu-
baues hierdurch überliefert selien. — Auch lassen sich die übri-
gen urkundlichen Nachrichten mit dieser Annahme gut verbin-
den. Im J. 1429 bat das Kapitel bei dem päpstlichen Stuhle
um die Erlaubnifs, zur Ehre und Würde seiner Kirche und zur
Vermehrung des heihgen Dienstes (ad venuslatem et decorem ec-
clesie predicte .... ad divini cultus inibi propagationem multiplici-
ter conferret) einen Succentor zur Leitung des Kirchengesanges
anzunelimen und erhielt dieselbe 2). Wahrscheinlich hatte die
Fertigstellung des neuen Hochchores und die damit verbundene
prachtvollere Abhaltung des Gottesdienstes auch auf eine Ver-
besserung des musikalischen Theils des Kultus Bedacht nehmen
lassen. Ist aber diese Annahme zutreffcnd, so erliält man die
Thatsache, > dafs der Chor in sechs Jahren erbaut und etwa 1430
geweiht worden ist. Hiermit stimmen fernere Nachrichten über
neue Altarstiftungen aus den Jahren 1431 und 1434 gut über-
iiberein 3), zumal bei der letztgedachten ausdrücklich die inter-
essante Mittheilung hinzugefügt wird, dafs der betreffende St.
Katharinen-Altar an der rechten Seite des Chors, „wenn man aus
dem Kreuzgange in den Chor gehen will“, belegen sei. Diese
Stelle ist aber keine andere, als die östliche Seitenwand des siid-
lichen Seitenschiffs, so dafs damals — 1434 — das südliche
Querschiff hinreichend weit vollendet war, urn Weihungen, Be-
widmungen etc. darin vorzunehmen. Aus dem folgenden Jahre
1435 ist uns die Erklärung des Kapitels überliefert, dafs der
verstorbene Dechant Dietrich von Angern noch bei Lebzeiten
zwei Altäre in den vor dem hohenChore nach der Propstei be-
legenen Kapellen neu gestiftet, erbaut und begabt habe, — über
welche Altarstiftungen und ihre Bewidmungen jetzt erst weitere
Entscheidung getroffen wird '). Da die Propstei nordöstlich von
dem Dome belegen war, so sind unter diesen Kapellen die jetzt
leider nicht mehr vorhandenen Nebenkapellen der Ostseite des
nördlichen Querschiffs zu verstelien, welche bei dem Tode des
Altar-Stifters 1427 noch unvollendet, im J. 1435 so weit vor-
geschritten waren, dafs die Weihung und Einrichtung des Got-
tesdienstes geschehen konnte. Wenn aber nach zwölfjähriger
Bauthätigkeit im J. 1435 die Hälfte des Neubaues — nämlich
Chor und Querschiff vollendet waren — erscheint es ganz an-
gemessen, die oben näher begründete Jahreszahl von 1450 als
die Schlufsbezeichnung des Baues aufzufassen, denn dann ver-
bleiben funfzehn Jahre für den Aufbau des dreischiffigen Lang-
hauses und der Nebenkapellen. Dafs der völlige Schlufs des
Baubetriebes selbst 1450 noch nicht eingetreten war, geht aus
einer testamentarischen Verfügung voin J. 1451 hervor, worin

‘) Der gänzliche Mangel anderer Abiafsbriefe in dem sehr vollständig erhaltenen
Dom-Archive von Stendal erlaubt sogar den Schlufs, dafs das Ifapitel zum Neubau seines
Domes nur diesen einzigen päpstlichen Ablafsbrief erwirkt und genutzt hat.

2) Riodel a. a. 0. V. 195.

3) Riedel a. a. O. V. 197, 201 u. 202.

4) Riedel a. a. O. V. 205. Der Dec.hant Dietrich von Angern, ein Freund des Bi-
scliofs Joliann Wepelitz von Havelberg und ebenso baulustig und kunstsinnig wie jener,
scheint der besondere Gönner und Beförderer des Neubaues gewesen zu sein. Er empfing
daher zu Stendal, wie jener zu Havelberg ein besonders ausgezeichnetes Grabdenlonal, be-
stehend aus einer vertieften Sandsteinplatte und der darauf befestigten marmornen Bildnifs-
figur. Zu Beckmann’s Zeiten war die letztere zerbrochen, wurde aber noch besonders auf-
bewahrt. Jetzt ist nur noch die mit kaum ieserlicher Umschrift versehene Grabplatte vor-
handen, welche gcrade den von ihm gestifteten Kapellen gegenüber in einer Wandblende
des Nordkreuzflügels aufgcstellt ist.

10 rhein. Guklen zum Dombau ausgesetzt werden ■). Dann abcr
treffen wir erst zehn Jahre später wieder auf sichere Spuren
einer abermaligen Bauthätigkeit. Zunächst findet sich die gleich-
zeitige Jahreszahl 1461 in dem unmittelbar mit dem Südkreuz-
flügel des Domes verbundenen Stiftsgebäude und zwar ist die-
selbe in den Putz einer Gewölbekappe des im Erdgeschosse be-
lesenen Refectoriums eino;eschnitten. Mit diesem sichtbaren Zci-
chen des Baubetriebes lassen sich zwei Aktenstücke der beiden
folgenden Jahre vereinigen 2). In dem ersten derselben, voin
J. 1462 bittet der Rath zu Tangermünde das Domstift, die füi'
empfangenen Kalk und Steine schuldigen 30 Gulden zahlen zu
wollen und in dem zweiten vom J. 1463 quittirt derselbe Rath
über eine vom Kapitel empfangene Abschlagszahlung von 10
rhein. Gulden 3). Wahrscheinlich hat die erwähnte Lieferung'
von Materialien zum Bau der obersten Thurmgeschosse gedient,
denn noch in demselben Jahre — 1463 — wurde die eine Thurm-
spitze durch Meister Rostock aufgestellt und durch Christian
und Tilo von Alveld (Vater und Sohn) mit Blei eingedeckt')•

Ueber die langsam fortdauernde Bauthätigkeit erfahren wu'
aus einer Schuldverschreibung vom J. 1473 die Thatsache, dals
das Kapitel 100 rhein. Gulden zum Bau des Kreuzganges
und zum Nutzen des Domgebäudes nöthig hatte und aufnahm *)•
Da nun in demselben Jahre eine Stiftung in der am Thurnie
Avestwärts neu erbauten Liebfrauenkapelle gedacht wird c),
fortan aber alle Nachrichten bis zum XVI. Jahrh. aufhören, so
darf man annehmen, dafs die grofsartige, erweiterte und erneuerte
Bauanlage im J. 1475 ganz fertig dastand.

Leider bedurften einzelne Bautheile schon ein Menschenal-
ter später der Ausbesserung oder Erneuerung. So wurde 1512
eine Thurmspitze (ungewifs welche) durch Meister Hans Knak e
neu erbaut und vom Meister Jürgen Kapenbeck eingedeckt, end-
lich 1525 die nach Siiden belegene Thurmspitze, deren Mittel-
stiel verfault war, von den Meistern Georg und Mathias Kat-
speck (Vater und Sohn) gründlich restaurirt und neu mit Ku-
pfer und Blei gedeckt 7).

Alle späteren Nachrichten beziehen sich nur auf traurig e
Zerstörungen oder Entstellungen des herrlichen Gebäudes. Zu-
erst stürzte 1637 an der Liebfrauen - Kapelle im Westen dei’
Thürme das Dach ein und wurde nicht erneuert, worauf danu
der dem Untergange preisgegebene Bau im Anfange unseres Jahi''
hunderts abgetragen wurde. Die 1648 durch Blitz beschädigteu
Domspitzen wurden 1655 nochmals hergestellt, brannten abe 1’
1660, durch Blitzschlag entzündet, vollstandig ab und theilten daS
Feuer dem riesigen Kirchendache mit. Auch letzteres wurde 111
Asche gelegt, wobei der oberste Theil des Nordkreuzgiebels her-
abstürzte und die nordöstlichen Nebenkapellen beschädigte. ZuU 1
Glück schützten die trefflich konstruirten Gewölbe den Bau v el’
gänzlicher Zerstörung. Das Kirchendach wurde bald erneuerh
aber die Thürme empfingen an Stelle der schönen schlankeU,
in Merians Topographie noch sichtbaren Achteckspitzen di e
jetzt vorhandenen niedrigen Walmdächer und der Nordgiebe^
wurde in nothdürftiger und roher Weise wiederhergestellt. Ei' st
in jüngster Zeit haben Restaurationsarbeiten stattgefunden, wel'
che den gediegenen Bau nicht nur gesichert und erhalten, soU'
dern dureh stylgemäfse Erneuerungen (besonders an der WesP
fronte) wesentlich verschönert haben.

’) Riedel a. a. O. V. 215.

2) Riedel a. a. O. V. 229. 230.

3) Aus der ersten Urkunde geht überdies die interessante Thatsache heiTor, dafs lll(5
Steine, vermuthlich die Kormsteine und besseren Sorten der Mauersteine, in Tangernnin 116
auf der städtischen Ziegelei angefertigt wurden, weil der Rath speziell von „Cone Ghi sC"
unsen Tigeler“ (Ziegelmeister) spricht.

4) Riedel a. a. O. V. 230. Der Name Rostock wird in der nur liickenhaft erbJ'
tenen Nachricht unrichtig gelesen sein; vermuthlich hiefs der Meister Rathstock, demi ‘ iic9
ist der Name eines in jener Zeit berühmten nnd gesuchten Zimmermeisters, der an ve r'
schiedenen Orten der Mark mit dem Bau von Thurmspitzen beschäftigt erscheint. VerS 1,
S. 18 Note 1.

5) Riedel a. a. O. V. 236.

6) Riedel a. a. O. V. 240.

7) Riedel a. a. 0. V. 263 u. 268. Der Name Jürgen Kapenheck wird wohl 11,11
Georg Katspeek identisch sein, nur ist es zweifelhaft, welcher von beiden als der riclit'o 6
Personenname zu wählen ist.
 
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