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Adler, Friedrich
Mittelalterliche Backsteinbauwerke des Preußischen Staates (Band 1): Die Mark Brandenburg: 1. Die Stadt Brandenburg. 2. Die Altmark — Berlin, 1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.31747#0070
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an den Schiffspfeilern und am Refektorium, c an der Nordmauer
und den Scliiffspfeilern, d an den Stiftsgebäuden, und e an den
Schalllöchern des Obergeschosses des Südthurmes erscheinen !).

K u n s t w e r k e.

An ausgezeichneten Kunstwerken ist der Dom nicht reich zu
nennen. Doch besitzt er an den vier Reihen von Chorstühlen mit
hohen geschnitzten Rücktheiien und klar und elegant hergestell-
ten Seitenwänden eine sehr vörzügliche Leistung der Holzschnitz-
kunst, die unzweifelhaft aus der Zeit der Vohendung des Chors
ca. 1430 herrührt. Die einfach gestaltete, hölzerne und bemalte
Orgelbühne einer im nördlichen Seitenschiffe vorhanden gewe-
senen Orgel verdient als seltenes Beispiel solcher Kleinbauwerke
des Mittelalters eine Erwähnung. Weniger hervorragend, wenn
auch nennenswerth sind die ldeinen Sandstein-Reliefs. an den
Aufsenmauern des Chors, welche Passionsscenen darstellen. Un-
ter den sparsam erlialtenen Grabplatten interessirt die in einfa-
chen Umrissen gezeichnete Bildnifsfigur eines Markgrafen Con-
rad von Brandenburg, welche — leider ohne Jahreszahl, die nie
eingeschnitten worden ist — von der Tradition auf 1283 ge-
stellt wird. Die noch im vorigen Jahrhundert erhaltene und von
Beckmann besonders gerühmte messingne Taufe, welche mit
Skuipturen und baulichen Formen überreich geschmückt war, ist
leider verschwunden. Auch die zahlreichen Giasmalereien, wel-
che einst die hohen Spitzbogenfenster sclimückten, sind sehr
zusammengeschmolzen, doch sind die Chorpolygonfenster noch
alle damit gefüllt und die hier befindlichen Schätze, welche lei-
der nicht gehörig geordnet und ergänzt worden sind, geliören
noch zu den hervorragendsten Leistungen dieses Zweiges der
mittelalterlichen Kunst. Nach vorhandenen Wappen zu urthei-
len, sind einzelne Glasgemälde Stiftungen fürstlicher Personen
aus dem Hause Hohenzollern.

Resultat.

Auf Grund der in ihren Hauptumrissen mitgetheilten ana-
lytischen Untersuchung ergiebt sich, dafs

1) die Westfront mit den Doppelthürmen (ausschliefslich cler
Obergeschosse derselben), so wie Süd- und Westarkaden
des Kreuzganges ca. 1250—1260,

2) der Chor und clas Querschiff 1423—1435,

3) das Langhaus 1435—1450,

4) die Stiftsgebäude, die abgebrochene Liebfraüen-Kapelle und
die Obergeschosse der Thürme (einschliefslich der niclit
mehr erhaltenen Spitzen) 1461 —1463 —1475 erbaut wor-
den sind.

In hohem Gracle zu beclauern bleibt es, dafs aller Forschun-
gen ungeachtet der Name des Meisters dieser grofsartigen Bau-
anlage, auf dessen epochemachender Thätigkeit eirte grofse An-
zahl spätgothischer Bauwerke in den Marken beruht, durch keine
Urkunde oder Inschrift überliefert worden ist. Darf man von
den ihm mit einiger Sicherheit zuzuschreibenden Bauwerken auf
seine künstlerische Sinnesweise schliefsen, so ist ihm grofser
Ernst, energische Willenskraft, überhaupt aber mehr bewufste
Reflexion als reiche Phantasie eigen gewesen.

II. Pfarrkirche St. Maria.

H i s t o r i s c h e s.

Die urkundlichen Nachrichten über diese durch Gröfse und
Schönheit hervorragende Pfarrkirche sind sehr sparsam und Iük-

*) Da visle dieser Ziegelstempel an anderen Bauwerken zu Stendal wic zu Tanger-
münde auftreten, so ist man wohl berechtigt auf die Gleichzeitigkeit solcher mit denselben
oder ähnlichen Formsteinen gleicher Stempelung hergestellten Bautheile zu schliefsen. Eine
eingehende Untersüchung iiber dieses nicht uninteressante Iiapitel des Backsteinbaues in
den Markcn mu'fs einem andern Orte vorbehalten bleiben. Vorläufig geniigt hier die er-
m.ittelte Thatsache, dafs die Ziegelstempel in der Altmark eine ganz temporäre Erscheinung
sind, deren Zeitdauer von 1440—80 reicht und dafs der Fabrikationsort der damit be-
zeichneten Formsteine die städtische Ziegelei zu Tangermiinde gewesen ist.

kenbaft. Die ältesten derselben fallen in den Sehlufs des XIIL
Jahrh., wo Altarstiftungen bezeugt werden Q. Dann aber folgt
aufser Angaben, worin vorhandene Altäre erwähnt oder neue
(wie 1406 und 1417) gestiftet werden, als baugeschichtlich wich-
i tige Nachricht erst diejenige, welche eine in Minuskeln geschrie-
bene Inschrift an der östlichen Kappe des zweitöstlichen Kreuz-
gewölbes im Mittelschiffe überliefert. Dieselbe lautet: Anno dni
M°GCGC° XLVII in sunte bartholomaeus avent und giebt dem-
nach an, dafs das Gewölbe der Kirche damals (1447) beendet
worden sei. Geistliche Brüderschaften, sowie Altarstiftunffen
: werden 1445, 1462 und 1473, eine besondere Liebfrauen-Ka-
pelle 1487 und 1531 erwähnt, die beiden grofsen Glocken Ma-
ria und Osanna 1492 genannt und die Eindeckung der beiden
früher init Schiefer bedeckten Thurmspitzen 1518 und 1519
chronistisch überliefert 2). Den Reichthum und die Bedeutung
dieser Hauptpfarrkirche bezeugt die Thatsache, dafs darin 28 AL
täre und geistliche Lehne vorhanden waren.

Baubeschreibung 3).

Der Grundrifs dieser geräumigen und treffiich erhaltenen
Pfärrkirche ist dem der St. Godehard’s Kirche zu Brandenburg
sehr ähnlich 4). Er zeigt eine dreischiffige gewölbte Hallenkir-
che,' deren Seitenschiffe um den halbachteckig geschlossenen Chor
herumgeführt und an allen Seiten durch niedrige zwischen den
Strebepfeilern hinausgebaute Nebenkapellen erweitert sind. Im
Westen besitzt St. Maria in dem stattlichen, mit hohen Spitzen
geschmückten Thurmpaare die einzige wohl erhaltene Westfroifi
unter den zahlrexchen Pfarrkirchen der Altmark, und ein -zierli-
cher Dachreiter über dem Chordache vervollständigt die einfach
grofsartige Bauanlage. Ohne Schwierigkeit erkennt man, dafs
mit Ausnahme der unteren Thurmgeschosse die Kirche einci’
Bauzeit entstammt und nach einem Plane erbaut worden ist.
Eben so leicht überzeugt man sich, dafs der Dom zu Stendal
das Yorbild für St. Maria gewesen ist, denn die Verschieclenheifc
beider Kirchen beruht nur auf der Planbildung uncl den da-
durch herbeigeführten Modificationen; in allen übrigen Beziehun-
gen, in der Struktur- wie Kunstformenhildung herrscht eine scl-
! tene Uebereinstimmung.

Der Unterbau der Thurmlafade, völlig schlicht und einfach
gehalten, weil das unmittelbar daran stofsende Rathhaus jede
Ansicht verhindert, ist der Ansatzspuren der daran angebautcu
Seitenschiffe zufolge jedenfalls älter als clas Langhaus und wii’fi-
nach seinen sparsamen Formen zu urtheilen dem Sclfiusse dcS

XIV. Jahrh. angehören. Die reieh und trefflich gestalteten Obei’-
geschosse der Thürme, die sich an das System der Domfapade
im Wesentlichen anschliefsen, gehören in die zweite Hälfte dc»

XV. Jahrh.

Der Bau des Langhauses hat mit der Nordmauer begonneiü
denn hier sind die edelsten und strengsten Verhältnisse undKunst-
formen sichtbar. Dieser Tlieil der Kirche befolgt genau das Sy'
stem der Seitenschiffe des Domes mit der Anlage zweier Obei 1'
fenster für jecles Joch, der dadurch bedingten engen Strebepfei'
lerstellung und der Herstellung von fünfkappigen Kreuzgewöl'
ben. Nur die überwölbten Seitenkapellen sind hier nicht uf'
sprünglich, sondern spätere Hinzufügung, wie durch die AnsatZ'
spuren an clen Strebepfeilern erwiesen wird 5).

An die Vollendüng der Nordmauer hat sich der Aufbau deS
Chors geschlossen. Das schöne Sterngewölbe des Chormittel'
schiffs, sowie die oblongen Kreuzgewölbe der einen Umgang b’fi'

>) Riedel a. a. O. XV. 28.

2) Vergl. die bezüglichen Stellen in Riedel a. a. O. XII, 266, 295, 348 u. 349, 40®
u. 5jl, 431 u. a., dazu Angelus Annales 209.

3) Vevgl. die perspektivischen Abbildungen in Strack u. Meyerlieim a. a. O. Bb ®
und in der Zeitschr. f. Bauwesen IX, Bl. 26.

4) Vergl. Bl. XVIII, Fig. 10.

.*) Die sandsteinernen, mit Heiligenfiguren gesehmückten Schlufssteine dieser klcin« 1*
Kapellen lassen ihre eliemalige Bezeichnung erkennen. Von Westen nach Osten geord« et
folgen sicli die Kapellen St. Hieronymus, St. Hippolyt, St. Dorothea, St. Maria Magdiilc 111*’
St. Trinitatis und St. Margaretha: genau so, wie das Lehnsregister bci Riedel a. a. Ö-

XVI. 210 diese Ordnung innehält.
 
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