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Adler, Friedrich
Baugeschichtliche Forschungen in Deutschland (Band 1): Die Kloster- und Stiftskirchen auf der Insel Reichenau — Berlin, 1870

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https://doi.org/10.11588/diglit.7766#0013
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Decksteinen, während die Wand daneben aus kleinen abgerun-
deten Granit- und Kiesel-Geschieben in dicken Mörtelmassen
hergestellt ist. Diese Struktur entspricht völlig derjenigen, welche
die am Aachener Münster noch intakt gebliebenen Überfenster
erkennen lassen. In derselben Technik mit theils unregel-
mäfsig gelagerten, theils reihenweis gepackten mittelgrofsen
Hheingeschieben sind sämmtliche Aufsenwände der beiden
Nebenchöre (an ihrer innern Seite sehr gut erkennbar) her-
gestellt, während die beiden Innenwände, welche die Neben-
chöre von dem Hauptchore trennen, zwar auch noch Rhein-
kiesel verwendet, aber sparsamer vertheilt und bereits mit
dem Hammer zugerichtet zeigen. Die trennenden Mittelwände
müssen daher als jünger angesehen werden als die Aufsen-
mauern 10 2). Der Hauptchor gestattet bei seiner jetzigen stuck-
bedeckten Innenarchitektur keine Beobachtung. Auch die Ap-
siden und Tonnengewölbe sind geputzt und behindern eine
Prüfung. Dagegen stimmen die sehr tief sitzenden, sehr
schmalen (in den Apsiden nur 6 Zoll breiten) und kleinen
Rundbogenfenster in den Nebenchören mit den Thüren A A
in der alterthümlichen Form und in dem kleinen Maafsstabe
so völlig überein, dafs sie einer Zeit angehören müssen.
Die auffallend tiefe Stellung der Nebenchorfenster und ihre
genaue Axentheilung gestattet in Verbindung mit den Thüren
A A sogar noch weitere Schlüsse auf die ursprüngliche An-
lage. Wegen der tiefen Stellung der genannten Fenster läfst
sich vermuthen, dafs dieselben zur Beleuchtung von sehr
niedrigen Seitenschiffsräumen gedient und dafs ihnen je
drei Arkadenstellungen für das Mittelschiff entsprochen haben.
Es sind daher in dem Grundrisse Fig. 2 in Stelle der tren-
nenden Mittelmauern jederseits drei geöffnete Arkaden auf
2 Säulen oder Pfeiler zu interpoliren. Dann waren sicher-
lich in der höher emporsteigenden Obermauer drei ähnlich
kleine und schmale Oberfenster vorhanden, welche mit den
unteren Seitenfenstern correspondirten. Mittelst dieser nahe-
liegenden Verwerthung der alten Bautheile gestaltet sich das
(ianze zu einer Kirche der kleinsten Ordnung, oder, wie der
damalige Sprachgebrauch es nannte, zu einer basilicula 10 3).
Betrachtet man hiernach den Osttheil als ein solches kleines

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plattgeschlossenes und mit 3 Altären ausgestattetes Kirchlein,
so darf man den Umstand nicht übersehen, dafs die Thüren
A A alt sind und daher jedenfalls den ursprünglichen Zugang
von aufsen her bildeten. Ihre Existenz in den Seitenschiffen
behindert aber bei der Kleinheit der Anlage die Annahme
einer dritten Hauptthür in der Westseite des Mittelschiffs.
Es liegt nahe, statt der Thür eine westliche Apsis anzunehmen,
wie Mittelzell sie besitzt und der Baurifs von St. Gallen sie
zeigt. Fügt man noch einen kleinen mauerumschlossenen Vor-
hof (atriutri) hinzu, so zeigt sich die ganze Anlage in unge-
zwungener Weise als ein altchristliches Heiligthum in den
bescheidensten Maafsen. Der Holzschnitt giebt hiervon eine
Vorstellung. Da nun der Stifter Egino als früherer Bischof
von Verona jedenfalls die Mittel besafs und durch seine Ver-
wandtschaft mit der Königin Hildegard auch sicherlich die
nöthigen Hülfskräfte erlangen konnte, um eine seinen Ab-
sichten entsprechende Stiftung durchzuführen; da er ferner
diese Stiftung gleich zu seiner Grabeskirche bestimmte, da
endlich die Plandisposition, der auffallend kleine
Maafsstab, sowie die noch erhaltenen Reste völlig
das Gepräge eines sehr hohen Alterthums tragen, so
darf man mit Recht den Osttheil von Niederzell als den
grofsentheils erhaltenen Kern des ursprünglichen Stiftungs-
baues von 799 bis 802 betrachten und der kleinen Reihe
von Denkmälern altchristlicher Baukunst in Deutschland fort-

'•») Dieser Unterschied ist durch ein Versehen im Grundrisse Fig. 2
auf Blatt III nicht deutlich niarkirt worden.
••») Du Cange, Glossar 1,611.

an hinzufügen. Des Stifters Grab — ursprünglich wohl in
der Westapsis vorhanden — befindet sich jetzt in der Mitte
des Hauptchores. Es ist mit einer kleinen (erneuerten) Bronze-
platte bedeckt, deren Inschrift in leoninischen Versen ihn als
Bischof und Stifter nennt und sein Todesjahr 802 hinzu-
fügt'»4).

In dem südlichen Nebenchore befinden sich die Reste eines
gröfseren Wandgemäldes, welches Jesus unter seinen Aposteln
und von vielem Volke umgeben darstellte. Die Malerei ist
einfach und kunstlos mit sehr wenigen Farben durchgeführt.
Die Gesichter und Hände sind weifs gelassen und alle Um-
risse mit rother Farbe gezeichnet. Die Proportionen sind
lang gestreckt, der Gesichtsausdruck befangen, aber nicht un-
edel. In der Zeichnung wie in der Färbung ist dieses Wand-
bild von dem zu Oberzell gänzlich verschieden. Die strenge
mit wenigen Mitteln durchgeführte Behandlung erinnert an
die Apostelgestalten in den Chorwandblenden der Stiftskirche
von Hersfeld, welche wohl sicher aus der zweiten Hälfte des
XI. Jahrhunderts stammen. Für das Wandbild zu Niederzell
wird mit Rücksicht auf die schweren Kämpfe mit St. Gallen
im XI. Jahrhundert die Entstehung vor 1073 festzuhalten
sein, doch bescheide ich mich gern, hierüber ein entscheiden-
des Urtheil fällen zu wollen.

Auffallend ist bei dem alten Stiftungsbaue des Egino,
dessen Hauptumrisse durch die vorstehende Erörterung wieder
gewonnen sind, der Mangel einer Krypta und eines Quer-
schiffs.

Das Fehlen der Krypta erklärt sich genügend aus der
tiefen Lage des Bauplatzes, weshalb auch die dem X- Jahr-
hundert noch angehörigen Miracula St. Marci die Stelle
enthalten: „ffic (Egino) .... coepit in ultima cjvsdem cespitis

parte fabricare cellulam '0 5), quam in honore S. Petri.....

Construxit,u Denn cespes drückt hier den mit weichem torf-
artigem Untergrunde versehenen Bauplatz aus. Das Quer-
schiff konnte bei der von Anfang an sehr klein beabsichtigten
Stiftung für nur sechs Chorherren füglich entbehrt werden.
Mit dem Querschiffe fiel auch der Vierungsthurm fort und
daher empfahl es sich, zwei kleinere Glockentürme über den
Apsiden der Nebenchöre zu errichten. Da der Unterbau
dieser Thürme bis zu einer Höhe von etwa 30 Fufs die ältere
wenn auch mehrfach geflickte Technik zeigt, so ist an der
ursprünglichen Anordnung der beiden — nur viel niedriger
zu denkenden — Glockentürme nicht zu zweifeln 1 °6).

Der im XII. Jahrhundert hergestellte Erweiterungsbau
hat die alte Anlage vortrefflich benutzt, denn alle Umfassungs-
mauern blieben stehen, nur die Westapsis wurde abgebrochen,
die Säulenarkaden durch je eine Mauer ersetzt und alle alten
Theile mit den neuen Zusätzen zu gleicher Höhe emporge-
führt. Dafs hierbei mit dem Höherlegen der Dächer auch
die Ostthürme wachsen mufsten, ist selbstverständlich. Denn-
noch blieb der allgemeine Typus der altehrwürdigen Bau-
anlage in seinen wesentlichen Elementen erhalten.

Von den Altären sind drei unzweifelhaft alt. Die beiden
längst verlassenen Altäre in den Nebenapsiden sind kleine
plattenbedeckte Sandsteinwürfel. Der Hochaltar, aus grünen
sauber geschliffenen Sandsteinquadern erbaut, besitzt an der
Hinterseite eine oblonge Oeffnung — jetzt ohne Thür —, die
einen Einblick in das schmucklose Innere verstattet. Die
einfach abgekehlten Gesimsprofile, den Kämpfergesimsen am
Triumphbogen sehr ähnlich, gestatten den Schlufs, dafs der
Altar auch der Mitte des XII. Jahrhunderts entstammt.

Die Kirche besitzt noch 5 Glocken, über welche ich
wegen des Verlustes der darauf bezüglichen Notizen nichts
Näheres mittheilen kann.

II. Stiftskirche St. Georg in Oberzell.
Von dieser Kirche sind aufser der perspektivischen An-
sicht, Fig. 2 auf Bl. II, und dem Grundrisse, Fig. 3, Bl. III,
noch zwei Durchschnitte, Fig. 1 und 2 auf Bl. IV, und eine
Anzahl von Details in den Fig. 11 —16 auf Bl. V zusammen-

I04) Inschrift bei Schönhuth 23.

10s) Mone Quellens. I, 62. Der hier von einheimischen Schriftstellern
und sonst oft gebrauchte Ausdruck cellula verhält sich ebenso zu celhi, wir
basilicula zu basilica oder conchula zu concha, porticulus zu porticus u. A.

■••) Das durch Bayer's Mittheilung Taf. II veröffentlichte Oelbild
aus Mitteliniinster giebt der Kirche von Niederzell einen polygoncn Chor
nebst Chorumgang. Beides ist nie vorhanden gewesen. Es spricht diese
Thatsache wenig empfehlend für die Genauigkeit des Malers und habe
ich deshalb das betreffende Bild nur mit Vorsicht benutzt.

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