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Adler, Friedrich
Baugeschichtliche Forschungen in Deutschland (Band 2): Früh-romanische Baukunst im Elsass — Berlin, 1879

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https://doi.org/10.11588/diglit.7767#0008
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4. Die Kirche St. Benedict zu Berg-Iiolzzell.

Diese unweit von Gcbweiler und Murbach belegene
Kirche, welcher die Fig. 7 —11 auf Blatt II gewidmet
sind, ist eine der ältesten des Elsafs. Ihre Stiftung hängt
mit dem Auftreten der ersten irischen Missionäre zusammen.
Nach Grandidier richteten sich die Schüler des Pirmin, (der
damals Abt von Reichenau war), zuerst auf dem Hügel von
Bergholz ein, indem sie kleine Holzhäuser erbauten. Später
zogen sie in die Ebene hinab und bauten mit eigener Arbeit
aus Steinen eine Capelle bei Bergholzzell. Aber auch hier
blieben sie nicht lange, sondern siedelten sich in noch tie-
ferer Einsamkeit an, wodurch jener Ort schon 728 den
Namen vivarius peregrinorum erhielt. Nach einer nochma-
ligen Verlegung und durchgeführten streng mönchischen Or-
ganisation erwuchs hieraus das Kloster Murbach.20)

Von dem ersten Steinbau der Iren des VIII. Jahrhun-
derts ist nichts mehr vorhanden, aber die jetzige Kirche
giebt über ihre Entstehung und spätere Veränderung hin-
reichend sicheren Aufschlufs, um weitere Nachrichten und
Documente entbehren zu können.

Der Grundrifs Fig. 8 zeigt eine dreischiffige kreuzför-
mige Pfeilerbasilika mit einer aul'sen plattgeschlosscnen
Ilauptapsis und zwei kleineren halbrunden Nebenapsiden.
Der früher vorhanden gewesene Vicrungsthurni ist abge-
brochen — die drei Glocken hängen jetzt draufsen, — und
die Kirche ist nach Beseitigung der beiden Arkadenreihen des
Langhauses einschiffig gestaltet worden. Im Westen stehen
zwei achteckige geschwellte Mittelpfeiler A und zwei oblonge
Wandpfeiler Ii; auf ihnen ruht die hölzerne Orgel-Empore.
Alle vier Pfeiler sind mit Majuskel-Inschriften im Charakter
des XIV. Jahrhunderts beschrieben.21)

Die Inschrift des nördlichen Wandpfei-
lers lautet: Anno domini millesimo sexto
fundata est ecclesia issta [sie!] in honore
saneti Benedicti abbatis. — Darunter dieses
Weihekreuz und folgende Inschrift in Versen:
+ Nix glacies ■ et ■ aqua ■ tria ■ nomina ■
res • tarnen • una -j- sie • in ■ personis ■
trinus ■ dem ■ est ■ tarnen ■ unus •
Am südlichen Wandpfeiler steht in gleichen Charakteren:
+ Ilanc ■ sculpturam ■ fecit ■ Sifridus ■ de ■
Wormacia ■ capcllanus ■ hujus ■ ecchsiae ■
circa ■ annos • domini ■ M ■ CCC - quadragesimo ■ VI ■
Sodann das gleiche Weihekreuz wie gegenüber und darunter
die Inschrift:

+ Triste ■ cor ■ ira ■ frequens ■ hominis ■
mens ■ raro ■ quiescens ■ + hec • tria ■
consumunt ■ vitä ■ fine ■ breve ■ +
An dem nördlichen der beiden Mittelpfeiler steht:
ecclesiam ■ consecravit • isst • non ■
pius • papa ■ Leo ■ in ■ honore ■ saneti ■
Benedicti ■ egregii ■ abbatis ■ +
Insuper ■ consecravit ■ tria ■
Altaria • et ■ quolibet ■ altare •
Dedit ■ centum ■ quadraginta ■
Dies ■ indulgenciarum ■ amen •
1 an dem südlichen Mittelpfeiler :

In ■ ecclesia ■ issta ■ inveniuntur ■
centum ■ anni • cum • viginti ■
a. *nic "t ■ quadraginta ■ carrenae ■
Et ■ in ■ ^dicc'fnc ■ ecclesie •
Quatuor ■ fesiioititibus ■
In ■ die ■ saneti ■ Btnta

-1

Hie ■ est ■ patronus ■ ora

qui ■
■ me.

20) Grandidier, Notitia fundationis etc. Mwiaot ibbatiae
in den Pieces justifie. S. LXXI Tit. 435 zur Hist. d'Aba« e

21) Die Inschriften sind bereits puMicirt im Bull. I serie, III,
9G ff; ferner theilweis bei Grandidier, Hist. d'Als. piec. just.
II, LXXIV, 11. — Meine Abschrift weicht nur in zwei Punkten von
jener durch Pfarrer Zimberlin bewirkten ab.

Aul'serdom befindet sich aul'sen an der Westecke der Nord-
maucr eine Wiederholung der vorgenannten Inschrift auch
in gleicher Paläographie geschrieben:

Anno domini millesimo sexto fundata est ecclesia
issta in die Mar ei -{-.

Diese Inschriften sind baugeschichtlich von Belang. Wir
erfahren daraus, dafs in der schon 100G gegründeten Kirche
Papst Leo IX. 1049 drei Altäre geweiht und mit hohem
Ablafs ausgestattet hat. Im Jahre 1346 hat dann Siegfried
aus Worms, Kaplan dieser Kirche, „hanc sculpturam" d.h.
die genannten vier Pfeiler hergestellt. Fast möchte man
glauben, dafs er die Pfeiler der Orgelbühne nebst den In-
schriften eigenhändig gemeifselt hat, wenn das „fecit" nach
mittelalterlichem Sprachgebrauche nicht so häutig weniger den
Urheber als den Besteller bezeichnete. Wie dem auch sei,
immer darf man annehmen, dafs er es gewesen ist, der das
bis dahin dreischiffige Laughaus einschiffig umgestaltet und
bei dieser Gelegenheit nicht nur alte Inschriften erneuert,
sondern aucli für die Orgelemporenpfeiler die Motive der
alten Schiffspfeiler wiederholt hat. Denn dafs diese selt-
samen achteckigen gefurchten und geschwellten Pfeiler mit
ihren byzantinisirenden Kapitellen auf ältere Vorbilder .zurück-
weisen, und zwar auf Vorbilder aus dem Anfange des
. XI. Jahrhunderts, leinen die Vergleiche mit sicher datirten
Kirchen auf der Insel Reichenau, in Konstanz, in Ivrca,
in Dijon und andern Orten.

Eine am Südpfeiler der Arkade zwischen der südlichen
Apside und dem SüdkreuzHügel stehende gleichzeitige In-
schrift: CeU ■ regina ■ nos ■ salva ■ flos ■ sine ■ spina ■ ist
baugeschichtlich ohne Bedeutung, weil sie nur die Marien-
Verehrung des Siegfried meldet.

Der Chor, innen halbrund, aul'sen glatt geschlossen,
legt sich mittels eines niedrigen kämpferlosen lUindbogens
unmittelbar an das Querschiff. Zwei einfache und nie-
drige Spitzbögen mit Schmiegengesiins verbinden die Vierung
mit den Kreuzflügeln. Sie entstammen dein Umbaue des
XIV. Jahrhunderts. Da der Triumphbogen nach dem Lang-
hause niedrig, rundbogig und gleichfalls kämpferlos ist, da
ferner in den vier Aechseln der Vierung vier Pfeilerpaare an
sehr hoch sitzenden Kämpfern mit dem Profile Fig. 'J
erkannt werden, so ergiebt sich, dafs die alten tragenden
Vierungsbögen verschwunden sind, weil Siegfried bei seinem
Umbau eine Sicherung durch untergebaute Spitzbögen für
nothwendig erachtet hat. Die Nebenapsiden sind klein und
. ermangeln jeder Kunstformen; die Kämpfer der Arkaden
zwischen den Kreuzflügeln und dem Langhause besitzen ein
nur in der Laibung befindliches Gesims als Andeutung des
Kämpfers.

Der ganze Bau ist aus kleinen Bruchsteinen aber mit
geböschten Mauern, deren Ecken sauber behauene rothe
Sandsteinquadern sichern, hergestellt. Das kleine Westportal
scheint eine moderne Erneuerung des Sltern beseitigten.
Zwei kleine Fenster, jedes aus vier Steinen con-
struirt, sind auf der Süd- wie Nordseite vom
alten Baue erhalten. Das Werth vollste ist end-
lich ein an der Südseite stellendes vermauertes
Portal hochalterthümlicher Bildung, welches
Fig. 10 veranschaulicht. Die aus hochkantig ge-
stellten Quadern eonstruirten Einfassungen tragen
einen scheitrechten Sturz, der mit einem sehr
schlichten, halbrohen Relief geschmückt ist! In der Mitte
steht auf einer Stange ein Vortragekreuz,2-) zu welchem
Vögel heranflattern; rechts und links sind Bäume darge-
stellt; das rechts vom Kreuze sichtbare Zeichen — ein Rad
oder ein Gebäck — vermag ich nicht zu deuten. Der Ge-
sammtinhalt dieser naiven mit Kindeslauten stammelnden

22) Das Vortragekreuz an Portalb;ilken, auf Tympanonplatfen,
auf Grabsteinen ist ein beliebtes Symbol der Kunst des X. — XII.
Jahrhunderts, um die erstmalige Stiftung hezw. den Stifter zu eharak-
terisiren.
 
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