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Adler, Friedrich
Baugeschichtliche Forschungen in Deutschland (Band 2): Früh-romanische Baukunst im Elsass — Berlin, 1879

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https://doi.org/10.11588/diglit.7767#0018
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14

vorletzte zeigt ähnliche Ocffnungcn, aber gepaart und durch
einen Halbkreisblendbogen mit Maskenschlufsstein gemeinsam
umrahmt. Der hier durch Betonung des Schlufsstems mittels
einer Maske auftretende Anschlufs an antike Vorbilder ver-
dient bemerkt zu werden. Es ist dies ein höchst charakte-
ristischer Zug der deutschen Baukunst am Schlüsse des
XII. Jahrhunderts, der, obschon er nicht alleinsteht und sich
weit verfolgen läfst, bisher fast ganz unbeachtet geblie-
ben ist.60)

Die übrigen Bauthcile sind mehr oder weniger reich
mit glatten oder pfeilerartigen Lesincn und Bogenfrieson
belebt. In ihnen mischen sich alte deutsche Traditionen mit
jüngeren von Italien kommenden Einflüssen. Alterthümlich
— ebensosehr an Aquäductsformen wie an ravennatische
Wandsysteme erinnernd — ist die Gestaltung der unteren
Theilc der Hauptchorfacadc; vorgeschritten, fast spielend
dagegen der obere Aufbau in Gestalt einer aufgeblen-
deten Zwerggallerie thoilweis auf Consolen, die an drei Seiten
höchst unorganisch herumgeführt ist und sich als eine Zusatz-
anlage bei Gelegenheit der Gewölbeerneuerüng bekundet.
Die Fenster sind zweimal abgestuft und tief gelaibt. Ihre
Bögen zeigen wieder den schmuckvollen Farbenwechsel von
weifsen und rothen Sandsteinen. An dem Obcrgiebcl sind
sehr alterthümliche Reliefs (Eucharistie und Beichte), welche
sicher von dem älteren Ghorgiebel von 1139 herrühren,
eingemauert.

Der Nordostseite ist endlich eine schlanke nach zwei
Seiten mittels eines Quadratpfeilers geöffnete Vorhalle ange-
schlossen, welche einen directen Zugang zum Nordkreuz-
flügel gestattet. Die aufserordcntlich strengen Formen dieses
Bauthoils, viele Schmiegengesimse, einfach weit gekehlte Haupt-
gesimse (wie Fig. G), ferner mehrere Dreiviertelecksäulen
mit alten Würfelknäufen und hohen attischen Basen (ohne
Eckzehen) bestätigen weiter die Annahme, dafs der gesammte
Unterbau des Chores noch von dem Jahre 1139 herrührt.
Nur auf die Obertheile und Gewölbe ist die wichtige Nach-
richt der Weihe von 1210 zu beziehen. Der Chorbau
von 1139 kann keine oblonge überwölbte Vierung
besessen haben, am wenigsten aber in fast allen Bau-
teilen Rippengewölbe, deren frühes Auftreten im Elsafs
(schon vor 1139!) von oberflächlichen Compilatoren neuer-
dings zwar behauptet, aber nicht erwiesen worden ist.

Neben hohen ästhetischen Vorzügen gewinnt Murbach
auch in baugeschichtlicher Beziehung durch diese gesicherte
doppelte Datirung einen besonderen Werth.

Resultat.

Aus der vorstehenden Charaktcrisirung der Denkmäler
und ihrer festgestellten Chronologie ergeben sich drei That-
sachen:

l) Die verhältnifsmäfsig lange Fortdauer der altchristlichen
Baukunst in ihren beiden Versionen, dem Basilikenbau und
dem centralen wie kreuzförmigen Gewölhebau.

Charakteristisch für die erste Version ist der directe
Anschlufs dcrApsis an das Querschiff, welchen Eschau
und Bergholzzell noch zeigen, während das Münster und St.
Stephan zu Strafsburg kraft ihrer auf alten Fundamenten
stehenden Chor - und Querschiffsanlagen denselben einst sicher
besafsen; von Ruffach kann es nur vermuthet werden. Dafs
diese auf uralte, von Rom ausgegangene Tradition basirende

CO) Das einzige Thurrnpaar, welches im strenger und doch edler
Schönheit den Murbacher Thürmen würdig zur Seite gestellt werden
kann, ist das von der Westfront zu Uersfeld, — allerdings etwas
älter und wegen des Abbruches des Nordthurmes nicht mehr so wir-
kungsvoll. Eine sehr ähnliche Baugruppe bildete die Osthälfte des
leider 1G43 abgebrochenen Klosters St. Hildegard bei Kempten.

Planbildung im IX. und X. Jahrhundert in Deutschland über-
haupt sehr verbreitet gewesen sein mufs, beweisen von erhal-
tenen Beispielen noch:

a. Reichenau — Mittelmünster und Obermünster —
Westchöre (letzteres allerdings direct am Mittelschiffe).

b. Fulda — die Stiftskirchen Pctorsberg und Andreasberg.

c. Regensburg — Obermünster. Westchor.

d. St. Inder in der Schweiz.

In Augsburg ist der Ostchor zwar nicht mehr erhalten, aber
mit großer Wahrscheinlichkeit vorauszusetzen; denn er wird
in Urkunden ausdrücklich noch mit dem altchristlichen
Namen: tribunal Orientale bezeichet.

Werthvoll für die zweite Version sind die Kreuzkirchen
St. Ulrich (Avolsheim) und St. Margaretha (Epfig); neben
St. Michael in Fulda und St. Maria in Würzburg wahre
Unica für die ältere Monumental-Baukunst in Deutschland.

Die an jenen ältesten Denkmälern haftenden, theils
geretteten, theils neu geschafl'enen Baudctails bieten Kunst-
archäologen, denen die Aufsuchung nationaler Decorations-
formen am Herzen liegt, ein nicht werthloses Material, das
nur weiterer Vervollständigung bedarf, um ein neues und
lehrreiches Capitel für die mittelalterliche Ornamentik ein-
zuleiten. Wir würden das erste Auftreten der romanischen
Baukunst im Elsafs vollständiger und sicherer übersehen,
wenn die von 987 — 96 erbaute Klosterkirche von Seltz uns
erhalten geblieben wäre. Ihr Verlust ist nicht genug zu
beklagen, da triftige Gründe für die Annahme vorliegen,
dafs sie ein mit Kaiserlicher Muniflccnz durchgeführter schwer-
fälliger Cluniacenser-Gewülbebau (den Arkaden von Romain
motier von 930 — 40 und dem Langhause von Petcrlingen
von 962 — 87 verwandt) gewesen sein mufs.61) Nur durch
eine solche Annahme werden die frühromanischen Wölbungs-
versuche wie Avolsheim und Epfig, später Otmarsheim u. A.
erklärbar.

2) Der früh erkennbare starke Einflufs der mitlelrheini-
schen Baukunst, speciell der von Poppo selbst entworfenen
oder aus seiner Schule hervorgegangenen Werke wie Lim-
burg, Speier, Hersfeld u. A. — Von Poppo stammt das
absichtlich an Karolingische Vorbilder angeschlossene Otmars-
heim und der nur noch in wenigen aber Ilauptumrissen
erkennbare Neubau des Münsters zu Strafsburg nach 1014.
Besonders deutlich sieht man Speiers Einflufs in Weifsen-
burg, Neuweiler und Niedermünster. Eine grofse Anzahl der
erhaltenen romanischen Glockenthürme sowie viele Portale,
Pfeiler und Säulen lassen den gleichen Ausgangspunkt nicht
verkennen.

3) Das Auftreten der Hirsauer Bauschule kurz vor dem
Schlüsse des XI. Jahrhunderts, vertreten durch St. Johannes
in predio, Murbach, Alspach und Egishcim. Abgesehen von
der interessanten Plandisposition der Choranlagen, sind die-
selben besonders lehrreich für die immer stärker hervor-
tretende Tendenz, einzelne Bauthcile zu wölben, ohne aber
mit den in den Nachbargegenden bereits bestehenden und
in ununterbrochener Ausbildung begriffenen Gewölbebau-
systemen der lombardischen und burgundischen Bauschule
erfolgreich wetteifern zu können.

Den Sieg errang nach kurzer Zeit des Wettkampfes und
auf . lange Zeit hin das lombardische gebundene Bausystem,
welches mit verschwindend wenigen Ausnahmen die spät
romanische Baukunst des Elsasses bis zum jähen Eintritte
der gothischen Baukunst beherrscht hat.

Gl) Rahn's Aufnahmen dieser beiden so außerordentlich wich-
tigen Kirchen in den Mitth. der Antiq. Ges. v. Zürich genügen eben
so wenig wie seine analytischen Untersuchungen und chronologischen
Festsetzungen.

Halle, Buchdruckorei de» Waisenhauses.
 
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