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an der Ostseite 6 Fufs mehr beträgt als an der Westseite, so
dafs ein höchst ungiinstiger Eindruck für das Innere hervorge-
i’ufen wird. Die hochbusigen gut konstruirten Gewölbe werden
von sehr kräftig profilirten Rippen (mit Birnenstäben und Keh-
len ganz wie zu Wilsnaek) getragen, haben durchbohrte Schlufs-
steine und ruhen auf lanzettförmig gezeichneten, einfach abge-
stuften Arkadenbogen. Die runden Pfeiler besitzen, wie das
System des Innern Blatt LIII, Fig. 5 veranschaulicht, schlichte
ringförmige Kämpfer und Basen und waren früher, wie erhal-
tene Ringe beweisen, untereinander und mit den Seitenschiffs-
mauern durch hölzerne Spannbalken verankert. Alle diese Eigen-
thümlichkeiten basiren auf den entsprechenden Bautheilen der
Pfarrkirche zu Prizwalk. Noch roher als die Schiffspfeiler sind die
Wandpfeiler in der Form von dicken Halbsäulen, die zwei kleine
Rundstäbe begleiten, gestaltet 1), so dafs im Ganzen wie im Einzel-
uen die Architektur des Langhauses weit hinter der des Obores
zurücksteht. Von den schlanken theils zwei-, theils dreitheiligen
Spitzbogenfenstern sind einige einfach abgeschmiegt, andere drei-
fach abgestuft, alle init modernem zierlich gezeichnetem Maafswerk
gefüllt. Die werthvollsten Bautheile sind zwei reich gegliederte
Portale an der Südseite, welche ganz im Charakter der Witt-
stocker Portale aus glasirten Backsteinen konstruirt, und deren
bestes aüf Blatt LIV, Fig. 2. dargestellt worden ist. Die sehr
viel spätere Bauzeit als die, in welcher die Wittstocker Pforten
entstanden sind, giebt sich ohne Schwierigkeit durch den Man-
gel aller Kehlen und Kapitelle, durch das Auftreten tauförmiger
Rundstäbe, besonders aber durch die unruhige gehäufte Glie-
derung zu erkennen. Zwei an der Nordseite vorhandene Por-
tale sind minder reich ausgestattet. und schliefsen sich im Cha-
rakter mehr an die reichen Doppelpforten der St. Stephans-
Kirche 2) zu Tangermünde an.

Neben dem Langhause, welches im Grofsen und Ganzen
em Werk aus der zweiten Hälfte des XV. Jahrh. ist, sind am
Westthurme ältere Reste vorhanden, welche beweisen, dafs eine
in streng altgothischem Charakter erbaute Pfarrkirche ursprüng-
lich vorhanden war, welche durch unbekannte Veranlassung
dem mittelmäfsigen Langhause hat weichen müssen. Von der
alten Westfront steht im Anschlusse an den Thurm ein be-
trächtliches Mauerstück, darin sich zwei dreifach abgestufte, mit
Rundstäbchen besetzte (jetzt vermauerte) Spitzbogenfenster be-
finden, welche alle Kennzeichen der altgothischen Epoche be-
sitzen und eine weitere Entwicklung der schönen Thurmfenster
des Klosters Diesdorf (im Bande I, S. 51 durch den Holzschnitt
dargestellt) zeigen. Der Thurm selbst ist in seinen unteren al-
ten Theilen ganz schmucklos gestaltet, nach oben hin wie alle
Strebepfeiler und der Giebel zwischen Chor und Langhaus lei-
der modernisirt.

Das Steinformat beträgt am Chore ll 1 — 11® Zoll, 5.) Zoll
Und 3i Zoll; am Langhause 11 Zoll, b\Zo\\ und 3^ Zoll.

Kunstwerke.

Aufser den nicht unerheblichen Resten eines Chorgestühls
aus dei Mitte ües XIV. Jahrh. ist der schon erwähnte 9 Fufs
hohe fünfarmige Messingleuchter, welcher von drei alterthüm-
üch gezeichneten Löwen getragen wird, bemerkenswerth. Die
daran befindliche Minuskel-Inschrift lautet: Jn . deme .jare . do.
me . scref . MCCCC . LXXV. do . makede . harme . bö . stede . desse .
hichler :!).

Resultat.

Die bauliche Änalyse ergiebt ohne Schwierigkeit die Rei-
henfolge der Bauzeiten, nämlich: 1) Untertheil des Westthur-
üies und Rest der Westfront um 1240; 2) Chor von 1361 — 70;
3) Langhaus 1470 80.

Dieselbe in künstlerischei Beziehnng sehr unschöne Detailbildung erscheint auch in
I Jfarrkirche zu Lenzen.

2) Vergl. Bandl, Blatt XXXVIII, Fig. 1 u. 2.

3) Von dcmselben Meister, der wahrscheinlich in Magdeburg arbeitete, rühren das
taufbocken und der Leucliter zu Werben her. Vergl. Band I, S. 78 u. Märk. Forsch. II.
S- 30.

II.

II. Das Rathhaus.

Von der ursprüngfichen Durchbildung des Rathhauses in
reichenBacksteinformen ist jetzt nur noch ein Stufengiebel vorhan-
den, welcher sich über dem zweigeschossigen mit Strebepfeilern
besetzten Unterbau erhebt. Die dekorative Charakteristik des
Giebels besteht in zweitheiligen flachbogigen, oben theilweis ge-
öffneten Wandblenden, während die nfittelst farbiger Steine ein-
gefafsten Giebelpfeiler mit vertikalen Gitterfriesen in derselben
Weise wie die Strebepfeiler an der Ordenskirche zu Werben >)
geschmückt sind. Der nicht. uninteressante Baurest gehört in
die Mitte des XV. Jahrh.

Auf dem Marktplatze steht die in der ersten Hälfte des
XVI. Jahrh. in fast barocken Renaissanceformen hergestellte
Rolandsstatue von kolossaler Gröfse' 2), welche als Kunstwerk sehr
geringen Werth behauptet, darin aber interessant ist, weil sie
lehrt, wie spät noeh diese symbolischen Hüter städtischer Ge-
rechtigkeiten erneuert worden sind.

E. Die Stadt Wilsnack.

Als unbedeutendes Kirchdorf wird Wilsnack noch im An-
fange des XIV. Jahrh. genannt. Aber ein in Folge ritterlicher
Fehden am Schlusse des XIV. Jahrh. entstandener Brand, welcher
Dorf und Kirche gänzlich einäscherte, wurde gleichzeitig Veran-
lassung, dem Orte bald darauf den Rang einer Stadt und über
ein Jahrhundert lang einen europäischen Ruf zu verschaffen.

I. Wallfahrtskirche St. Nikolaus.

Hist.oiisches.

Bei dem Aufräumen des Brandschuttes der im J. 1383 zer-
störten alten Kirche St. Nikolaus wurden acht Tage nach dem
Brande von dem Pfarrer des Ortes drei auf dem Altare befind-
lich gewesene Hostien unversehrt, aber jede mit einem Bluts-
tropfen besprengt, wieder aufgefunden. Diese Thatsache, als
ein göttliches Wunder betracfitet, erweckte zunächst die Theil-
nahme der Nachbarschaft, insbesondere innerhalb des Sprengels
von Havelberg zu welchem Wilsnack gehörte, bald aber durch
die ferneren Wunder, welche an die Verehrung des heiligen
Blutes sich anschlossen, einen wachsenden Zulauf von Pilgern,
Kranken wie Gesunden, aus allen Gegenden der Mark und Nord-
deutschlandsJ) Schon 1384, ein Jahr nach dem Brande, wurde
vom Papste Urban VI. eine Bulle erwirkt, welche — ohne des
heiligen Blutes zu gedenken, — allen denen,die zum Wiederaufbau
der verbrannten Kirche reuigen Sinnes beitragen würden, Sün-
denerlafs verspricht. 4) In demselben Jahre ertheilten der Erz-
bischof von Magdeburg und die Bischöfe von Brandenburg, Ha-
velberg und Lebus zu gleichem Zwecke einen Ablafsbrief, worin
des Ereignisses schon specieller gedacht wird. 5) Trotz dieser
lebhaften Fürsprache war der Neubau der Kirche 1388 noch
nicht vollendet, wie aus dem Ablafsbriefe des Kardinals von
Ostia hervorgeht, so dafs 1391 auch von dem Bischofe von
Schwerin ein Ablafsbrief erlassen und durch das Geschenk eines
Armes der St. Barbara von Seiten des Erzbisthumes Magdeburg
der Zulauf der Gläubigen zum heiligen Blute nach Wilsnack zu
vermehren gesucht wurde. 6) Bald darauf mufs der Neubau der
Kirche aber beendigt worden sein, denn aus der Anordnung des

') Vergl. Bandl, BlattXLIV, Fig. 1.

2) Abbild. in Beckmann a. a. O. V. Theil, II. Buch, S. 44.

3) Vergl. die Legende von der Auffindung des heiligen Blutes aus einem alten Ro-
stocker Drucke von 1521 bei Iliedel a. a. O. A. II, 121 ff.

4) Riedel a. a. O- II, 140.

5) Riedet a. a. 0. II, 140 ff.

6) Riedel a. a. 0. II, 141 ff.

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