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und von einem gemeinsamen Spitzbogen um-
schlossenen Schallöffnungen, welche wie der
Holzschnitt lehrt, mit dem auf Blatt LI, Fig. 2
mitgetheilten Systeme des südlichen Kreuz-
gangsflügels zu Havelberg völlig übereinstim-
men. Ueberdies steht dieser in seinen öst-
lichen Mauern ofienbar zum Abbruch be-
stimmte Westthurm ohne jeden Verband zwi-
schen den starken, für eine doppelthiirmige
Westfa^ade mit Verzahnung angelegten Mauern der neueren
gröfseren Wallfahrtskirche, so dafs es keinem Zweifel unterliegt,
hier den letzten Kest der von dem Bischofe Johann III. (Wo-
pelitz) unternommenen Bauausführung von 1384 — 96 erhalten
zu sehen. Aus Ansatz- und Abbruchsspuren an diesem Thurm-
reste läfst sich noch erkennen, dafs die datnals erbaute Kirche
eine mäfsig grofse, gewölbte, mit äufseren Strebepfeilern be-
setzte gothische Kirche gewesen ist, an deren Ostseite zunächst
der neue hohe Chor, sodann das Querschiff' und nach längerer
Paüse die westlichen Joche des Langhauses erbaut worden sind.
Die beabsichtigte grofse zweithürmige Westfront ist in Folge
des Eintritts der Keformation nicht zur Ausführung gekommen
und der mächtige Westgiebel vermutlich nach dem Bran.de
von 1690 in nüchternen und reducirten Renaissanceformen, mit
dorischen Wandpfeilern und Rundbogenarkaden in sehr mittel-
mäfsiger Technik hergestellt worden.

Das Aeufsere der Wallfahrtskirche läfst sofort eine Com-
bination des Chors vom Stendaler Dome mit den Kreuzflügeln
Von St. Stephan zu Tangermünde erkennen, nur entbehrt das-
selbe der schönen strengen Verhältnisse, welche Stendal und
der reichen Detailgliederung, welche St. Stephan auszeichnen.')
Selbst der eigenthümlich angelegte, offenbar für die Umherfüh-
rung des heiligen Blutes vor den Pilgern bestimmte Umgang
zwischen den Strebepfeilern des Chores (vergl. auf dem Grundrisse
Blatt LVI, Fig. 5 die obere Hälfte), der jetzt grofsentheils zer-
stört ist, hat schwerlich die Facadenbildung der Kirche geho-
ben. 2) Am unschönsten wirken die breiten spitzbogigen Fen-
ster, welche im Chore theils drei- theils viertheilig, im Quer-
schiffe und in der Südmauer aber meist fünftheilig gestaltet sind
und von denen die in der Südmauer des Langhauses durch ihre
gedrückten Spitzbogen beweisen, dafs sie bei der . Ausführung
nicht die Höhe erreicht haben, welche ursprünglich projektirt
war. Auch die Hauptgesimse des Chores und
des Langhauses (a und b im Holzschnitte)
zeigen bei ähnlicher Gliederfolge so merk-
bare Verschiedenheiten, dafs man einen nicht
unbeträchtlichen Zeitunterschied wahrnimmt.
Das Querschiff zeigt entschieden bessere For-
men a)s das Langhaus, weil der Einflufs alt-
märkischer Bauwerke sich mehr geltend
macht. Insbesondere wird man durch die
Gliederung des mit profilirten Pfeilern be-
setzten Giebels sofort an den Südkreuzflü-
gel von St. Stephan zu IQngermünde erirmert, während zwei
neben dem siebentheiligen Hauptfenster belegene spitzbogige
Blendnischen den innigsteh Zusarnmenhang mit ganz entspre-
chenden Bautheilen an St. Godehard und dem Altstädter Rath-
hause zu Brandenburg erkennen lassen. 3)

Da nun der Südkreuzflügel von St. Stephan in jeder Be-
ziehung vollkommener durchgebildet erscheint,, als der zu Wils-
üack, so mufs der letztere als eine freie Kopie des ersteren be-
trachtet werden und kann mit Rücksicht auf das mschrifthche
Uatum zu Tangermünde (1470) schwerlich vor 1480 erbaut
^orden sein. Der Chor ist offenbar der älteste Iheil der gan-
zen Bauanlage gewesen und zeigt wie schon ei'wähnt, in der

•) Vergl. diese Bautheile Blatt XXXIII, Fig. 1 und Blatt XXXIX, Fig. 2.

2) Eiu ähnlicher, iiberwölbter und nach aufsen geöffneter Kreuzgang war auch an der
Klosterkirche Klingenthal zu Basel vorhanden. Vergl. Burckhardt u. Riggenbach.
Üie Klosterkirche Klingenthal zu Basel.

3) Vergl. Band I, S. 26 den Holzschnitt und Bl. IX, Fig. 2.

Planbildung einen engen Anschlufs an den Chor des Domes zu
Stendal. In den Ilauptformen dter Bauglieder tritt dies weniger
hervor, denn die Strebepfeiler sind dick und schwerfällig for-
mirt, die Fenster zu breit gebildet, in den Einfassungen klein-
lich gegliedert, so dafs in diesen Details sich eher ein bevor-
zugtes Studium der entsprechenden Bauformen von St. Maria
zu Stendal wahrnehmen läfst. l) Am selbstständigsten gestaltet,
erscheint die auf der Nordseite belegene auf zwei flachbogigen
Jochen von 26 Fufs Spannung ruhende Gallerie, welche hoch über
dem Gewühle der die Kirche umlagernden Pilgerschaaren, einen
direkten und geschützten Zugang von dem Prälatenhause nach
der oberen Empore des Nordkreuzflügels verstattete.

Der Idolzschnitt läfst diese noch wohlerhaltene Gallerie er-
kennen.

Das Innere ist hochstrebend und weiträumig angelegt, bleibt
aber an Wirkung ungeachtet der gröfseren Höhe und derfreieren
Spannung hinter dem Inneren von Stendal zurück, wie dies
selbst aus einer Vergleichung der Querschnitte beider Bauwerke
auf Blatt LVII mit Blatt XXXIV deutlich erkannt werden kann.
Den engen fast sklavischen Anschlufs an Stendal zeigt das Sy-
stem des Chores BlattLVI, Fig. 3 ausgeprägt, nur dafs hier an
den unteren Mauertheilen überall rundbogige Wandblenden in
Stelle der spitzbogigen zu Stendal auftreten und die innere Pro-
filirung der Chorpfeiler Fig. 4 mit kleinlichen Rundstabformen
fast überhäuft ist. Die Gliederung der überzierlichen mittelst
Apostelstatuen unterbrochenen Dienstbündel im
Chorlanghause und Chorpolygone läfst der Holz-
schnitt durch a und b erkennen, sowie das gut
gezeichnete Rippenprofil ailer Chor- und unteren
Seitenschiffsgewölbe östlich an den Querschiffs-
durch nebenstehenden Holzschnitt veranschaulicht

Dem Fortgange des Baues entsprechend erscheint nach
Westen hin neben der förtdauernden Einwirkung altmärkischer
Bauwerke, ein immer gröfserer Reichthum an Detailformen. So
sind die östlichen Vierungspfeiler und die oberhalb der Neben-
kapellen frei emporwachsenden Rundpfeiler in den Kreuzflügeln
in ihrer Detailbiklung an die entsprechenden Bautheile der Klo-
sterkirche Allerheiligen zu Tangermünde mit ihren dreifach ge-
bündelten Rundstabdiensten und glasirten Spiralschichten an der
Cylinderfläche auf’s Engste angeschlossen worden. 2) Erst im
Langhause hört dieser Einflufs altmärkischer Baukunst auf. In-
dessen ist auch das dreischiffige, ursprünglich durch eine
(später herausgenommene) Mauer vom Querschiff getrennte
Langhaus sehr viel später als das Querschiff hergestellt und
jj — wie deutlich erkennbar ist, — in grofser Eile und nachlässi-
ger Technik vollendet worden. Auch ohne die inschriftlichen

’) Vergl. Blatt XLI, Fig I.

-) Vevgl. Blatt XLII, Fig. 4.
 
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