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Leider sind die zalilreielien Baudenkmäler des Mittel-
alters durcli die gewolmten feindliclien Mäclxte, Brand, Falir-
lässigkeit und Habsucht so erheblicli zusammengeschmolzen,
dafs aufser dem in nachmittelalterlicher Zeit erneuerten Rath-
hause nur noch drei Kirchen und eine Kapelle den alten Reich-
thum vertreten müssen. Besonders zu bedauern bleibt aufser
dem Untergange des grofsen in spätgothischer Zeit erneuerten
Karthäuser-Klosters vor dem Gubenschen Thore und dreier
Kapellen, der allmäliche Abbruch der stattlichen Ringmauer
mit ihren fiinf Thoren und 49 Thürmen bezw. Weichhäusern. x)

Die Pfarrkirche St. Maria.

Der südliche Thurm ist 1826 eingestiirzt und bisher nicht
wieder aufgebaut worden, nur eine umfangreiche Restauration
des Inneren kam etwas später leider zu Stande.

Baubeschreibung.

Die Marienkirche ist, wie der irn Holzsclinitt mitgetheilte
Grundrifs erkennen läfst, eine gewölbte fünfschiffige Hallen-
ldrche mit zwei grofsen Thürmen an der Westfront, einem
einschiffigen Querschiffe und einem dreischiffigen Lang- xxnd
Polygonchore, der innen mit drei Seiten des Achtecks, aufsen
mit sieben Seiten des Yierzehnecks schliefst. Die Kirche hat
rmgewöhnliche Maafse erhalten — sie ist über 260 Fufs lang
und an der Westfront 88 Fufs breit — und übertrifft daher
in ihrer Grundfläche diejenige aller märkischen Städte. An
der Südseite cles Langchores liegen drei zweigeschossige Ka-
pellen und an den Nordkreuzfliigel ist eine überwölbte ein-
scliiffige und einjochige und in fünf Seiten des Zelmeckes
sehliefsende Kapelle nachträglich angebaut, welche den alten
nocli erlialtenen Kreuzgiebel zum Theil verdeckt.

Das Innere ist von
imposanter Gröfse und
weiträumigen mächtigen
Verhältnissen. Wenn auch
verschiedene Bauzeiten er-
kennbar sind, so geht
doch ein einheitlicher Zug
durch das Ganze.

Alle diese Vorzüge
lassen es doppelt beklagen,
dafs die Kirclxe um das
Jahr 1830, also in einer
Zeit restaurirt worden ist,
in welcher es an jeder
gründlichen Kenntnifs des
märkischen Backstein-
baues fehlte. Daher ist
nicht nur der alte schlichte
treulxerzige Kunstcharak-
ter vollständig verloren
gegangen, sondern es wird
auch durcli die starke Ueberputzung rmd vielfache Stuckimng
die analytische Untersuchung des Baues in hohem Mafse er-
schwert. Docli erkennt man mit Sicherheit, dafs das ursprüng-
lich dreischiffige Langhaus mit dem Querschiffe ixnd dem Unter-
baue der stolzen zweithürmigen Westfront nach einem Plane
und ziemlich gleichzeitig ausgeführt worden ist. Und zwar ge-
schah dies in einem grofsartig kühnen Sinne, wie er nur
selten in der Mark sich geäufsert liat. Das Mittelschiff wurde
nandich nicht auf oblonge, sondenx auf quadratische Jocfie an-
gelegt, so dafs bei einer Quadratseite von 30 Fufs in den
Achsen gemessen —bei einer Breite der Seitenschiffe von
18 Fufs von Pfeilermitte bis zur Wand und bei der mäfsigen
Pfeilerstärke von 6 Fufs 10 Zoll jene Weiträumigkeit entstand,
welche bereits rühmend hervorgehoben wurde. Wäre die ganze
Kirche in dem gleichen künstlerischen Sinne planmäfsig voll-
endet worden, wie man Langliaus und Westfront begonnen
liatte, so besäfse die Mark ein Meisterwerk, welches die
scliönsten Denkmäler zu Stendai (Dom), Prenzlau (Marien-
kirche), Brandenburg (Katharinen-Kirche) und Königsberg
(Marienkirche), selbst Chorin an räumlicher Wirkung sicher-
licli übertreffen würde.

Als man das Langhaus nach Süden und Noiden ei-
weiterte, liefs man Stücke der alten Mauern stehen und formte

sie zu Pfeilern um_vergl. den Grundrifs und Blatt LXXVIII

5_welche zu den freien Schiffspfeilern, die durch Be-

setzung mit acht kräftigen Diensten aus dem Kreuzpfeiler

16

Historisclies.

Aus der Stadterweiterungs-Urkunde von 1253 darf man
schliefsen, dafs der Bau dieser neuen zweiten Pfarrkirche um
1255 — 60 begonnen worden ist, doch ist iiber Form, Gröfse
und Material dieses Baues nichts bekannt. Um die Wende des
XIV. Jahrhunderts nxufs man aber, durch das unerwartet
rasche Anwächsen der
Stadt überrascht, bereits
an einen Neubau gedacht
oder ihn schon begonnen
haben, wie ein in Ronx
erwirkter Ablafsbrief von
1300 anzudeuten scheint. 2)

Wie so oft hat man auch
hier unter Sclionxxng des
Chores das Langhaus zxx-
erst ernexxei’t und rasch
vollendet, denn 1312 und
1323 werden bereits da-
rin neue Altäre gestiftet 3)
und 1330 verbietet Kaiser
Ludwig der Stadt, die
voixi Bischofe von Lebus
beabsichtigte V erwandlung
ihrer Pfarrkirche in eine
Kathedralkirche zuzulas-
sen. 4 *) Danxals wird also

ein gröfserer Bautheil — es war, wie die Analyse lehrt, das
Langhaus — vollendet worden sein. Dxxi’ch den Erfolg er-
muthigt, hat maix dann nxit grofser Enei’gie die Fortsetzxxng
betrieben xxxxd nxxxfs einen erhebliclien Theil der Kirche in den
Jahren 1350 — 70 vollendet haben, denn in keiixer anderexx
Epoche der Stadtgeschichte drängen siclx neue Altarstiftungen,
Belehnungen xxnd Bestätigungen so eng zusammen, wie in
diesex’. 6) Axxch sprechen für jene Glanzzeit um 1370 — 80
axxfser dem Anbau der Noi’dkapelle das eherne Taufbecken
voxx 1370 und der aus derselben Epoche stammende grofs-
artige siebenarmige Erzleuchter. Später läfst dieser Eifer er-
heblich nach, im XV. Jahrhxmdert werden nur drei neue Altäre
gestiftet, darunter 1457 einer voixx Kurfürsten Friedrich II.
Zwei Brüderschaften oder Gilden, die Marienbi’üderschaft und
die Kalandsgilde werden mehrfach erwähnt, weil sie an oder
in der Pfarrkirche St. Maria Kapellen nebst Altären besafsen.
Auch von einer Einweihung der Kirche wii'd 1494 berichtet. 6)

Der Altarreichthum war überhaupt grofs, demx im
Jahre 1516 besafs der Ratli das Patronat von neun Altären. 7)
Bald darauf wurden an der Südostseite die zweigeschossigen
dreijochigen Kapellen erbaut, in denen Schlufssteine mit den
Jahreszahlen 1521 xxnd 1522 vorkommen.

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1) Yergl. Merian a. a. O. S. 54. 2) Riedel XXIII, 8. 6.

3) Biedel XXIII, S. 11 und 18. 4) Riedel XXIII, S. 26.

5) Biedel XXIII, S. 54 ff. und 101. 6) Iliedel D. S. 344.

7) Eiedel XXIII, S. 379.
 
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