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wirkungsvoll entwickelt sincl —- vergl. Fig. 7 — wenig passen.
Leicler liat man die Kapitelle umgeändert und die Basen ver-
deckt; auch ist es zu bedauern, dafs die alten Gewölbe fehlen,
denn die jetzigen besitzen alle Kennzeichen einer Spätzeit:
magere Bippen, kleine Schlufssteine und hohe Busenform.
Früher waren sicher kräftig profilirte Quergurte und saftige
Rippen vorhanden, die wie an anderen Stellen z. B. Cliorm
harmonisch gewirkt haben müssen. Die aus dieser Früh-
zeit — Wende des XIY. Jahrhunderts bis etwa 1330
— stammende Westfront ist wie das Doppelblatt LXXXI
und LXXXII erkennen läfst, von einer selten wuchtigen
Gröfse und Strenge, insbesondere in den alten etwa 75 Fufs
lioch erhaltenen Theilen. Ein Minimum von Kunstformen ist
vorhanden; es beschränkt sicli aufser dem fast kolossal zu
nennenden zweipfortigen spitzbogigen Hauptportale mit einem
den Obertheil umrahmenden Gitterwerke nur auf einige Gitter-
friesstreifen mit platten Blenden uncl vier dreitheiligen Mafs-
werksfenstern. Von dem einschiffigen Querliause stelien auch
noch beträchtliche Theile, nämlich der ganze Nordkreuzfiügel
mit seinem schönen Portale unten uncl seinem mit drei Zier-

giebeln geschmückten Flauptgiebel oben, welchen der vor-
stehende Holzschnitt veranschaulicht, ferner einigen Eckdiensten
daselbst, alles um 1350. Stärker verändert ist das Südkreuz
und der gröfste Verlust ist dadurch geschehen, dafs man die
westlichen Vierungspfeiler, welche höchstwahrscheinlich den
Schiffspfeilern entsprechend als schöne Bündelpfeiler durclige-
bildet waren, abbrach und durch plumpe Achteckspfeiler mit
strebepfeilerartigen Verlängerungen ersetzte, welche mit dem
Abschlusse cles Chorneubaues zusammenhängen.

Doch bevor oder während dies geschali, wurde an den
Xordkreuzflügel eine gewölbte Kapelle angebaut, welche in
der Form eines verlängerten halben Zehneckes durchgebildet
als ein besonders werthvoller Bautheil bezeichnet werden mufs,
weil dabei von dem Stifter der Versucli gemacht wurde, den
sehlichten Backsteinbau durch mancherlei architektonischen und
plastischen Sandsteinschmuck reicher zu beleben. Die Kapelle
besitzt ein überwölbtes Vordach und eine mit Bildwerk leicli
geschmückte Pforte. In der Obermauer darüber sind drei
Kreisblenden mit Wappen und Helmen angeordnet, rechts dei
brandenburgische Adler, links der böhmische zweigeschwänzte
Löwe und über beiden der deutsche Beiclisadler, alles kräftig
und charaktervoll behandelt. An den Strebepfeilern rechts und
links sieht man die Verkündigung der Maria durch den Engel
und kann schon aus dem paläographischen Charakter der vor-
trefflicli stilisirten Buchstaben des Spruchbandes mit Sicherheit
auf eine Entstehungszeit aus der zweiten Hälfte des XIV. Jahr-

hunderts schliefsen. Am Schlufssteine des mit Kreuzblume
und Krabben besetzten Portales thront Christus als Welten-
ricliter und links unter ihm befindet sich in der Kehle rechts
David, links Moses und unter jedem ein Prophet niit Spruch-
band. Endlich sind noch die fetirnseiten der zwei Mal abge-
stuften Strebepfeiler mit rechteckigen Sandsteinreliefs ge-
schmückt, welche, mit Umschriften versehen, Apostel und
Heilige darstellen. Alles ist nach einem wohl überlegten Plane
künstlerisch durchgefülirt und kann wegen des böhmisehen
Wappens nur aus der Zeit Kaiser Karls I\ . stannnen.') Viel-
leicht ist der ganze Bau eme Stiftung, die er selbst aus
politischen Gründen gemacht hat, um sich die Gunst der lange
Zeit ihm widerspenstigen Stadt zu erwerben.

Der dreischiffige Chor, welcher ebenfalls noch der zweiten
Hälfte des XIV. Jahrlnmderts, aber seinern Schlusse angehört,
besitzt über Eck gestellte Achteckspfeiler, deren Ivanten mit
vortretenden Bundstäben besetzt sind. Die flachen Wandpfeiler 1 2)
sind in guter Profilirung mehrfach abgestuft — vergl. den
Holzschnitt a — und oben zu Xischen zusammengezogen, in

denen die dreitheiligen ebenfalls streng profilirten Fenster_

Holzschnitt b — liegen. Aucli die Arkadenbogen sind reich ge-
gliedert, so dafs die Innenwirkung des Chores, wemi von den
nüchternen Pfeilern und den mageren Rippen abgesehen wird,
eine günstige ist. Das Aeufsere macht dagegen einen flauen
und nüchternen Eindruck, obschon der Mafsstab grofs ist und
theure Einzelheiten, wie glasirte Gurtgesimse mid Kreuzstab-
friese, ja selbst grofse profilirte Granitplinthen verwendet sind.

Nach dem Abschlusse des Chorbaues hat man sehr zum
Schaden des einlieitliclien Werkes eine Verbreiterung des Lang-
hauses vorgenommen, indem man zuerst das nördliche und
dann — wohl Jahrzehnte später — das südliche Seitenschiff
hinzufügte. Beide Bautheile entstammen unzweifelhaft dem
XV. Jahrhundert, doch lassen sicli genaue Daten nicht an-
geben. Weil man durcli diese Erweiterung auf eine Breite
von 125 Fufs kam, und das alte grofse Dach über den drei
inneren Scliiffen erhalten wollte, entsclilofs man sicli trotz aller
praktischen Uebelstände zu der Lösung, die neuen Lang-
mauern so hoch als möglich aufzubauen, um Walmdächer, die
nach innen entwässerten, anordnen zu können. Das hierdureh
entstandene System der Nordseite mit grofsen fünftheilDen
Fenstern, zwiefacli gestuften Strebepfeilern und einer Ober-
wand, welche mit Fialen und zweireihig geordneten Kreuzstab-
blenden gegliedert ist, stellt Blatt LXXVIII Fig. 2 dar. Ein
dazu gehöriges Detail der letztgenannten Bäuglieder veranschau-
liclit Fig. 3. Leider ist der oberste Abschlufs dieses eigenartigen
und sehr wirkungsvollen aber unorganischen Systems verloren
gegangen und läfst sich nicht leicht ergänzen. Viel weniger
günstig wirkt das ähnlich gegliederte aber roh imd nüchtern
durchgebildete feystem der Südseite; auch ist liier die Ober-
mauer verblendetes Fachwerk. In den viereckigen geputzten
Kreuzstabblenden der Südseite sind Malereien vorhanden ge-
wesen, wie einzelne Figurenreste und eine blecherne Weltkugel
°der Reichsapfel noch beweisen. In dem Unterbau hat man
hier zwischen den Strebepfeilern stets drei Fenster angeordnet,
ein grofses dreitheiliges in der Mitte und zwei schmale an den
Seiten, die in einer höheren Spitzblende liegen. Der an der

1) An die beiden nächsten Erben des Kaisers, an Wenzel und Jobst ist
nicht zu denken, und für die Zeit des Kaisers Sigismund ist der Kunstcharakter
zu streng.

2) Ihre Aehnlichkeit mit denen zu Kathcnow (Pfarrkirche) und Königs-
berg i. N. (Klosterkirche) ist unverkennbar.
 
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