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der Prämonstratenser Kirche Liebfrauen zu Magdeburg, wel-
cber nacli dem grofsen Stadtbrande yon 1207 zur Ausführung
kam und später auch — nacb 1269 — in Havelberg wieder-
bolt wurde, auf das Engste zusammenbing. x) Ferner sind
die eigenthümlichen cylindriscben Fialen, welcbe sowobl das
Oelgemälde von 1568 als aucb das Heinfs’sche Modell —
vergl. Blatt I und II — auf den Ecken der vier Thürme wie
auf den beiden Ecken cles Hauptcliores deutlich darstellen, als
Ableitungen zu eracbten von den wohlerbaltenen, selir ähnlich
geformten frühgothiscben Krabben cler beiclen Glockenbaus-
Giebel zwiscben clen Westtbürmen cles Halberstädter Domes.
Dieser höcbst originelle Bautbeil ist aber ein Rest des spät-
romanischen Neubaues, welcber unter Betheiligung cles Erz-
biscliofes von Magdeburg und seiner Suffragane im Jahre 1220
feierlich eingeweiht wurde. Die damit verbundene Ablafs-Yer-
leihung bat auch ihren Wiederliall in Magdeburg, Naumburg,
Merseburg und Branclenburg gefunclen, wie aus cler Urkunde
vom 30. September 1220 hervorgeht. 2) Indem durch jene
Tbatsache meine Band I S. 7 gegebene Datirung der vermut-
lichen Erbauungszeit von 1220 —1250 bestätigt wird, ergiebt
sich, dafs aufser dem neuen Chorbau von Magdeburg auch
der Frontbau des Domes von Halberstadt auf clie Marien-
kircbe vorbildlich eingewirkt bat.

Ebenso läfst sich jetzt der Zusammenhang cles leider
untergegangenen Baudenkmales mit gleichzeitigen Backstein-
bauten in cler Mark besser nachweisen als früher, wo es an
Abbildungen nocb fehlte. Dabin gehören: 1. die stark vor-
tretenden, abgestuften und halbrunden Lesinen an den Kreuz-
flügeln und Westtbürmen, welehe sowohl in Lehnin am nörd-
lichen Seitenschiffe, Blatt LIX Eig. 3 — erste Hälfte des
XIII. Jalxrhunderts — als aucli an der Ostfront von Dobrilugk,
Blatt LXIII Fig. 1 — Scblufs des XII. Jahrhunderts -—
auftreten; 2. die Bündelpfeiler im Inneren, fiir welche die
Yierungspfeiler in Dobrilugk — Blatt LXII Fig. 1 — als
Yorstufen gelten können; 3. die Yerwendung von Relieffriesen
aus gebranntem Tlione an den äufseren Thurmseiten, wofür die
Analogien von Lehnin im Inneren wie im Aeufseren, Blatt LIX
Fig. 2,4 und 6 und Blatt LX Fig. 1 — Mitte des XIII. Jahr-
bunderts — und in Chorin, Blatt LXYIII Fig. 1 — 4 —
zweite Hälfte cles XIII. Jahrhunderts — uncl noch später anclere
in Xeustadt - Eberswalde, Angermünde und Templin clie weitere
Entwicklung bekunden. Hieraus ergiebt sicb, dafs diese neue
ünd wertlivolle, dekorative Kunsttechnik an der Liebfrauen-
kirche ibren Ausgang genommen bat. An den Obertheilen
des Westtburmes der Südseite, Blatt II Fig. 2, kommt soclann
eine ähnlicbe Blendenbildung vor wie im Licbtgaden Lehnins,
Blatt LYIII Fig. 1, docb sind diese Blenden an der Marien-
kircbe noch rundbogig, wäbrend in Lehnin bereits der Spitz-
bogen herrscbt. Weil Lehnins Westfront, Blatt LX Fig. 1,
eine ungleich reifere Stilentwicklung zeigt als die eben ge-
nannten zuletzt entstandenen Bautheile der Harlunger Berg-
kircbe, und 1262 geweiht wurde, also um 1260 fertig war, 3)
so darf man schliefsen, dafs für die etwas ältere Bergkirche
ein Schlufsdatum von 1250 als sicher festzuhalten sein wird.
Damit wird aber ein wichtiger Markstein fiir die ganze
Chronologie cler märkischen Baukunst gewonnen.

Schliefslich verdienen noch zwei Eigenthümlichkeiten an
der Marienkirche eine Erörterung. Die eine ist die berechtigte
aber bisher nicht gestellte Frage: warum ist bei einem kreuz-
förmigen Centralbau die Yierung nicht quadratisch, sondern in
der Hauptachse oblong, wie Blatt II Fig. 3 und 4 darstellen,
gestaltet worden? Wahrscheinlich hat man die Fundamente
der Pribislav-Kirche für clie Stellung der Yierungspfeiler benutzt,

1) Vergl. Hartmann in Rombergs Zeitschr. f. prakt. Bauk. 1854, Tafel 15,
16 ff'. mit von Quast in Zeitschr. f. christl. Archäol. und Kunst Tafel 12 und
Kothe in Zeitschr. f. Bauwesen 1895, Blatt 5 Fig. 2.

2) Riedel VIII, 137. 3) Vergl. Band II oben S. 25.

weil die Weite von 25 Fufs eine damals sehr übliche gewesen
ist, denn St. Godehard, dessen Pfeilerreilien wahrscheinlich auch
auf den alten Granitfundamenten stehen, besitzt nur 24 Fufs,
Jerichow 25 Fufs und Lehnin 2( Fufs. Der Dom dagegen
hat seiner Würde entsprechend von Anfaug an, seit 1165 die
Weite von 30 Fufs wie Havelberg erhalten.

Die zweite viel erörterte Frage, auf welche Vorhilder die
kreuzförmige Harlunger Bergkirche mit ihren vier Thürmen in
den Aechseln zurückweise, liabe ich Band I S. 8 streifend be-
rührt und auf die Entwicklungsreihe der Kathedralen von

Tournay und Noyon sowie des Domes zu Limburg hin-
gewiesen, wobei selbstverständlich für Tournay nur das von vier
Thürmen flankirte und mit zwei Apsiden gesclilossene Querschiff
(1193 im Bau und 1213 geweiht) in Frage konnnen konnte.
Dieser Untersuchung weiter nachzugelien war mir damals
nicht möglich, aber nachdem ich später Dänemark und Belgien
besucht, liatte micli die Aehnlichkeit der Chorbildung des

Domes in Roeskilde mit derjenigen der Kreuzfiügel in Tournay
wieder an die alte Frage erinnert und schrieb ich daher in
der Festschrift S. 187 „in Roeskilde ist niclits mehr erhalten,
was älter wäre als das Jahr 1234 und das Beste und

Aelteste, nämlich der grofsartige Clior mit Umgang und
Emporen ist innen wie aufsen eine auf den Backsteinbau
übertragene Studie der Kreuzflügel an der Kathedrale von
Tournay, welche 1213 vollendet waren“.

Drei Jahre später tlieilte ich hei einem zufälligen Zu-

sammentreffen in Olympia 1887 Herrn Prof. Julius Lange
aus Kopenhagen meine Vermuthung eines inneren Zusammen-
lianges zwischen den beiden Domen in Seeland und Belgien mit
und diesem ausgezeichneten Gelehrten gelang es dann sehr bald
— 1890 — die persönlichen zum Theil höchst interessanten,
auf nocli erhaltenem Briefwechsel beruhenden Beziehungen
zwischen französischen und dänischen Bischöfen nachzuweisen,
welche zu der Uebertragung von Raumgestaltungen, Gewölbe-
strukturen und Fenstersystemen von Tournay (sowohl in der
Kathedrale — Querschiff — als aucli in der Bischofskapelle
St. Vincent) nach Roeskilde geführt haben. 1) Für die Ge-
schichte der raschen Ausbreitung frühgothiseher Baukunst nacli
dem Norden ist seine Arbeit ein iiberaus werthvoller Beitrag,
weil sie zeigt, wie viel noch aus den vorhandenen und längst
gedruckten Quellen gewonnen werden kann, wenn man gründ-
lich studirt.

3. St. Nikolaus in Luckeberg.

Die Kirche ist nicht, wie ich S. 10 gesagt hahe, im
Jahre 1170, sondern aus Gründen, die weiter unten bei
Jerichow, den Dorfkirchen in der Altmark und Grofs-Wuster-
witz erörtert werden, sclion 1150 erbaut worden. 2)

4. St. Godehard.

Meine Yermuthung —, Band I S. 23 ff. — dals Pribislav,
der letzte Wendenfürst, bald nacli seinem Uehertritte zum
Christenthume diese Granitkirche um 1138 gegründet habe,
hat sicli hestätigt und steht jetzt fest. Ebenso gewifs ist es,
dafs sie 1149 so weit fertig war, um dem Kultus des damals
an ihr niedergesetzten Prämonstratenser Konventes zu dienen
und dafs sie selbst die Jaczo’sche Invasion 1157 glücldich
überstanden hat. Nach der Verpflanzung des Kapitels auf die
Burg wurde sie endlich Pfarrkirche der fröhlich aufblühenden
deutschen Stadt. Mit Hiilfe der noch stehenden auf zwei

1) Vergl. J. Lange, Bemerkinger om Boeskilde Donikirkes Alder og Stil
in Aarb. for Nord. Oldk. ok Iiist. 1890.

2) Von einer Einweihung im Jahre 1173, welche B o r r m a n n in sein em
trefflichen Beitrage: Die Keramik in der Architektur im Handb. d. Architektur IV,

107 meldet, ist mir nichts bekannt.
 
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