Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: St. Michaelis in Hildesheim — Hannover: Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Heft 34.2008

DOI issue:
Binding, Günther: St. Michaelis in Hildesheim - Einführung, Forschungsstand und Datierung
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.51162#0029
License: Creative Commons - Attribution - ShareAlike
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
St. Michaelis in Hildesheim
Einführung, Forschungsstand und Datierung

25

späterer Überlieferung angestellt, wobei zu betonen
ist, dass über die Anordnung der Altäre und ihre got-
tesdienstliche Nutzung erst seit 1317 Angaben exis-
tieren, also nach der umfassenden Restaurierung und
Umgestaltung unter Bischof Adelog bis zur Weihe
1 186.86 Rückschlüsse auf Bernwards Planung und auf
die Situation nach den Weihen unter Godehard 1033
und 1035 sind wohl kaum angemessen möglich.
Schließlich muss noch kurz auf die Versuche hinge-
wiesen werden, maß- und proportionsbestimmte
Entwurfsysteme für die Kirche zu erschließen. 1954
hatte Hans Roggenkamp in der Monografie über die
Michaeliskirche eine geometrische und arithmetische
Grund- und Aufrissmessung unter Hinweis auf den
Liber mathematicalis im Dom- und Diözesanmuseum,
eine Abschrift der Institutio arithmetica des Boethius
aus dem 9. Jahrhundert, auf der Basis eines Fußmaßes
von 32,5 cm und figurierter Zahlen, die an geometri-
sche Flächen und Körper gebunden sind, dargelegt,
die Werner Meyer-Barkhausen 1956 in seiner
Besprechung des Buches recht kritisch betrachtet hat,
aber von Paul von Naredi-Rainer 1982 positiv gewür-
digt wurde.87 Nach Menso Folkerts ist „die Ver-
mutung, Bernward habe dieses Werk beim Unterricht
Ottos III. verwendet," ebenso wenig beweisbar wie
die Annahme, es sei zur Zeit Bernwards in Hildesheim
vorhanden gewesen.88 1990 hat Rolf C. A. Rottländer
für die Grundrissbemessung gleichseitige Dreiecke
und einen Kreis mit dem Radius von 50 pied du Roi zu
32,4 cm und für die Länge Maße in Ägyptischen
Königsellen nachzuweisen versucht.89 Härmen Thies
hat 1984 auf dem Hildesheimer Symposium Überle-
gungen vorgestellt, die auf einem Quadratraster (Mit-
telschiff und die Querschiffe jeweils drei Quadrate)
beruhen und in den Einzelabmessungen Abweichun-
gen aufzeigen (bisher unpubliziert). Zuverlässige
Überlegungen zum Vermessungs- und Proportions-
system sind erst dann möglich, wenn eine mit Maßen
versehene genaue Bauaufnahme vorliegt, die über die
Maßangaben bei Roggenkamp hinausgeht und
Fundamente und aufgehendes Mauerwerk berück-
Anmerkungen
1 Clemens Kosch: Kölns romanische Kirchen. Architektur und
Liturgie im Hochmittelalter. Regensburg 2000, S. 92. - Uwe
Lobbedey: Die Ausgrabungen im Dom zu Paderborn
1978/80 und 1983. (= Denkmalpflege und Forschung in
Westfalen 11) Bonn 1986, Bd. 1, S. 175 mit Anm. 348: „11.
Jahrhundert". - So auch Uwe Lobbedey: Les Westwerke de
l'epoque ottonienne en Allemagne du nord, in: Avant-nefs et
espaces d'accueil dans l'hglise entre le IVe et le Xlle siede.
Hrsg. Christian Sapin. Paris 2002, S. 67-75, hier S. 71: „aux
alentoursde 1030"; siehe Werner Jacobsen in: Kunstchronik
52, 1999, S. 562: „gegen 1030". - Andreas Hartmann-

sichtigt. Detaillierte Maß- und Proportionsunter-
suchungen gehen von der falschen Voraussetzung
aus, dass die mysteria numerorum bis in Einzelheiten
die Baugestaltung bestimmt hat. Wahrscheinlicher ist
die Annahme, dass - wenn überhaupt - nur ein Maß
oder einige wenige die Ausdehnung des Gebäudes
festgelegt haben, wie es die Eintragungen von Länge
und Breite der Kirche auf dem St. Galier Klosterplan
(um 820/30) deutlich machen.
Der Überblick über die in den letzten 20 Jahren vertre-
tenen Meinungen zum Datum der Klosterstiftung und
des Baubeginns der Klosterkirche St. Michaelis gibt zu
der Frage Anlass, warum die in überschaubaren Ver-
öffentlichungen 1984 und 1987/88 auf breiter
Quellendiskussion vorgetragenen Datierungen häufig
nicht zur Kenntnis genommen werden. Um sich ein
einigermaßen zutreffendes Bild von Bischof Bernward
als Stifter und Bauherr von St. Michaelis und von dem
Einfluss des ersten Abtes Goderam auf die Baugestalt
verschaffen zu können, sind zunächst Authentizität
und Zuverlässigkeit der schriftlichen Quellen zu klären
und ihre Datierung zu erschließen, denn darüber exis-
tieren widersprüchliche Auffassungen in der Literatur.
Vorrangig sind die Vita Bernwardi und die zwei so
genannten Testamente heranzuziehen, ergänzend
kommen unteranderem die Annales Hildesheimenses
und die Inschriften am Bau hinzu: Grundstein 1010
und Kryptaweihe 1015. Recht unterschiedlich ist die
Meinung über den Gründungstermin des Klosters St.
Michaelis, über die Bedeutung der 996 geweihten HL
Kreuz-Kapelle, über den Bauzustand der Kirche bei
der Weihe 1022 durch Bernward und über die
Gründe, warum Bischof Godehard die Kirche 1033
erneut geweiht hat. Schließlich ist der Zeitpunkt zu
klären, zu dem Goderam von Köln nach Hildesheim
gekommen ist. Erst wenn das Datengerüst steht und
mit einiger Sicherheit als Grundlage für die Einord-
nung und Deutung der Bauformen genutzt werden
kann, wird es möglich sein, die Bedeutung von
Bischof Bernward für St. Michaelis angemessen zu
würdigen.
Virnich: Was ist Romanik? Darmstadt 2004, S. 222, Abb.
196f.: „Ende 10. Jh. (nach 984-1000), spätestens vor/um
1030" und „um 1000/30". - Demgegenüber rekonstruiert
Sven Schütte wenig überzeugend ein erstes dreigeschossiges
Westwerk, das 966 begonnen wurde; Sven Schütte:
Geschichte und Baugeschichte der Kirche St. Pantaleon, in:
Colonia Romanica 21, 2006, S. 81-136, hier S. 110-118. Ein
problematischer Aufsatz: Phantasievolle Rekonstruktion der
Bauperioden mit unsicherer Datierung und falscher Inter-
pretation der Baubeobachtungen am heutigen Westwerk
(ursprünglich dreigeschossig, Umbau zum zweigeschossigen
heutigen Westwerk am Ende des 10. Jahrhunderts); vielmehr
diente die westliche breite Maueröffnung als Zugang zur
 
Annotationen