Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
TI

Zur Situation der Wandmalereirestaurierung
im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert

Restaurierung im Wandel:
Zwischen Nachahmung und Erhaltung
Die denkmalpflegerischen und restauratorischen
Bemühungen des 19. Jahrhunderts bilden die Grund-
lage dafür, dass um die Wende zum 20. Jahrhundert
die institutionalisierte Denkmalpflege entstehen
konnte, aber auch dafür, dass sie zu diesem Zeitpunkt
bereits in zwei unterschiedlichen Strömungen verlief:
die der historischen Schule, die im Grunde die
Praktiken des 19. Jahrhunderts weiter führen wollte
und an die Möglichkeiten von Wiederherstellung im
„historischen Geiste" glaubte und die moderne, die
die traditionelle Restaurierung nun vehement ablehn-
te und für die reine Konservierung eintrat.206 Den
denkmalpflegerischen Bemühungen des 19. Jahrhun-
derts ist es zu verdanken, dass einerseits eine Vielzahl
von Kunstwerken vor Verfall und Zerstörung gerettet
wurden, sie aber andererseits durch Überarbeitung
und Umformung verfälscht wurden.
Denkmalpflege und Restaurierung standen in Zusam-
menhang mit einem neu entstandenem Geschichtsin-
teresse. Jacob Burckhardt referierte 1851: „Alles
Erhaltene wird zum redenden Zeugniß der betreffen-
den Epoche, zum Monument. ... Die Geschichte und
geschichtliche Betrachtung der Welt und Zeit fängt
überhaupt an, unsere ganze Bildung zu durchdrin-
gen".207
Der Schwerpunkt des kulturellen Geschichtsinteresses
in Deutschland lag auf den Kunstwerken des Mittel-
alters, vor allem denen der Gotik, in denen man die
Wurzeln der eigenen Vergangenheit sah.208 Architek-
ten beschäftigten sich intensiv mit dem Studium mit-
telalterlicher Architektur und ihrer Ausstattung und
kamen zu dem Schluss, dass die Innenräume
ursprünglich polychrome Ausmalungen besessen hat-
ten, die durch spätere Tünchen und Verputze über-
deckt worden waren.209 In Niedersachsen war es be-
sonders der Architekt Conrad Wilhelm Hase, der die
Forschungen zur mittelalterlichen Architektur voran
trieb. Mit seinen Bauten, vor allem im neugotischen
Stil, erlangte er großen Einfluss im gesamten nord-
deutschen Raum. Doch nicht nur dem Neubau, son-
dern auch der ,Rettung' und Wiederherstellung mit-
telalterlicher Baudenkmäler gehörte sein besonderes
Engagement.210 So leitete er beispielsweise die
Wiederherstellung der Michaeliskirche in Hildesheim
in den 1850er Jahren und setzte sich in den 1890er
Jahren erfolgreich für die Erhaltung der Alten Kirche
in Wunstorf-Idensen ein, die auf Wunsch der Kirchen-
gemeinde hätte abgerissen werden sollen.211
Restaurierungen von Kirchenbauten und deren Aus-
stattung hatten im 19. Jahrhundert oft weniger die

Erhaltung der überlieferten Substanz, als vielmehr die
Wiederherstellung eines mehr oder weniger fiktiven
ursprünglichen Zustands zur Erbauungszeit zum Ziel.
Dies ging soweit, dass nicht nur spätere Zutaten ent-
fernt wurden, sondern auch rekonstruierende Nach-
schöpfungen entstanden, um eine stilistische Einheit
zu erhalten.212
Der Wunsch, die Kirchenbauten wieder in ihren ur-
sprünglichen Zustand zurückzuversetzen, konnte
dazu führen, dass nachträgliche Veränderungen, Ein-
bauten und Malereien als wertlos angesehen und ent-
fernt wurden.
In Niedersachsen finden sich einige Beispiele der
Restaurierung im Sinne einer Rückführung zum ange-
nommen Entstehungszustand. Während der Restau-
rierung des Braunschweiger Doms 1845-52 wurde,
um den mittelalterlichen Raum mit seiner ursprüngli-
chen Ausmalung ohne störende Einbauten präsentie-
ren zu können, „sämtlicher barocker Zierrath" ent-
fernt.213 Allein die Formulierung drückt aus, dass im
Vergleich zur mittelalterlichen Ausstattung die jünge-
ren Einbauten als wenig wertvoll angesehen wurden.
In den 1850er Jahren erfolgte eine historisierende
Umgestaltung der Godehardikirche in Hildesheim,
deren Ursprung im 12. Jahrhundert liegt. Ziel war die
Rückführung zur ursprünglichen architektonischen
und gestalterischen Form. Durch den Kölner Maler
Michael Welter214 wurde anhand geringer Ausma-
lungsreste eine stilgerechte' Neuausmalung des
Kirchenraums vorgenommen215, die aber in den figür-
lichen Bereichen ihren akademisch-naturalistischen
Keim aus der Historischen Schule nicht verleugnen
können. Freigelegte, mittelalterliche Malereireste
dienten als Orientierungshilfe zur Vervollständigung
des Bildprogramms und als Anregung zur Neuschöp-
fung im Sinne der Stilreinheit.216
Ähnliche Bestrebungen sind beispielsweise bei der
Wiederherstellung der Liebfrauenkirche in Halber-
stadt 1839-48 sichtbar, wo es nach Möller zu einer
„Bereinigung" des Innenraums kam.217 Neben der
baulichen Sicherung der damals verfallenen Kirche
ging es um die möglichste Wiederherstellung der
romanischen Baugestalt.218 In purifizierender Manier
wurden, entgegen der Stellungnahme des preußi-
schen Staatskonservators Ferdinand von Quast,219 alle
nachmittelalterlichen Einbauten entfernt.220 Die Maß-
nahmen in der Barbarakapelle aus dem 13. Jahrhun-
dert beinhalteten eine vollständige Rekonstruktion
der figürlichen Darstellungen auf dem äußerst frag-
mentarischen Bestand, wobei es zu Fehlinterpreta-
tionen in der Formensprache kam.221
Der Kapitelsaal der ehemaligen Benediktinerabtei
Brauweiler wurde 1861-63 in historisierender Manier
 
Annotationen